Ablehnung und politische Krise

„Der sogenannte Friedensgipfel war nun ein neuer Akt ihres absurden Theaters, das sie fortlaufend im politischen Alltag spielen… Die Gräben zwischen Seehofer und Merkel sind nicht zugeschüttet, man hat nur Bretter drübergelegt. (…) Ein Fundament für den Wahlkampf ist das nicht,“ kommentiert H. Prantl das sog. Versöhungstreffen zwischen CDU und CSU in der SZ.

Die Konflikte, die in dem „Grabenkrieg zwischen den Protagonisten der Unionsparteien auf der öffentlichen Bühne von einem Seehofer z.B. mit der Flüchtlingsfrage in Szene gesetzt werden, gehen quer durch beide Parteien. Ihr Nährboden ist die tiefe Verunsicherung, ihre Unfähigkeit, die Ablehnung zu überwinden, die ihrer Politik aus immer breiteren Teilen der Bevölkerung entgegenschlägt.

Es ist übrigens die gleiche Ablehnung von Arbeiterschaft und Jugend, welche die SPD in ihrer Existenz erschüttert und Gabriel zur politischen Kapitulation gezwungen hat.

Sie hat Merkel lange mit ihrer Kandidatur zögern lassen. Und Seehofers demagogisches Herumreiten auf der Flüchtlingsfrage in Verbindung mit dem „islamistischen Terror“ hat nur das Ziel, die „Revolte“ der Wählermassen gegen die von der Großen Koalition verfolgten Zerstörungspolitik gegen die Errungenschaften des Sozialstaates auf jene Sündenböcke umzulenken.

Die politischen Bedingungen erlauben es Seehofer nicht, auf den Spuren von Trump aus dem etablierten Parteiensystem in der BRD auszubrechen und eine radikalere Offensive gegen die Arbeiterschaft und ihre Organisationen und gegen die Demokratie zu eröffnen. Also bleibt ihm keine Alternative als mit Merkel als gemeinsamer Kandidatin der Unionsparteien für das „Weiter so“ in den Wahlkampf zu ziehen.

Gedacht als betäubend-stabilisierende Losung, ist sie eher geeignet, die Unsicherheit gefährlich zuzuspitzen. In Verbindung mit den Sprüchen, Deutschland stehe gut da – in einer unsicheren Welt und den Deutschen gehe es besser als je zuvor, muss das wie Hohn in den Ohren der arbeitenden Bevölkerung und Jugend klingen, die die Demontage des Sozialstaats, Altersarmut, Billiglöhne und prekäre Lohnverhältnisse, sowie das Kaputtsparen der Kommunen, von Krankenhäusern und Schulen als ihre Lebensrealität erfahren.

Außerdem: ein „Weiter so“ kann es für Merkels Union nur geben mit Hilfe der SPD als Notlösung in einer erneuten Auflage der Großen Koalition. In der SPD konzentrieren sich aber schon jetzt die Krise und Risiken.

Martin Schulz ist für den gescheiterten Gabriel in erster Linie der Mann, der für die SPD das „Weiter so“, die erneute Fortsetzung der zerstörerischen Agenda-Politik garantieren soll. Freilich konnte schon Gabriel diese Politik nur unter dem Etikett betrügerischer „Korrektur–maßnahmen“ an der Agenda betreiben, die im Wesentlichen auf Initiative der DGB-Spitze zurückgehen.

Als „von außen Kommender“ ist Martin Schulz in den Augen der SPD-Führung erst mal nicht so vorbelastet mit der direkten Politik der Großen Koalition in Deutschland und werden ihm deshalb größere Chancen zugesprochen, sich im Namen eines „Neuanfangs“ und „Politikwechsels“ durch die SPD präsentieren zu können. Auf dem Parteitag Ende Mai soll mit der Verabschiedung eines Regierungsprogramms von „sozialen Korrekturversprechungen“ die Kandidatur von Schulz unterfüttert werden.

 Ein Befreiungsschlag

So mancher Sozialdemokrat, und auch ein Teil der SPD-Wähler sieht in der Nominierung von Schulz zunächst und vor allem einen Befreiungsschlag gegenüber Gabriel, der als Minister der Großen Koalition die niederdrückende Agenda-Politik praktiziert hat, die die SPD mit dem Gang in die Große Koalition in einen ihre Existenz bedrohenden Niedergang geführt hat.

