Sigmar Gabriel, SPD-Wirtschaftsminister der Großen Koalitionsregierung, geht davon aus, dass die deutsche Wirtschaft weniger wachsen wird als zunächst erwartet und bestätigt damit die „Absturz“- Prognosen führender deutscher Wirtschaftsinstitute von Anfang Oktober.
Gleichzeitig warnt der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Rainer Dulger, davor, dass die deutschen Unternehmen einem äußerst harten Wettbewerb ausgesetzt seien und nur über „geringen Lohnspielraum“ verfügten.
Für Gabriel steht angesichts dieses Szenarios sowohl fest, dass die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gestärkt werden muss, wie auch dass die Vorgaben der Schuldenbremse und der „Schwarzen Null“ im Bundeshaushalt keinesfalls aufgeweicht werden dürfen.
Gabriel steht für den Auftrag, auf den sich die SPD-Führung mit ihrem Gang in die Regierung der Großen Koalition verpflichtet hat: dieses doppelte Diktat der EU über drastische Kaputtsparmaßnahmen und Deregulierung/Prekarisierung zur Lohnkostensenkung umzusetzen. Und die DGB-Gewerkschaften, wenn auch in Form kritischer und protestierender Begleitung, in diese arbeitnehmerfeindliche Politik einzubinden, um jede Entfaltung eines konsequenten Kampfes der Arbeitnehmer für ihre Forderungen zu ersticken.
Schon 2010 hatte Merkel, damals als Kanzlerin der Kleinen Koalition, den Arbeitgebern ein Tarifeinheitsgesetz versprochen. Jetzt sieht sie die Möglichkeit, es durchzusetzen – in der Großen Koalition mit der SPD, die die DGB-Führung, mit ihrer mehr oder weniger offenen Unterstützung, ins Boot holen kann.
Mit dem jetzt unter dem Druck der Arbeitgeber von SPD-Arbeitsministerin Nahles vorgelegten Gesetz zur „Tarifeinheit“ soll im Namen des „Mehrheitsprinzips“ (d.h. nur der Tarifvertrag kommt zur Anwendung, den die Gewerkschaft abschließt, welche die Mehrheit der Beschäftigten des Betriebes organisiert) staatlich eine Zwangseinheit verordnet werden. Damit verfolgen sie die Unterdrückung des Rechts der Gewerkschaftsmitglieder und Arbeitnehmer auf freie Diskussion und Bestimmung ihrer Tarifforderungen; die Unterdrückung der gewerkschaftlichen Grundrechte auf Verhandlungsfreiheit und Tarifvertragsabschluss und begründen ein Streikverbot.
In ihrem ausgemachten Zynismus scheut sich Nahles dennoch nicht, das geplante Gesetz zu loben, weil es „friedliche Wege der Konfliktlösung begünstigt“ und „der ganzen Wirtschaft Vorteile bietet“. Und: „Wir stärken das bewährte und gute Prinzip der Sozialpartnerschaft in Deutschland“.
„Zwei Spartengewerkschaften (GdL und Cockpit) haben jedes Maß verloren“; „sie missbrauchen das Streikrecht, legen das Land und die Infrastruktur lahm“.
Arbeitgeber und Merkel/Nahles stützen sich auf diese Hetzkampagne gegen die streikenden Lokführer und Eisenbahner, wie gegen die Piloten, um die gesetzliche Regelung zur Zwangseinheit durchzusetzen. Angeblich, um „Mehrheitsinteressen“ gegen „unanständige Partikularinteressen“ und gegen den „Missbrauch des Streikrechts und der Verhandlungsfreiheit, mit denen sich eine Minderheit „materielle Vorteile gegenüber den Kollegen“ erkämpft, zu schützen.
Worum geht es tatsächlich bei den Streiks?
