Notorisch sind die Bemühungen, einschließlich von Verantwortlichen der Arbeiterbewegung, den Klassenkampf für überholt zu erklären. Die Realität jedoch spricht wie nie zuvor dagegen.
Der Druck der Schuldenbremse und des Wirtschaftskrieges um konkurrenzfähigen Profit zur Verteidigung der Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Kapitals, der die Ausweitung der Tarifflucht und der Zersetzung der Flächentarifverträge verlangt, provoziert die Gegenoffensive der Arbeitnehmer mit ihren Gewerkschaften.
So ist die politische Situation in Deutschland bestimmt von einem Aufschwung der Widerstands- und Streikbewegungen, die geprägt sind von dem Griff der Beschäftigten nach ihren Gewerkschaften in ihrem Kampf für ihre Forderungen.
Für ihre Forderung nach einer kräftigen Reallohnerhöhung für die 3,8 Millionen Metallarbeiter haben sich 800.000 KollegInnen mit ihrer Gewerkschaft in Warnstreiks erhoben. Sie sind nicht der Absicht der IG Metall-Führung gefolgt, sich auf Verbesserungen bei der Altersteilzeit und Weiterbildung zu konzentrieren, die sie mit Lohnverzicht bezahlen sollen. Gegen die Warnung der Unternehmer, ihre Wettbewerbsfähigkeit sei bedroht, haben sie die 3,4 % Lohnerhöhung durchgesetzt.
In ihrer 12. Streikwelle kämpfen die Piloten mit ihrer Gewerkschaft Cockpit für die Verteidigung ihrer Rentenregelung und gegen den vermehrten Einsatz von Billigpiloten auf Billigfluglinien – unter dem Druck der Billigstrategie des Unternehmensvorstandes.
In ersten Warnstreiks haben die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes der Länder den Kampf für ihre Forderungen nach 5,5 Prozent mehr Lohn/Gehalt, mindestens 175 Euro monatlich, nach Stopp der Epidemie der Befristungen, nach tarifvertraglicher Eingruppierung der angestellten Lehrer… eröffnet.
Das ist ihre Antwort auf das Diktat des Verhandlungsführers der Arbeitgeberseite und SPD-Finanzministers von Sachsen-Anhalt, Jens Bullerjahn: „Wer möchte, dass die Bundesländer die Schuldenbremse einhalten (…), der kann diese Forderungen (der Gewerkschaften) nur rundweg ablehnen“.
Unter den Kollegen in ver.di entwickelt sich eine Diskussion: Wie können wir jetzt die Forderungen durchsetzen, die im letzten Tarifkampf nach schnellem Streikabbruch fallen gelassen wurden? Und zwar gegen den willkürlichen Angriff der Arbeitgeber auf die Betriebsrente. „So geht es ja wohl nicht“, weist eine streikende Berliner Erzieherin diese Provokation zurück: „Wir müssen unsere Rechte schützen und uns für Gehaltserhöhungen einsetzen. Die sind nötig“. Peter Kreutler, ver.di-Kollege, warnt: „Hier ein kleines Zurückweichen bei der VBL-ZVK-Provokation und dafür im Gegenzug massive Einbrüche im Bereich unserer Forderungen. (…) Über dieses Thema darf auf gar keinen Fall in dieser Tarifrunde verhandelt werden. Wir haben dafür kein Mandat.“ Er spricht sicher im Namen vieler Kollegen, wenn er sagt: „Wir werden an der Mobilisierung für die Urabstimmung und den unbefristeten Streik nicht vorbeikommen.“ (s. Interview S. 10)
Im April droht der erste große Poststreik seit 21 Jahren. Die Forderungen: höhere Löhne für die rund 180000 Postbeschäftigten und eine neue Arbeitszeitregelung, auch hier gerichtet gegen den Personalmangel.
Der Ankündigung des Streiks vorausgegangen sind zum Teil heftige Diskussionen, in denen Gewerkschaftskollegen immer wieder eingefordert haben, dass ver.di allein dem Mandat verpflichtet sei, den Kampf und Streik gegen die Unternehmerwillkür des Postvorstandes zu organisieren: zur Abwehr und Rücknahme der Ausgliederungen von befristet Beschäftigten in DHL-Tochtergesellschaften, mit drastischen Lohnkürzungen und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen – d.h. für die Durchsetzung der Lohnforderungen, für die Verteidigung des Flächentarifvertrags. Sie haben sich nicht mit dem Hinweis auf „Friedenspflicht“ abspeisen lassen.
