Über 710.000 Flüchtlinge sind nach letzten Zahlen auf europäischem Territorium. Nicht wenige kommen aus Syrien.
Es gibt eine direkte Wechselwirkung zwischen der Ausweitung des von den Großmächten geführten Bombenkrieges in Syrien und der wachsenden Welle syrischer Flüchtlinge, die in den letzten Wochen in Europa ankommen.
Nach Angaben aus der Bundesregierung werden in Deutschland bis Ende des Jahres 800.000 bis zu über eine Million Flüchtlinge erwartet – in die Flucht getrieben durch zerstörerische Kriege, soziales Elend und Chaos; durch Kriege, die im Interesse der internationalen Finanzgruppen und Großkonzerne für Rohstoffe, Öl und um Märkte geführt werden. Es ist die Regierung der Großen Koalition, die entschieden hat, Kampfpanzer nach Katar zu liefern. Das mitten in der Krisenregion am Golf liegende Emirat ist im Kriegseinsatz im Irak und im Jemen engagiert. Die Militärhilfe für den Irak soll ausgeweitet werden; weitere Waffenlieferungen sind den Kurden im Nordirak versprochen.
Die gleiche Regierung, die durch ihre Politik der Ausweitung des Krieges weitere Millionen Menschen zwingen wird, ihre Heimat zu verlassen um zu überleben, hat am 15. Oktober 2015 ein Gesetz durch den Bundestag gepeitscht, das die schärfsten Angriffe auf das Asylrecht seit Anfang der 1990er Jahre vorsieht.
Diese gleiche Regierung führt in Deutschland einen „sozialen Krieg“ gegen die sozialen Errungenschaften und demokratischen Rechte. Im Namen der Schuldenbremse und schwarzen Null unterwirft sie seit Jahren Bund, Länder und Kommunen einer Kaputtsparpolitik, die eine verheerende Spur der sozialen Demontage hinterlassen hat – u.a. den Verfall der staatlichen Infrastruktur.
Jedes Jahr fehlen 35 bis 40 Milliarden Euro in den öffentlichen Bildungshaushalten. Allein für die Schulen fehlen heute schon deutschlandweit 22 Milliarden Euro. An den öffentlichen Krankenhäusern beträgt der „Investitionsstau“ 50 Mrd. Euro. 162 000 Beschäftigte fehlen bundesweit in den Kliniken!
Etwa eine Million Flüchtlinge kommen jetzt in dieses Deutschland, in dem durch die jahrelange und unter der Großen Koalition noch verschärft fortgesetzte Agenda-Politik die soziale und staatliche Infrastruktur und die kommunale öffentliche Daseinsvorsorge kaputtgespart wurden.
Wegen des weggesparten Personals in den Verwaltungen scheitern die völlig überforderten kommunalen Beschäftigten schon bei der Registrierung. Den Flüchtlingen werden oft wochenlange Wartezeiten zugemutet.
Doch Merkel und diese Große Koalition wollen auch für das Jahr 2016 an der schwarzen Null festhalten.
Unter dieser Prämisse übernimmt der Bund 670 Euro pro Flüchtling/pro Monat ab dem Tag der Registrierung bis zum Ende des Asylverfahrens. Das ist etwa die Hälfte der tatsächlichen Kosten, so Brandenburgs Regierungschef Dietmar Woidke (SPD), auch Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz: „In der Erstaufnahme haben wir in Brandenburg monatlich circa 1200 Euro Kosten pro Flüchtling“. Er fordert vom Bund, dass er mehr als die Hälfte dieser Kosten übernehmen und „künftig pauschal pro Flüchtling den Kommunen überweisen sollte“. Ein Alarmruf kommt vom Stadtkämmerer von Mülheim an der Ruhr, Uwe Bonan. Er appelliert an die Landesregierung in NRW: „Wenn wir jetzt keine volle Kostenerstattung bekommen, müssten wir andere Maßnahmen beschließen, zum Beispiel das Schließen von öffentlichen Einrichtungen sei es Schwimmbäder oder Museen, oder wir müssten Steuern erhöhen.“
Da vor der Registrierung die Ausgabe der Krankenscheine verweigert wird, gibt es für viele Flüchtlinge keine medizinische Versorgung. Mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen waren dringende Forderungen der Kita-ErzieherInnen in ihrem wochenlangen Streik. Jetzt sollen die Flüchtlingskinder zusätzlich in unterversorgten Kitas, wie auch in maroden Schulen unterkommen.
Unter diesen empörenden Verhältnissen, in denen die ruinierten Kommunen daran scheitern, die gleichen sozialen und demokratischen Grundrechte für alle Arbeitnehmer, Arbeitslose, Rentner, für die Jugend und Kinder zu gewährleisten, offenbart sich das tatsächliche Staatsversagen, wofür die brachiale Spar- und Deregulierungspolitik der Großen Koalition und ihrer Vorgänger die Verantwortung trägt. Es ist die Fortsetzung dieser Politik durch Merkel und die Große Koalition, die das Klima für Fremdenfeindlichkeit fördert und sozialen und politischen Sprengstoff legt.
Auf dem ver.di-Bundeskongress forderte die Delegierte Katharina Lange zu ihrer Begründung eines entsprechenden Initiativantrags: „Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen, die bereits hier leben, genauso wie die Menschen, die jetzt zu uns kommen und hier bleiben wollen und bleiben sollen, mit allem ausreichend ausgestattet, unterstützt und versorgt werden können. Wir müssen dafür sorgen, dass die öffentlichen Dienste (…) so ausgestattet werden, dass nicht die einen gegen die anderen ausgespielt werden und sich daraus das ganze rechte Spektrum einen neuen Grund sucht, um Menschen gegeneinander auszuspielen und Fremdenhass zu schüren.“
GewerkschaftskollegInnen in Berlin haben jetzt die Initiative für eine Diskussion in ver.di ergriffen.
Sie schreiben:
„Um ein gegenseitiges Ausspielen von Flüchtlingen und heimischer Bevölkerung, um Entgegensetzung und Fremdenhass zu verhindern, muss ausreichend Personal in der Verwaltung wie Bezirksämtern, müssen Lehrer, Erzieher und Ärzte, Pflegepersonal eingestellt werden. Der Kita-Ausbau muss gefördert werden, Wohnungsbau darf kein „Flüchtlingswohnungsbau“ sein; es muss generell in den Bau bezahlbarer Wohnungen im sozialen Wohnungsbau investiert werden.
Einen Ausweg aus der dramatischen Situation kann es nur geben im Rahmen des Kampfes der gesamten arbeitenden Bevölkerung und Jugend mit ihren Organisationen, mit ihren Gewerkschaften – für das Recht für alle auf die öffentliche Daseinsvorsorge, auf Wohnung, auf Bildung und qualifizierende Ausbildung, auf einen tarifvertraglich geschützten Arbeitsplatz.
Hier sehen wir die Verantwortung unserer Gewerkschaft ver.di.“
Sie haben zur Diskussion gestellt, dass ver.di gemeinsam mit den KollegInnen aus den Ämtern, Schulen, öffentlichen Einrichtungen… eine Demonstration, verbunden mit einer Delegation zum Regierenden Bürgermeister oder auch zu den Fraktionen im Rathaus vorbereitet. Sprecher/Vertreter der Flüchtlinge sollen integriert werden. Andere Gewerkschaften, besonders die GEW, sollen für diese Initiative angesprochen werden.
Dieser Vorschlag wird zurzeit in der Gewerkschaft wie unter den KollegInnen diskutiert.
Carla Boulboullé
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