Während die Lokführer vorrangig für eine Arbeitszeitverkürzung kämpfen, da durch den im Rahmen der Privatisierungs- und Sparmaßnahmen erzwungenen Personalabbau die Arbeitsbedingungen untragbar geworden sind, geht es bei den Piloten nicht nur um die Verteidigung der Errungenschaft der Vorruhestandsregelung. Sie wehren sich gegen die Pläne der Lufthansa zur teilweisen Ausflaggung der Crew, d.h. gegen den Einsatz von „Billigpiloten“ unter Billigflaggen.
Der Kampf für ihre Forderungen ist unvereinbar mit dem Gebot der Schuldenbremse und der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit, den nach Gabriel unantastbaren Grundgesetzen der Großen Koalition.
Zu Recht warnt der ver.di-Landesverband NRW vor der „indirekten Einschränkung des Streikrechts“. Auch wenn nicht ausdrücklich in dem Gesetzentwurf das Streikrecht in Frage gestellt wird, worauf Nahles unermüdlich hinweist, „ist der Streik für einen Tarifvertrag, der nicht zur Anwendung kommt, unrechtmäßig.“ (Thüsing, Verfassungsrechtler).
Den kampfkräftigten und streikfähigsten Gruppen der Beschäftigten soll durch Streikverbot das Genick gebrochen werden. Aufgabe der Gewerkschaften kann es in dieser Situation nur sein, diese Forderungen und diese streikmächtigsten Arbeitnehmergruppen zum Stützpunkt für den Kampf der gesamten Belegschaft des Betriebs (der Branche) zu machen, d.h. sie in den Kampf der gesamten Belegschaft zu integrieren und damit die Kraft zur Erkämpfung dieser berechtigten Forderungen für alle zu stärken.
Die DGB-Gewerkschaften haben sich immer an dem Prinzip orientiert, eine Branche, ein Tarifvertrag, eine Gewerkschaft. Um die Konkurrenz unter den Arbeitnehmern soweit wie möglich zu verhindern, haben sie Tarifgemeinschaften auch mit kleineren Berufsgewerkschaften gebildet. In diesem Sinne sorgten die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften selbst, unabhängig und autonom, für die weitgehende „Tarifeinheit“ in Betrieb und Branche.
Dieser Tradition verbunden ist die Erklärung der Leiterin des größten ver.di-Landesbezirks NRW, Gabriele Schmidt: „Eine einheitliche und solidarische Interessenvertretung aller Beschäftigten eines Betriebes muss von den Gewerkschaften in eigener Autonomie realisiert werden, wenn sie erfolgreich sein soll“. „Staatliche Eingriffe sind hier Gift für die Tarifautonomie“.
Während im Gegensatz zur Ablehnung des Gesetzes durch ver.di die DGB-Spitze mit einer klaren Stellungnahme zögert, und während die Führungen von IG Metall- und IG BCE das Gesetz begrüßen, fordern KollegInnen in den Betrieben von ihren Gewerkschaften die eindeutige Verurteilung der durch dieses Tarifeinheitsgesetz der SPD-Arbeitsministerin Nahles verübten staatlichen Vergewaltigung der vom Grundgesetz garantierten grundlegenden Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte. Von den Kollegen geht an alle Gewerkschaftsführungen und besonders an die Verantwortlichen der DGB-Gewerkschaften der dringende Auftrag, die vereinte Front und Mobilisierung für die Verhinderung des drohenden Tarifeinheitsgesetzes zu verwirklichen!
Ebenso mehren sich in der SPD Stimmen wie die der AfA-KollegInnen aus Düsseldorf (s.S. 9):
„Wir verurteilen diesen erneuten Eingriff des Staates, der Regierung der Großen Koalition, noch dazu einer SPD-Ministerin, in die Tarifautonomie.“ Alle sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten, die sich den Gewerkschafts- und Arbeiterrechten verpflichtet fühlen, sind aufgefordert, ihre Zustimmung zu verweigern.
Carla Boulboullé
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