Gegen diesen Aufschwung des Klassenkampfes, geprägt von einer gewerkschaftlich organisierten Kampfbewegung, die weit über die hier genannten Arbeitskämpfe und Streiks hinausreicht, will die SPD-Arbeitsministerin der Großen Koalition, Nahles, im Auftrag der Unternehmer und öffentlichen Arbeitgeber auf jeden Fall die Verabschiedung des Tarifeinheitsgesetzes (TEG) erzwingen.
Dieses Gesetz unterdrückt das Streikrecht aller Minderheitsgewerkschaften auf Betriebsebene und bedroht mit der Möglichkeit, einen Streik im Namen der „Unverhältnismäßigkeit“ gegenüber dem „allgemeinen und öffentlichen Interesse“ zu verbieten, das Streikrecht aller Gewerkschaften. Denn die Streiks für die Forderungen der Arbeitnehmer können, wie die Drohung Bullerjahns zeigt, als unvereinbar mit den Geboten der Schuldenbremse und Wettbewerbsfähigkeit erklärt werden – Geboten, die von der Großen Koalition und der EU als Inhalte des „allgemeinen Interesses” definiert werden.
Die Gewerkschaften ver.di, GEW und NGG haben zur Unterschriftsammlung für die Verhinderung des TEG aufgerufen. Weitgehend beschränkt auf das Internet, blieb sie hinter dem Rücken der Gewerkschaftsorganisationen versteckt.
Wie der ver.di-Landesvorstand von NRW, bzw. der Bezirksvorstand in Berlin, haben dagegen zahlreiche Gewerkschaftsgliederungen zu einer wirklichen Mobilisierung um die Unterschriftensammlung durch die Fachbereiche, Betriebsgruppen, Vertrauensleute aufgerufen, haben viele Mitglieder entsprechende Initiativen auf Personalversammlungen ergriffen; sie haben mit den Unterschriftenlisten bei Streiks, in den Tarifkämpfen oder auch in ihren Einrichtungen eingegriffen. Nach zunächst sehr schwachen Ergebnissen ist die Zahl der Unterzeichner jetzt auf über 73.000 gestiegen.
Auf der ver.di Landesbezirkskonferenz Berlin-Brandenburg wurde, wie schon vorher auf der Bundesfachbereichsfrauenkonferenz FB 03, eine Großdemonstration vor der Verabschiedung des Gesetzes zur Tarifeinheit beschlossen. Sie soll dem Ziel dienen, die Bundestagsabgeordneten aufzufordern, gegen das Tarifeinheitsgesetz zu stimmen. Und sie kann Forderungen an Nahles zusammenzufassen, die z.B. der Konzernbetriebsrat der Rhön-Klinikum AG, der bundesweit 16.000 Beschäftigte in 10 Kliniken vertritt, in einem Offenen Brief an die Ministerin gerichtet hat: „Nehmen Sie den Gesetzentwurf zur Tarifeinheit zurück!“.
Dafür muss die geforderte Mobilisierung der Gewerkschaftsmitglieder um die Massenunterschriftensammlung gefördert werden. Alle wissen, nur durch eine solche wirkliche Mobilisierung aller gewerkschaftlichen Organe und Mitglieder kann die Kraft entstehen, die in der Lage ist, Nahles und das TEG zu stoppen.
Viele sozialdemokratische GenossInnen haben sich ihrerseits für die Unterstützung der Unterschriftensammlung engagiert und, um zur Verhinderung des TEG beizutragen, in der SPD Beschlüsse durchgesetzt für das Nein der SPD und ihrer Abgeordneten im Bundestag.
Diese Diskussion stand auch im Zentrum der bundesweiten Arbeitnehmerkonferenz am 26. Februar in Berlin: alle Gewerkschafter, Sozialdemokraten und politisch Engagierte, sind eingeladen sich zu sammeln, um verstärkt ihren Platz in dem Kampf gegen das „Tarifeinheitsgesetz“ einzunehmen, von dem die größte Gefahr für die deutsche Arbeiterbewegung und die Demokratie droht.
Carla Boulboullé
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