Doch wie lange wird die von der SPD-Spitze vermeldete „Euphorie“ Bestand haben? Wie dauerhaft werden die Illusionen der SPD-Mitglieder tragen, die sich mit dem Abgang von Gabriel verbinden und auf Schulz übertragen? Und wird der proklamierte Neuanfang überhaupt bis zu den von der Politik der Großen Koalition Betroffenen durchdringen?

Kann Schulz für die Arbeitnehmer- und Wählerbasis der SPD glaubwürdig sein, die endlich Schluss machen will mit der Politik der „Verrottung der Beschäftigungsverhältnisse“ und der „arbeitnehmerfeindlichen Politik“ (DGB)?

Schulz bekennt sich ausdrücklich zur Entscheidung der SPD in der Regierung für die Rente mit 67 ab 2029. „Dabei bleibt es“ – auch wenn es hart sei, so Schulz. Ein unmissverständliches Ja zu einer Renten„reform“ mit den einschneidenden Kürzungen; zur Zersetzung des solidarischen, gesetzlichen Rentensystems, einem Grundpfeiler des Sozialstaates, und zur Verurteilung Hunderttausender zur Altersarmut. Kommentar von Schulz bei seiner Vorstellung zum SPD-Kanzlerkandidaten, mit dem er seine Versprechungen zu „Kurskorrekturen“ selbst entlarvt: „(…) vieles haben wir in der Bundesregierung schon geschafft: Andrea Nahles hat den Mindestlohn eingeführt, viele Initiativen für gute und sichere Arbeit vorangebracht und die Rente gerechter gemacht“ (!).

Mit seiner allgemeinen Forderung nach „höheren Löhnen“ geht Schulz nicht über die vagen Versprechungen einer Nahles als Arbeitsministerin (SPD) in der Großen Koalition oder eines Gabriel hinaus. Und er stellt ihre Regierungsmaßnahmen zur Ausweitung des Niedriglohnsektor nirgendwo in Frage.

Was will ein Schulz damit den „hart arbeitenden Menschen“ sagen? Z.B. den oft in prekärer Beschäftigung zu Niedriglöhnen und von Altersarmut bedrohten „hart arbeitenden Menschen“ in den Krankenhäusern, die sich gezwungen sehen, als Antwort auf den dramatischen Personalnotstand zum Mittel des Streiks für „mehr Personal“ zu greifen. Und die sich unter der erschwerten Bedingung erheben, dass ihnen das Recht abgesprochen wird, gegen die von der Sparpolitik zu verantwortenden Personalnot streiken zu dürfen.  Kann er zu den KollegInnen durchdringen, die wissen, dass nur ein Erzwingungsstreik die Landesregierungen „zwingen“ kann, das fehlende Personal (z.B. 35.000 allein in NRW) auf der Basis des TVöD einzustellen und die zusätzliche Finanzierung zu garantieren? D.h. alle Kostensenkungsgesetze und -systeme der Bundesregierung zu durchbrechen, die die Länder veranlassen, die erforderlichen Investitionen zu verweigern und die Kassen hindern, das notwendige Personal zu finanzieren.

Schulz: ein Kandidat der „hart arbeitenden Menschen“ ?

Die Beschäftigten an den Krankenhäusern machen heute die Erfahrung in ihrem Kampf für „mehr Personal“, dass sie auf die Wahlen und einen Politikwechsel durch eine neue Bundesregierung vertröstet werden sollen. So z.B. im Saarland, wo die KollegInnen von der CDU/SPD-Regierung mit absolut unzureichenden „Stellenversprechungen“ ab 2018 abgespeist werden sollen, wobei die Finanzierung selbst offengelassen wird. (s. auch Art. auf S. 4/5 in dieser Ausgabe).

Die KollegInnen können und werden sich nicht auf die „Leer“-Versprechungen von wem auch immer in den Wahlen beeindrucken lassen. Sie wissen, dass sie nur durch den Kampf mit ihren Gewerkschaften ihre Forderungen nach „mehr Personal“ durchsetzen können, sowie die entsprechende zusätzliche Finanzierung durch die Regierung.

Carla Boulboullé

 

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