Das Ergebnis der drei Landtagswahlen am 13. März ist eine entschiedene Abfuhr für die Politik der Großen Koalition, verantwortlich für den seit Jahren „hausgemachten sozialen Sprengstoff“ (ver.di), wie für den mit der Organisierung des Chaos um die Flüchtlinge neu angehäuften sozialen Sprengstoff. Eine wütende Absage besonders an die Parteien der Großen Koalition und eine Vertiefung des Abgrunds, der sich zwischen dem Regierungssystem der großen Koalition und der Bevölkerungsmehrheit aufgetan hat.
In den drei Ländern gibt es keine parlamentarische Mehrheit mehr für eine Große Koalition. Die Destabilisierung der Regierung der Großen Koalition unter Merkel äußert sich in der – offen vom CSU-Vorsitzenden Seehofer formulierten – Befürchtung ihrer tragenden Kräfte, dass diese Mehrheit auch für eine Fortsetzung einer Großen Koalition in den nächsten Bundestagswahlen 2017 zu fehlen droht.
Über die Parteien dieser Regierung hinaus mussten alle „etablierten“ Parteien schwere Verluste hinnehmen: in ihrer früheren Hochburg Baden-Württemberg verliert die CDU ein Viertel ihrer Wähler. Die SPD verliert in Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg fast die Hälfte ihrer bisherigen Wähler, vor allem bei Arbeitnehmern, in der prekarisierten Arbeiterschaft und Jugend, und stürzt auf 10,6%, bzw. auf 12,7% ab. Sie verliert erneut massiv durch Wahlverweigerung von Arbeitnehmern und Jugendlichen.
Der Niedergang der beiden Parteien der Großen Koalition und besonders der SPD beginnt nicht erst heute, auch wenn er sich mit der Erfahrung der Politik der Integrationsverweigerung der Flüchtlinge sprunghaft verschärft. In der SPD-Hochburg Mannheim waren SPD-Wahlergebnisse von über 50% noch bis zur Agenda-Politik Schröders selbstverständlich. In den Arbeitervierteln des Mannheimer Nordens stiegen mit Ausweitung der prekären Arbeitsverhältnisse und der Hartz-IV-Verarmung die SPD-Verluste.
Jetzt ist die SPD-Bastion endgültig gefallen: mit 30,1% hat der AfD-Kandidat das Landtagsmandat vor der SPD-Kandidatin erobert. „Alles hat mit Schröders Agenda angefangen“, erklärt diese. „Viele Menschen haben das Vertrauen in die SPD verloren. Das war eine Protestwahl. Die Menschen haben Angst.“
Die Grünen und die Linkspartei werden zu den „etablierten“ Parteien gezählt. Beide tragen, jede auf ihre Weise, die Politik der Großen Koalition, die sie in ihren Regierungspositionen voll umsetzen und in der parlamentarischen „Opposition“ kritisch und – häufiger von der Linkspartei praktiziert – auch punktuell ablehnend begleiten.
Die Grünen verlieren in Rheinland-Pfalz fast 60 %. Die Linkspartei erlebt ihren Absturz in Sachsen-Anhalt und stagniert in den westlichen Bundesländern. Wer wie die Linkspartei die Wahlergebnisse als einen „gesellschaftlichen Rechtsruck“ kennzeichnet, macht die Wähler verantwortlich für ihre Niederlage und lenkt von ihrer eigenen Verantwortung ab, der arbeitenden Bevölkerung und Jugend keine Perspektive im Kampf gegen die Politik der Großen Koalition zu bieten.
Die AfD (s. S. 2) holt sich den Hauptteil ihrer Stimmen (bis zu 40%) aus dem immer größer werdenden Reservoir der Nichtwähler, die sich jetzt mobilisierten, um ihren Protest gegen die Politik der Großen Koalition und aller etablierten Parteien über diese Antenne zu artikulieren. Größere Stimmanteile kommen von den kleinen rechtsextremen Parteien und von der CDU.
Auch die Ablehnung der Politik der Großen Koalition und der sie tragenden Parteien ist nicht neu. Sie fand auf Wahlebene vor allem in der zunehmenden Wahlverweigerung ihren Ausdruck. Sie wird an diesem 13. März zur scharfen Absage, weil sie sich auf die Protestwahl der sich massiv mobilisierenden Nichtwähler stützt.
