74,3 %! … Dieses Ergebnis seiner Wahl zum Parteivorsitzenden auf dem Bundesparteitag der SPD traf Gabriel wie ein Faustschlag.
2009 wird Gabriel mit dem Versprechen zur Agenda-Politik Schröders auf Distanz zu gehen mit 94% gewählt.
Mit 83,4% wurde er 2013 dafür abgestraft, dass er, auf Druck des DGB, zwar erneut Korrekturen an der Agenda-Politik versprach, aber von der SPD damit den Eintritt in die Große Koalition unter Kanzlerin Merkel erpresste.
Die trügerischen Korrekturen, wie die Einführung des Mindestlohns auf Kosten der Tarifverträge und der Rente mit 63 für einen kleinen Teil auf Kosten der großen Mehrheit, dienten dazu, von der verschärften Fortsetzung der arbeitnehmer- und gewerkschaftsfeindlichen Politik abzulenken: Die Kaputtsparpolitik unter dem Diktat der Schuldenbremse gegen die staatliche und soziale Infrastruktur, Krankenhäuser, Schulen und kommunale Daseinsvorsorge; Fortsetzung des Lohndumpings durch die Ausweitung der Deregulierung, Prekarisierung und Zersetzung der großen Flächentarifverträge. Das bezahlte die SPD mit immer neuen Wahlniederlagen, der Wahlverweigerung der Arbeitnehmer und damit, dass sie weiterhin um 25 % dümpelt.
Und diese Politik ist zugleich Ursache für den Aufschwung der Streikbewegungen der Arbeiterschaft für mehr Lohn und Personal, für die Verteidigung und (Rück-)Eroberung gewerkschaftlicher Tarifverträge.
Zuletzt flossen die Forderungen und Bedürfnisse der durch Krieg und Chaos zu Hunderttausenden zur Flucht in unser Land gezwungenen Menschen mit denen der einheimischen Arbeitnehmer und Jugend zusammen: für die endliche Finanzierung von mehr Personal und geregelten Arbeitsverhältnissen, für die Wiederherstellung und Verteidigung der ruinierten sozialen Infrastruktur in Kommunen und Ländern.
Doch die Große Koalitionsregierung Merkel/Schäuble/Gabriel verweigert im Namen von Schuldenbremse und „schwarzer Null“ die notwendigen Finanzmittel und fördert im Namen der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft die Ausweitung der Niedriglohnverhältnisse.
Die 74,3 % für Gabriel sind eine Ohrfeige für den Vizekanzler und Wirtschaftsminister der Großen Koalition, eine Absage an dessen Politik. Sie sind ein Desaster für den Parteivorsitzenden, der die SPD unter den Zwängen der Politik der Großen Koalition in die Selbstzerstörung treibt. Und sie signalisieren, dass mit einem Kandidaten Gabriel die SPD keinen Ausweg aus ihrem politischen Dilemma finden wird. Das gilt aber erst recht für die Arbeiterschaft, ihre Gewerkschaften und die Jugend, die keinerlei Hoffnung auf ein Ende der zerstörerischen Spar- und Deregulierungspolitik mit einem solchen Kandidaten verbinden können.
In dem von der SPD-Führung vorgelegten und beschlossenen Leitantrag des SPD-Bundesparteitags „Für eine „integrative Flüchtlingspolitik“ heißt es:
„Die allererste Pflicht aller Staaten, aller staatlichen Ebenen und aller gesellschaftlichen Kräfte ist jetzt, diesen Menschen zu helfen, sie unterzubringen, zu ernähren, zu kleiden, medizinisch zu versorgen.(…) Alle Menschen in unserem Land brauchen Bildung, Arbeit und bezahlbare Wohnungen.“
Das kann nur wie Hohn in den Ohren dieser Menschen klingen.
