Der schnelle Tarifabschluss am Freitag, den 29. April, für die 2,5 Millionen Beschäftigten im Tarifkampf öffentlicher Dienst in Bund und Kommunen hat die KollegInnen überrascht und auch irritiert.
Umso mehr wird er von den Arbeitgebern und Gewerkschaftsvertretern gleichermaßen gelobt.
Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske hatte zuletzt mit massiven Warnstreiks an den Flughäfen zu einem schnellen Vertragsergebnis gedrängt. Die überwältigende Mehrheit der kampfbereiten KollegInnen kam erst gar nicht zum Einsatz.
Entspricht das Ergebnis dem Willen und der Kampfbereitschaft der KollegInnen, die sich in ihren Forderungen ausdrückten?
2,4 mehr Lohn und 35 Euro mehr für die Auszubildenden für das Tarifjahr ab 1. März – das wischt das erbärmliche Lohnverzichtsangebot der Arbeitgeber weg, das die Gewerkschaften zu Recht als „Provokation“ zurückgewiesen hatten.
Das ist eine Reallohnerhöhung, gewiss, aber nicht die kräftige Erhöhung, welche die KollegInnen mit den 6 % und den 100 Euro für die Auszubildenden bezogen auf 1 Jahr gefordert hatten und für die sie zu kämpfen bereit waren. Eine weitere, leicht geringere Lohnerhöhung in 2017 soll in den Medien darüber hinwegtäuschen, wobei das bei den KollegInnen jedoch eher größeres Misstrauen weckt.
Frank Bsirske verteidigt das Ergebnis als „einen Kompromiss, der die Reallöhne deutlich erhöht, die Kaufkraft stärkt und dazu beiträgt, den öffentlichen Dienst in Deutschland attraktiver zu machen.“
Die durch die Lohnerhöhung verstärkte Kaufkraft wird aber wieder dadurch geschwächt, dass die Mehrkosten für die beschlossene höhere Eingruppierung verschiedener Berufsgruppen zur Hälfte durch die Senkung und Einfrierung der Jahres-Sonderzahlung für die Arbeitnehmer kompensiert werden. Auch wird sie zudem geschwächt durch die vereinbarte paritätische Beitragserhöhung von 0,4 Prozentpunkten zur betrieblichen Altersvorsorge. Nicht wenige KollegInnen hatten in Diskussionen die Meinung vertreten, den willkürlichen erpresserischen Angriff der Arbeitgeber auf die Betriebsrente aus der Tarifrunde rauszuhalten und zu einem späteren Zeitpunkt zu bekämpfen.
Ganz fallen gelassen wurde von der Verhandlungskommission die Forderung nach einer radikalen Einschränkung der Seuche von befristeten Arbeitsverhältnissen, die nicht zuletzt die gewerkschaftliche Kampfkraft der Belegschaft schwächt.
Die Warnstreiks reichten aus, um mit einer bestimmten Reallohnsteigerung das Spardiktat der Arbeitgeber zu durchbrechen. Um aber mit den Befristungen Schluss zu machen und die Lohnerhöhung gegen Kompensationen zu verteidigen – erst recht gegen die angekündigte und jetzt zweifellos folgende Tarifflucht durch Ausgründungen und Privatisierung – hätte es einer Streikbewegung bedurft, wie sie in der letzten Zeit erfolgreich organisiert wurde. Das ist die Erfahrung der KollegInnen und das lebte in der Kampfbereitschaft, die nicht zur Aktion werden konnte.
In Diskussionen um die Forderungen in den Warnstreiks tauchte immer wieder das Bedürfnis des Kampfes gegen die unerträglichen Arbeitsbedingungen auf, des Kampfes für mehr Personal, gegen Ausgliederungen und für die Verteidigung bzw. (Re-)Integration in die Flächentarifverträge.
So haben sich die KollegInnen des gewerkschaftlichen Aktionsausschusses „Keine prekäre Arbeit und tariffreien Bereiche im Verantwortungsbereich des Landes Berlin“ an die Berliner Mitglieder der Bundestarifkommission gewandt, „neben einer Lohnforderung natürlich die Fragen (…) des fehlenden Personals zu diskutieren“. Die Fragen der Ausgliederungen und des TVöD für alle: „Sie müssen im Tarifkampf eingebracht werden“.