Das ist die Absage an eine Politik, die im Namen der Schuldenbremse und Senkung der Arbeitskosten für jenen „hausgemachten“ sozialen Sprengstoff verantwortlich ist:
- des Investitions- und Personalnotstands in Schulen, Kitas, Krankenhäusern, kommunaler Verwaltung und Daseinsvorsorge;
- der Förderung von Tarifflucht und Lohndumping, Ausweitung des Heeres von Billiglöhnern und von Hartz-IV-Empfängern;
- der Verarmung in bestimmten Bundesländern – wie z.B. in Sachsen-Anhalt – in Regionen und in einem wachsenden Anteil der Kommunen.
Und das ist die verschärfte Absage an eine „Flüchtlingspolitik“, die auch hier im Namen der Schuldenbremse alle notwendigen Finanzmittel für die wirkliche Integration der Flüchtlinge in diese Gesellschaft verweigert und so das Chaos organisiert und die Entgegensetzung und Fremdenfeindlichkeit schürt.
Nur noch größeren Widerstand wird diese „Flüchtlingspolitik“ provozieren, wenn die Regierung es wagt, die Flüchtlinge für eine neue Offensive der Tarifflucht und des Lohndumpings zu instrumentalisieren. Sie kündigt sich an in den Gesetzesinitiativen der SPD-Arbeitsministerien Nahles zur „Schaffung“ von 100.000 Ein-Euro-Jobs, zur Förderung der Leiharbeit, sowie noch massiver der Werkverträge, die alle tarifvertraglich und gesetzlich geschützten Arbeitsverhältnisse unterlaufen.
Im Kampf gegen die Politik der Großen Koalition kann es auf der Ebene von Wahlen keine Lösung im Interesse der Arbeiterschaft und Jugend und der Demokratie geben.
Die Arbeitnehmer haben in ihren Gewerkschaften in dem Aufschwung der Streikbewegungen bewiesen, dass sie nicht bereit sind, unter den Zwängen der Schuldenbremse und der Senkung mit dem Hinweis auf die Kosten für die Flüchtlinge und der Notwendigkeit ihrer „Integration“ als rechtlose Billiglöhner in den Arbeitsmarkt.
Die 2,1 Millionen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes des Bundes und der Kommunen fordern in ihrem Tarifkampf 6% mehr Lohn, die höhere Eingruppierung besonders des Pflegepersonals und die Einschränkungen der Befristungen.
In Übereinkunft mit dem Wirtschaftsminister und SPD-Vorsitzenden Gabriel hat Bundesfinanzminister Schäuble nur 2 % für die Tarifrunde im Haushalt eingestellt – mit Rücksicht auf die Finanzierung der Flüchtlingskosten und des Feigenblatt-„Sozialpakets“, mit dem Gabriel einige Almosen nicht nur an die Flüchtlinge sondern auch „für unsere eigene Bevölkerung“ verteilen will.
Der Verband der kommunalen Arbeitgeber (VKA) handelt ähnlich. Er droht, bei Durchbrechung der Schuldenbremse durch ein zu hohes Tarifergebnis, mit Kompensationen durch Streichung von Leistungen und Personal und durch Tarifflucht mittels Privatisierungen und Auslagerungen. Ver.di hat erste Warnstreiks angekündigt.
Die Kollegen wissen aus Erfahrung, dass nur die Organisierung der notwendigen gewerkschaftlichen Kampfkraft, gestützt auf Streikbereitschaft, darüber entscheidet, ob die Arbeitnehmer dieses staatliche Lohnverzichtsdiktat durchbrechen und das erkämpfte Tarifergebnis gegen alle Kompensationspläne verteidigen.
Ist das nicht der Weg, sich auf gewerkschaftlich organisierte Kämpfe direkt für mehr Personal und Investitionen und gegen alle Formen der Tarifflucht durch Auslagerungen und Werkverträge… vorzubereiten – Maßnahmen, welche die Regierung der Großen Koalition verweigert?
Carla Boulboullé
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