Es ist die SPD-Führung unter Gabriel, die in der Großen Koalition die Mitverantwortung für eine Politik trägt, die für die Ruinierung der Infrastruktur des Sozialstaates gesorgt hat und das Personal in der Verwaltung, in Schulen und Krankenhäusern katastrophal ausgedünnt hat. Und die den Flüchtlingen, die in dieses kaputtgesparte Land kommen, die nötigen Finanzmittel für eine wirkliche Integration verweigert. So hat sie gerade einem Bundeshaushalt zur Weiterführung der drastischen Sparpolitik zugestimmt, um die Schuldenbremse nicht zu gefährden.
Von der Großen Koalition werden sofort Milliarden aufgebracht, um den Kriegseinsatz der Bundeswehr in Syrien zu finanzieren, von dessen Ausweitung Gabriel schon jetzt mit dem möglichen Einsatz von Bodentruppen spekuliert, und unter dessen verstärktem Bombenhagel neue zahllose Menschen in die Flucht getrieben werden.
„Weiter so“! –
Gabriel zeigt mit seiner Antwort auf sein desaströses Wahlergebnis, wohin für ihn der Weg geht: Seine Partei müsse sich nun über eines klar sein: Es sei mit Dreiviertelmehrheit entschieden worden, wo es langgehe – „Und so machen wir es jetzt auch.“
Damit gibt er grünes Licht für die Offensive der Arbeitgeberverbände, die Deregulierung der Arbeitsverhältnisse voranzutreiben – unter Missbrauch der großen Zahl der Arbeitnehmer und Jugendlichen, die durch Krieg, Terror und Elend aus ihren Ländern vertrieben wurden und Zuflucht und Arbeit in Deutschland suchen
Reinhard Göhner, Chef der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) fordert zwölfmonatige „Praktika“ in den Unternehmen, um junge Flüchtlinge ausbildungsfähig zu machen, und das bei einem Stundenlohn unterhalb der gesetzlichen 8,50 Euro.
Unter dem massiven Druck von Unternehmerseite, die auf die radikale Ausweitung von Werkverträgen und Leiharbeit drängt, um weitere Hunderttausende Arbeitnehmer aus der Tarifbindung rauszureißen, ist der Gesetzentwurf der Bundesarbeitsministerien Nahles (SPD) zur „Regulierung“ von Leiharbeit und Werkverträgen zu „einem Flop“ verkommen. „Der ohnehin schon zahme „Regulierungs“versuch ist vollends aufgeweicht“ (ver.di, 16.11.2015); durchlöchert von allen möglichen Öffnungsklauseln.
100.000 Ein-Euro-Jobs will Arbeitsministerin Andrea Nahles „zur Integration von Flüchtlingen in Beschäftigung“ einrichten – und bietet damit den in den Ruin gesparten Kommunen die „Chance“ zu einer deutlichen Ausweitung prekärer Beschäftigung in der öffentlichen Daseinsvorsorge.
Wenn Gabriel entscheidet, so wie bisher weiter zu machen, wird das den Widerstand der Arbeitnehmer provozieren, die immer stärker nach ihren Gewerkschaften greifen, um mit ihrem Kampf ihre Forderungen für mehr Personal und Lohn gegen die Anforderungen der Schuldenbremse und Wettbewerbsfähigkeit durchzusetzen und ihre Tarifverträge gegen Tarifflucht und Ausgründung zu verteidigen. Das bezeugen die Kämpfe gerade der Beschäftigten in den Bereichen, die von Ausgliederung in tariflose Tochtergesellschaften besonders hart betroffen sind, in den Krankenhäusern – aber auch im gesamten Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge.
Das ist der Weg des gewerkschaftlich organisierten Kampfes der Arbeiterschaft und Jugend für die gleichen Interessen und Forderungen, für mehr Personal, für das Recht auf qualifizierte Bildung und Weiterbildung, für die tarifvertraglichen Schutzrechte, aller – der einheimischen wie der zur Flucht gezwungenen – Arbeitnehmer und Jugendlichen.
Carla Boulboullé
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