„Alles deutet daraufhin, dass auch in diesem Wahlkampf Grabesruhe vorherrschend sein wird“, kommentiert das Handelsblatt vom 17.7.
„Über 60 % der Wählerinnen und Wähler wissen noch nicht, wo sie ihr Kreuz machen werden“, sagen Demoskopen. Denn sie können nichts von diesen Wahlen erwarten. Sie sehen sich nicht in der Lage, eine Wahlentscheidung zu treffen.
Kanzlerin Merkel, die antritt für das „Weiter so“– mit der Agenda-Politik, kann damit leben, solange der Wille der gesellschaftlichen Mehrheit, dass endlich Schluss gemacht werden muss mit der Agenda-Politik, keine politische Vertretung findet. Ein Beispiel dafür bietet Macron, der sich mit 15% der Wählerstimmen (bei 51 % Wahlenthaltung) zum Präsidenten Frankreichs machen ließ.
SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz dagegen steht vor der Herausforderung, die SPD-Stammwähler zu mobilisieren, die der SPD in allen letzten Wahlen die Stimme verweigert haben. Es sei daran erinnert, dass er am Anfang des Jahres mit seinem vagen Versprechen, die Fehler der Agenda-Politik bekämpfen zu wollen, ein großes Echo in der SPD-Mitgliedschaft und bei Teilen der SPD-Wähler hatte. Doch diesen „Aufschwung“ der SPD hat er mit seinen Positionen, die Politik der Großen Koalition bis zu Ende zu begleiten, schon wieder begraben.
Mit seinem „Zukunftsplan“ versucht Schulz Perspektiven für eine „Richtungswahl und -entscheidung“ zu präsentieren, um die ablehnende Haltung der Wähler zu durchbrechen.
Doch der Agenda-Politik, an der Schulz weiter festhält, „nur ein paar soziale Trostpflaster“ (Marco Bülow, SPD/MdB) aufzukleben, reicht nicht. Die ersten Reaktionen zeigen, dass die Resignation vieler Parteimitglieder den Wahlkampf prägt. Die Mehrheit der Arbeitnehmer und Jugend kann auch in dieser Wahl in der SPD keine politische Vertretung für ihre Forderungen erkennen.
Die aktuelle Große Koalitionsregierung hatte die beiden zentralen Zerstörungsinstrumente der Agenda 2010, die Sparpolitik in der verschärften Form der Schuldenbremse / Null-Defizit sowie die Zersetzung der Flächentarifverträge durch die vielfältigsten Formen der Tarifflucht zu den beiden Rahmengesetzen ihres Regierungsprogramms erhoben. Ihr Versuch, das Zerstörungswerk mit trügerischen Korrekturen an den „Fehlern“ der Agenda zu kaschieren, scheiterte. Die SPD erlebte ihren dramatischen Niedergang mit Mitgliederverlusten und in allen Wahlen, bis hin zur Kapitulation ihres Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidaten Gabriel.
Der jetzige Versuch von Martin Schulz, sein Festhalten an den Grundgesetzen der Agenda ebenfalls unter trügerischen Korrekturen zu verschleiern und mit Trostpflastern zu überkleben, läuft Gefahr, die Ablehnung noch zu verschärfen.
Den ersten Schwerpunkt seines Zukunftsplans setzt Martin Schulz auf die Notwendigkeit, stärkerer öffentlicher Investitionen für mehr Personal und Einrichtungen… „als Ergänzung zur ´Schuldenbremse`“! Finanzieren will er das, wie auch alle anderen sozialen Versprechungen, aus den derzeitig erwarteten Überschüssen an Steuermilliarden. (An die niemand mehr ernsthaft glauben kann angesichts der sich über Deutschland verdichtenden Krisenwolken.)
Schulz‘ Leerversprechungen: „Zukunftsinvestitionen“…
„Als Ergänzung“ zu jener Schuldenbremse, unter deren Diktat der auf hunderte von Milliarden angewachsene Investitionsstau die Errungenschaften und Infrastruktur des Sozialstaates verwüstet hat: kaputtgesparte Krankenhäuser und Schulen, Kommunen und Regionen und deren Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge. Im Übrigen machen die Investitionsversprechungen nur ein verschwindendes Minimum aus angesichts des gigantischen Investitionsstaus. Sie reichen nicht einmal, um das Wachstum des Investitionsloches zu stoppen.
