Nach den drei Landtagswahlen im März erteilen die Wähler in Mecklenburg-Vorpommern (MV) der Politik der Großen Koalition im Bund und der Umsetzung ihrer innenpolitischen Achsen, der Sparpolitik und Deregulierung des Tarifvertragssystems, durch die Große Koalition in Schwerin eine schwere Abfuhr.
Alle „etablierten“ Parteien, SPD und CDU in der Regierungskoalition, Grüne und Linkspartei, die sich grundsätzlich diesen Achsen der Agenda-Politik unterwerfen, sind politisch Verlierer. Die größte Partei ist noch immer die der Nichtwähler, davon sind alle Parteien betroffen, besonders aber die SPD, der ihre soziale Wählerbasis in der Arbeiterschaft wegbricht. Ihr absoluter Stimmenzuwachs um einige Tausend nährt sich vor allem aus Wählern der Grünen, die in Scharen übergelaufen sind, weil sie die SPD als führende Partei gegen die AfD stärken wollten.
Die AfD ist nicht nur reaktionär nationalistisch und fremdenfeindlich, sondern ein Feind der sozialen und demokratischen Rechte der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften. Sie verdankt ihren enormen Stimmenzuwachs bis auf 20,8% – zweitstärkste Partei noch vor der CDU-, im Wesentlichen den gegen ihren schon existierenden oder drohenden sozialen Niedergang revoltierenden Schichten, die bisher ihren Protest durch Wahlverweigerung formuliert haben – aber auch den Stimmen ehemaliger CDU-Wähler und geringfügiger von Linkspartei und SPD.
Die wahrscheinliche Neuauflage einer Großen Koalition der politischen Verlierer-Parteien SPD/CDU für die Fortsetzung der bisherigen Politik wird bei knapper parlamentarischer Mehrheit von Anfang an gegen die gesteigerte Ablehnung der gesellschaftlichen Mehrheit regieren müssen.
Die Führungsvertreter der Parteien, mit Merkel selbst, wenn auch mehr zurückhaltend an der Spitze, machen „Merkels Flüchtlingspolitik für ihre katastrophalen Wahlergebnisse verantwortlich und versuchen sie damit zu rechtfertigen. Doch das nutzen sie nur als Vorwand, um mit viel Medienrummel die Bedingungen für eine weitere Kampagne gegen den Islam und der Fremdenfeindlichkeit zu schaffen. Sie überbieten sich gegenseitig mit Vorschlägen, die Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen mit allen auch gewaltsamen Mitteln abzuwehren, das Asylrecht in Deutschland weiter auszuhöhlen und für immer mehr Flüchtlinge die Grenzen zu schließen und sie schneller und vermehrt abzuschieben.
Die zunehmende Ablehnung der Großen Koalition im Bund und spezifisch der Kanzlerin Merkel speist sich auch aus den Erfahrungen des Scheiterns der Politik, in der Merkel eine Führungsrolle in der EU einnimmt. Da ist zunächst die Ausweglosigkeit der Euro- und EU-Rettungspolitik und das Scheitern einer „europäischen Lösung“ für die Flüchtlingsfrage.
Mehr noch: Die gleiche Merkel und die Große Koalition, die das Asylrecht und Völkerrecht im Kampf gegen die Flüchtlinge aushebeln, unterstützen mit militärischen, finanziellen und politischen Mitteln den Krieg im Nahen- und Mittelosten und besonders den von Erdogan; den Krieg, der immer neue Menschenmassen zur Flucht zwingt. Sie sind auch kaum berufen, für Sicherheit gegen den Terror zu sorgen, den sie durch ihre Kriegspolitik importieren.
Schließlich erweist sich die Große Koalition als unfähig, die Geflüchteten in die Gesellschaft zu integrieren. Weil sie unter dem Regime der Schuldenbremse die notwendigen Finanzmittel verweigert, um die materiellen Voraussetzung zu schaffen für die Verwirklichung der gleichen sozialen und politischen Rechte, die den Inhalt der wirklichen Integration ausmachen: das Recht auf Sprachförderung, Bildung, Ausbildung und berufliche Qualifizierung wie auf Wohnung und schließlich auf tarifvertraglich geschützte Arbeitsplätze.
