Erfüllung der Forderungen – Mehr Personal

Die organisierten gewalttätigen Angriffe auf die jungen Frauen in der Silvesternacht in Köln sind vor allem ein Zeugnis staatlichen Versagens durch die Politik der Regierung der Großen Koalition. Und das in zweifacher Hinsicht.

Da ist das Versagen des Staates, der nicht in der Lage ist, die jungen Frauen vor Diebstahl und sexueller Belästigung zu schützen. Die Verantwortung dafür trägt die von der Großen Koalition fortgesetzte Sparpolitik, der auch Polizei- und Justizpersonal zum Opfer fiel.

Die politisch Verantwortlichen nutzen und missbrauchen die Situation, dass diese kriminellen Übergriffe offensichtlich im Wesentlichen ausgingen von schon seit einiger Zeit Ansässigen plus neuen Asylbewerbern aus vage bezeichneten „nordafrikanischen und arabischen“ Ländern, um sich gegenseitig mit Gesetzesmaßnahmen für weitere Einschnitte in das Asylrecht und die damit verbundenen sozialen Rechte und Leistungen für Hunderttausende zu überbieten.

Dabei stellt der SPD-Vorsitzende und Vizekanzler dieser Großen Koalition, Sigmar Gabriel, seine Unterwürfigkeit unter die Politik der Seehofer, Schäuble und Merkel erneut unter Beweis, um zu bekräftigen, dass die SPD – auch zum Preis des Dahinsiechens der eigenen Wählerbasis – noch immer der eigentliche „Stabilitätsfaktor“ (Gabriel) in der Großen Koalitionsregierung ist.

Diese Reaktion der Politiker der Großen Koalition steht in auffälligem Kontrast zum Verhalten der gleichen politischen Verantwortlichen gegenüber ihrem Versagen, die Flüchtlingsfamilien vor der Welle von Brandanschlägen auf ihre Unterkünfte und vor zunehmenden physischen Attacken zu schützen.

In zweiter und ursächlicher Hinsicht ist aber auch das mehr oder weniger spontan-kriminelle Verhalten vieler der vor Chaos und Krieg geflüchteten Männer in diesem Ausmaß und in dieser Form ein anklagendes Zeugnis für das Versagen des „Sozialstaates“, wieder verursacht durch die Politik der Großen Koalition, sowohl die Erstversorgung zu garantieren, wie erst recht endlich die Bedingungen zu schaffen für die wirkliche „Integration“ aller geflüchteten ArbeitnehmerInnen und Jugendlichen in diese Gesellschaft.

 „Die sogenannte Flüchtlingskrise legt dieses andauernde Politikversagen schonungslos offen“, schreibt Dierk Hirschel (in ver.di-publik 8/15): „In den Verwaltungen fehlt Personal. In den Schulen bröckelt der Putz von der Wand… Die Republik fährt seit über einem Jahrzehnt auf Verschleiß. (…) Stabilitätspakt und Schuldenbremsen zwingen die Kassenwarte, am Sparkurs festzuhalten.“

 Aufhebung der Schuldenbremse

Im öffentlichen Dienst fehlen 200.000 Stellen. „Der Stellenabbau der vergangenen Jahre macht sich jetzt besonders schmerzlich bemerkbar“, so der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske (5. Januar 2016, dpa). Notwendig sei der sofortige Ausbau des öffentlichen Dienstes: „Kitas, Sozialdienst, Schulen, Bundesagentur, Jobcenter und viele andere Bereiche brauchen mehr Personal.“

Und schon vorher fehlten Hunderttausende – bezahlbare – Wohnungen in den Ballungszentren, warnt Bsirske. „Egal, ob Bildung, Pflege oder sozialer Wohnungsbau – erst jetzt wird deutlich, wie massiv viele Bereiche der öffentlichen Infrastruktur unterfinanziert sind“. Ein Festhalten an der „Schwarzen Null“ sei „fatal“, so Bsirske.