Von dem zynischen Geplänkel in dem Merkel dagegen hält, es liege nicht am fehlenden Geld, sondern an fehlenden Planungskapazitäten für sinnvolle Investitionen, die natürlich ebenfalls ein Opfer des „Sparens bis es quietscht“ geworden sind, kann sich die arbeitende Bevölkerung, können sich die Wähler nur mit zunehmender Wut abwenden.
… und „Chancenkonto“
Schulz faselt von einem „Pakt für anständige Löhne und gute Arbeitsbedingungen“, verkündet seine Absicht einer „sozialverträglichen Gestaltung“ der Trümmerlandschaft der zersetzten Flächentarifverträge. Und er wagt es, die gesamte Arbeiterschaft und besonders die 8 – 13 Millionen mit Löhnen unter und an der Armutsgrenze mit einem „Chancenkonto für Fort- und Weiterbildung“ und für ihre Befähigung zur Scheinselbständigkeit abzuspeisen. Dieses Chancenkonto ist bisher nicht über das Stadium einer Sprechblase hinausgelangt, weil es die SPD-Arbeitsministerin Nahles ihrerseits nicht wagen kann, deren erbärmlichen konkret-realistischen Inhalt zu definieren.
Wenn er schließlich garantieren will, die Kürzungen des Rentenniveaus bei „mindestens 48%“ zu stoppen, garantiert er damit für Millionen Arbeitnehmer vor allem mit den schlechtesten Lohn- und Arbeitsbedingungen die Altersarmut, die er angeblich bekämpfen will.
Es zeigt sich, dass Schulz mit seinem Zukunftsplan nach dem verspielten „Aufschwung“ der SPD von Anfang Januar keinen neuen Start schaffen wird. Er wird niemanden der über 60% überzeugen, die von den Wahlen nichts erwarten und deshalb bis heute keine Wahlentscheidung treffen können. Und erst recht wird er die tiefe Ablehnung der arbeitenden Bevölkerung nicht überwinden können. Die Wahlen drohen für die SPD in einer Katastrophe zu enden. Doch selbst wenn sie 30 % bekommen sollte, wird die SPD kaum fähig sein, erneut in eine Große Koalition zu gehen, die unter dem Druck der verschärften Krisenanforderung des Finanzkapitals tiefste Einschnitten in alle sozialstaatlichen Errungenschaften ergreifen muss, ohne ihre Explosion zu riskieren. Merkel hat andererseits auch nicht vergessen, dass ihre schwarz-gelbe Regierung schon einmal eine böse Abfuhr erlitten hat. Die Möglichkeit für die Bildung einer stabilen Regierung ist nicht in Sicht.
In der SPD hat eine Suche begonnen, um die Partei von dem selbstzerstörerischen Weg zurück zu reißen und eine noch schlimmere Wahlkatastrophe als in NRW zu verhindern.
33000 SPD-Genossen haben in einem Appell an die SPD-MdB gefordert, Nein zu sagen zu den 13 Grundgesetzänderungen, die unter dem Regime der Schuldenbremse den solidarischen Länderfinanzausgleich und damit das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes weiter aushebeln. 29 Abgeordnete haben den Mut gehabt, mit Nein zu stimmen. Kann das zum Stützpunkt werden? Ein überzeugendes Eingreifen für „soziale Gerechtigkeit“, d.h. dem Willen der gesellschaftlichen Mehrheit zu entsprechen und mit der Agenda-Politik Schluss zu machen, verlangt den Kampf aufzunehmen für den Bruch mit der Schuldenbremse, für die Wiederherstellung und Verteidigung der Flächentarifverträge und den Stopp der Tarifflucht in jeder Form. Das stand im Zentrum der Diskussion auf der Arbeitnehmerkonferenz in Berlin am 17. Juni, auf der sich die Teilnehmer entschieden haben, sich dafür in politischen Arbeitskreisen zu versammeln.
Carla Boulboullé
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