Stattdessen verurteilt sie die Mehrheit von ihnen zu Arbeitslosigkeit und Hartz IV, die Mehrheit der Übrigen zu Ein-Euro-Jobs und Leiharbeit und Billigjobs. Sie schickt sie in den Konkurrenzkampf zu den verarmten Schichten der arbeitenden Bevölkerung und ihrer Jugend um Ausbildung und Bildung, um anständige Löhne und bezahlbare Wohnungen und schürt damit Entgegensetzung und Fremdenfeindlichkeit.
Widerstand und „Revolte“ der gesellschaftlichen Mehrheit
Ihre tiefsten Wurzeln hat die Ablehnung der Politik der Großen Koalition in dem Widerstand und der „Revolte“ der gesellschaftlichen Mehrheit gegen den verschärften Einsatz der eingangs bezeichneten sozialen Zerstörungsinstrumente der Agenda-Politik, der Schuldenbremse und der Tarifflucht in jeder Form. Wenn die Führungen der vier „etablierten“ Parteien die ganze Verantwortung für ihren Niedergang auf „Merkels Flüchtlingspolitik“ abschieben, wollen sie vor allem von dieser Tatsache ablenken und die Widerstandskämpfe auf eine falsche Fährte lenken.
Die vom SPD-Vorsitzenden Gabriel und bisherigen Ministerpräsidenten von MV, Sellering, nach wie vor verteidigte „harte Haushaltskonsolidierungspolitik“ hat eine zerstörerische Spur im Land hinterlassen. Die Gebietsreform „aus Kostengründen“ führte zur Schließung von Krankenhäusern und Schulen, von kommunalen Behörden und Einrichtungen und trug bei zur Verödung ländlicher Regionen vor allem in Vorpommern. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende und bisherige Energieminister Christian Pegel legt mit dem Hinweis auf die verbreitete Tarifflucht in Armutslöhne und Prekarisierung und auf fehlende Investitionen in Kitas und Schulen den Finger in die Wunde. Solche Probleme standen im Zentrum des Protestes gegen die Große Koalition in Schwerin und im Bund.
Kurz vor den Landtagswahlen in Berlin, am 18. September, stehen die vier „etablierten“ Parteien unter dem Schock der Ergebnisse von MV. Nach Wählerumfragen stehen alle vier schon jetzt als politische Verlierer fest. Die SPD klammert sich daran, wie in MV auch in Berlin trotz allem führende Partei zu bleiben. Sie setzt auf eine rot-rot-grüne Koalition, um auch hier die gleiche Agenda-Politik mit einigen Feigenblatt-Korrekturen fortzusetzen.
Um einen noch stärkeren Einbruch abzuwehren, hat die SPD- und Senats-Führung alles getan, um die Streiks von Lehrern und Beschäftigten der Krankenhäuser und anderen Landeseinrichtungen gegen ihre Politik der Ausgliederung und Tarifflucht zu verhindern. Während sie die Gewerkschaftsführung verstärkt unter Druck setzt, muss sie zu beträchtlichen Zugeständnissen greifen, was nach den protestierenden Äußerungen der Kollegen zu schließen, diese nicht davon abbringen wird, an ihren Forderungen festzuhalten und weiterhin mit ihren Gewerkschaften dafür zu kämpfen.
Das sind die Fragen, die auf der Berliner Arbeitnehmerkonferenz an 11. September diskutiert wurden, zu der auf Initiative der Leser und Träger der „Sozialen Politik & Demokratie“, über 50 Vertreter der gewerkschaftlichen und politischen Arbeiterbewegung, darunter auch Sozialdemokraten, als Erstunterzeichner eingeladen haben. (s. S. 4-7 in dieser Ausgabe).
Carla Boulboullé
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