Infolge der Agenda-Politik hat Deutschland eine enorme Zunahme von prekärer Beschäftigung, von Niedriglöhnen, Leiharbeit, Befristungen… erlebt (Bsirske). Mit den rechtlosen Ein-Euro-Jobs, in die die Arbeitslosen gezwungen wurden, wurde ein breiter Billig-Job-Markt produziert. In der großen Zahl der Arbeitnehmer und Jugendlichen, die heute auf der Flucht vor dem Krieg und sozialem Elend eine neue Lebensgrundlage in Deutschland suchen, sehen die Arbeitgeber, wie auch die kaputtgesparten Kommunen nun eine weitere Chance auf die Ausweitung des Heeres von Billigjobbern, außerhalb jeder Tarifbindung. So will Arbeitsministerin Nahles mit 100.000 Flüchtlingen die Ein-Euro-Jobs auffüllen. Bis zu 10.000 sollen für ein Taschengeld in den Bundesfreiwilligendienst (BFD) gepresst werden.

 

Während die Regierung der Großen Koalition über immer neue Maßnahmen zur Verschärfung des Ausländerrechts diskutiert; über schnellere Ausweisungs- und Abschiebemöglichkeiten: über Schließungen der Grenzen oder über verfassungswidrige Wohnsitzauflagen ( Gabriel); während CDU/CSU ein Gesetz zur Integrationspflicht (!) für Flüchtlinge fordern oder wie NRW-Ministerpräsidentin H. Kraft einen Schwur auf „unsere Werte“  – verweigern sie gleichzeitig den neuen ArbeitnehmerInnen und Jugendlichen die sozialen Rechte, die die materiellen Voraussetzungen für die Integration sind: wie kostenlose Bildung, Ausbildung und Sprachförderung, berufliche Qualifizierung… Ebenso das Recht auf Wohnung, vor allem aber auch auf einen tarifvertraglich geschützten Arbeitsplatz.

Diese Politik der Großen Koalition hebelt unter dem Diktat der Schuldenbremse das Verfassungsprinzip der Sozialstaatlichkeit aus, das sie verpflichtet, allen, die hier leben, ein menschenwürdiges Dasein zu garantieren. Diese Politik ist verantwortlich für die Ruinierung der sozialstaatlichen Infrastruktur und damit für die untragbaren chaotischen Verhältnisse, denen jetzt 100.000e Flüchtlinge ausgeliefert werden und mit denen der Keim für Gewaltausbrüche wie in Köln gelegt wird.

Die oben zitierten Ausführungen der ver.di-Verantwortlichen sind geeignet, in der Arbeiterbewegung eine Diskussion anzuregen über die Notwendigkeit des Kampfes der Gewerkschaften für die staatliche Finanzierung eines sofortigen Beschäftigungsprogramms: Bereitstellung der erforderlichen Milliarden für mehr Personal in der kommunalen Verwaltung, bei den Sozialdiensten, in der öffentlichen Daseinsvorsorge, für Sprachförderung und Ausbildung, für Lehrpersonal in den Schulen und ErzieherInnen in den Kitas…

Die KollegInnen im öffentlichen Dienst (Bund und Kommunen) bereiten mit ihren Gewerkschaften ihren Tarifkampf vor. Sie werden nicht akzeptieren, dass mit dem zusätzlichen „Argument“ der Kosten für die Flüchtlinge ihre berechtigten Lohnforderungen abgewiesen und den unter diesen Bedingungen verschärften Anforderungen der Schuldenbremse geopfert werden sollen.

Und es wird in diesem Zusammenhang niemanden überraschen, wenn die KollegInnen versuchen würden, der Forderung nach „mehr Personal“ in ihrem beginnenden Tarifkampf im öffentlichen Dienst Ausdruck zu verschaffen. So wie das schon indirekt geschehen ist in vorherigen Tarifkämpfen mit den Forderungen nach Aufwertung ihrer Arbeit und Aufhebung der Befristungen.

Mit dem Kampf für die Erfüllung ihrer Forderungen werden die KollegInnen eine Bresche schlagen dafür, dass, entgegen den Vorgaben der Schuldenbremse, die sozialen Rechte für die Flüchtlinge verwirklicht werden.

Carla Boulboullé

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