Bei Vivantes hat die Tarifkommission der ausgegliederten Service GmbH beschlossen „Wir fordern den TVöD in der Service GmbH! Schluss mit Lohndumping und Ungleichbehandlung.“ Die TherapeutInnen fordern die Auflösung der Tochtergesellschaft Vivantes Therapeutische Dienste GmBH, um für alle den TVöD zu erhalten. Mit diesen Forderungen haben sich die KollegInnen von Vivantes gemeinsam während der Tarifrunde 2016 in den Streik eingegliedert.
Die KollegInnen im öffentlichen Dienst haben ihre entschiedene Kampfbereitschaft bewiesen. Doch für sie stellt sich heute die brennende Frage: wo finden sich ihre Forderungen in dem Tarifergebnis wieder?
In einem Flugblatt vom 31.3.2016 zeigt ver.di auf, dass sich „hinter Begriffen wie Servicebetrieb oder Tochtergesellschaft Werkverträge und Leiharbeit verbergen.“ Und dass „im Durchschnitt 20 Prozent der Belegschaften in »Töchter« oder »Servicegesellschaften« ausgegliedert sind, Tendenz steigend.“
Und die Konsequenz?
Die DGB-Gewerkschaften hatten der Großen Koalition im Namen des „Politikwechsels für Arbeitnehmer“ den Auftrag für eine Gesetzesinitiative für die Einschränkung des „Missbrauchs“ der Leiharbeit und Werkverträge gegeben.
Die jetzt unter dem Druck der Unternehmerverbände und Unionsparteien vorgelegte Gesetzesinitiative der SPD-Arbeitsministerien Nahles fördert dagegen die Epidemie der Ausgründungen und Fremdvergabe; sie unterläuft alle tarifvertraglich und gesetzlich geschützten Arbeitsverhältnisse. Während Annelie Buntenbach vom DGB-Vorstand noch Mitte Februar diesen Gesetzentwurf verurteilt hat, weil er Lohndumping weiterhin zulasse und Tarifflucht durch die Zulassung von Abweichungen per Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung honoriere, appellierte sie am 1. Mai an die Große Koalition, das Gesetz „endlich zum Abschluss zu bringen.“ Und die IG Metall hatte sich sogar dazu verstiegen, für die Unterstützung des Nahles-Gesetzes eine Demonstration in München zu organisieren, die von vielen Kollegen zu Recht boykottiert wurde.
Zeigen diese Erfahrungen nicht sehr klar, dass der ernsthafte Kampf gegen die Tarifflucht und das weitere Erodieren der Tarifverträge nicht auf Appelle an die Regierung der Großen Koalition setzen kann?
Gilt es nicht an erster Stelle, die Bilanz zu ziehen, dass „nur durch den gewerkschaftlich organisierten Kampf, bis hin zum Streik, unter Verantwortung der ver.di-Führung, die berechtigten Forderungen der KollegInnen erfüllt werden können? Und muss nicht die Gewerkschaft sich das Recht nehmen, wie bei dem Poststreik 2015, gegen Ausgliederungen zur Tarifflucht auch mit Streikmaßnahmen zu kämpfen? Fragen, die sich die Berliner KollegInnen anlässlich ihres Kampf gegen prekäre Beschäftigung gestellt haben. (s. ver.di/GEW Infoblatt zum 1. Mai 2016¸ im Internet: https://akprekaerearbeit.wordpress.com)
Carla Boulboulle
Sylvia Bühler vom ver.di-Bundesvorstand erklärt „Wir werden uns nicht ausschließlich auf die Politik verlassen“, die Gewerkschaft wolle künftig mit Arbeitskämpfen die Neueinstellung von Personal erzwingen.
Ohne im Detail auf alle Fragen eingehen zu können, die der Tarifvertrag an der Charité aufwirft, ist es auf jeden Fall ein historischer Erfolg eines jahrelangen Kampfes der KollegInnen mit ihrer Gewerkschaft ver.di, dass sie in einem Tarifvertrag die Stellen-Mindestbesetzung festgeschrieben haben. Die Kollegen erwarten, dass das zum Impuls für ver.di wird, gestützt auf ihre Streikfähigkeit, den Kampf für die 162000 fehlenden Stellen (von ver.di ermittelt), einschließlich der zur Finanzierung erforderlichen 8 Milliarden Euro, an den Krankenhäusern bundesweit zu führen – gegen die den Krankenhäusern aufgezwungene Sparpolitik. (s. Seite 6)
Comments are closed.