Die herrschenden Führungskreise des Imperialismus in Deutschland, in Europa und darüber hinaus, die Vertreter des Finanzkapitals, die multinationalen Konzerne, die Arbeitgeberverbände und die politischen Institutionen ihrer Interessensvertretung, die Regierenden in Deutschland und der EU, die Macron, Tsipras und Juncker: sie alle vereint mit der gesamten Medienöffentlichkeit appellieren an die „staatspolitische Verantwortung“ der SPD für die Konstituierung einer Regierung der „Großen Koalition“, die so „groß“ nicht ist.
Für alle ist die SPD berufen, eine historische Rolle zu spielen: die Kanzlerin Merkel zu befähigen, die Agenda-Politik in der noch schlimmeren Form der „neuen Agenda“ mit den Hauptwaffen der „alten Agenda“, der Schuldenbremse und der Deregulierung der Arbeitsverhältnisse, fortzusetzen.
SPD- und Gewerkschaftsführung sollten dabei die Rolle übernehmen, den unvermeidbaren Aufschwung der Ablehnung und der Widerstandskämpfe der arbeitenden Bevölkerung unter Kontrolle zu halten. Was ebenso unausweichlich scheitern muss.
Die alte Führungsriege des SPD-Apparates, unterstützt von der Führungsspitze des DGB, zwingt damit die historische Arbeiterpartei SPD in ein selbstmörderisches Abenteuer.
Der große Widerstand bei den SPD-Mitgliedern gegen den erneuten Eintritt in die GroKo ist bedingungslos zu unterstützen. Um wirksam zu sein, muss jedoch gleichzeitig das Manöver von der SPD- wie der Gewerkschaftsführung bekämpft werden, wie schon bei den vorherigen Malen im Namen einer „klar erkennbaren sozialdemokratischen Handschrift“ die Koalition mit der Union zu legitimieren und so zu versuchen, deren massive Ablehnung einzudämmen.
Der Widerstand wird nur dann die Mehrheit der Parteibasis mobilisieren können, wenn er zum formulierten Ausdruck wird für den Willen der großen gesellschaftlichen Mehrheit, dass endlich Schluss gemacht werden muss mit der zerstörerischen Agenda-Politik. Dafür haben zahlreiche GewerkschaftskollegInnen einen „Offenen Brief“ (S. 9) unterstützt – gegen die DGB-Führung und alle Führungen der DGB-Einzelgewerkschaften, die bereit sind, sich der Fortsetzung der Agenda-Politik – wenn auch unter trügerischer Berufung auf „sozialverträgliche Korrekturen“ – zu unterwerfen.
Keine Regierung, egal in welcher Zusammensetzung, die sich einem „Weiter so“ mit der Agenda, verschreibt, das sich unter dem Druck des Finanzkapitals und Großkonzerne als eine noch schlimmere „neue Agenda“ entpuppt, wird der Bestrafung durch entschiedene Ablehnung entgehen.
Die Konzentration des neuen SPD-Kandidaten Martin Schulz auf den Kampf gegen „Fehler der Agenda-Politik“ hatte für viele Mitglieder, Noch-Wähler und ehemalige Wähler der SPD die Perspektive des Kampfes gegen die Agenda eröffnet. Entgegen Gabriel, der die niederdrückende Agenda-Politik praktiziert und die SPD mit der Erzwingung des Gangs in die GroKo in den ihre Existenz bedrohenden Niedergang geführt hatte. Doch die Glaubwürdigkeit eines Martin Schulz, der seine Kampfformeln gegen die „Fehler“ der Agenda aufgegeben und die Merkel-Gabriel-Politik, und deren Umsetzung durch die SPD in den Ländern, begleitet hat, wenn auch mit Korrekturvorschlägen an der Fassade, war schnell verschlissen. Das Wahldesaster der beiden Parteien der Großen Koalition war von historischer Dimension. In ihrer Abwahl drückt sich das ganze Ausmaß der wütenden und entschiedenen Ablehnung der Agenda-Politik aus.
Jetzt hat also die SPD-Parteiführung die Ampel für die GroKo auf grün gestellt.
Die neue GroKo kann unter dem verschärften Druck der Krisenanforderungen des Kapitals keine bloße Fortsetzung und Wiederholung der alten sein.
Zu der zerstörerischen Offensive, die für die „Neuen Agenda“ vorangetrieben werden soll, gehört seine Forderung, dass die neue Bundesregierung endlich dem Volk die volle Milliarden-Rechnung für ihre EU- und Euro-Rettungspolitik aufzwingt; gehört die beginnende Demontage der großen Industriebranchen und ihrer Arbeitsplätze wie Stahl, Automobilindustrie, Maschinenbau, Elektroindustrie und Energie im Namen des unausweichlichen Strukturwandels und der Digitalisierung; die weitere Flexibilisierung und Deregulierung der Arbeitsverhältnisse, die Ausweitung der Flucht aus den großen Flächentarifverträgen; die Verschärfung der Kaputtsparpolitik unter dem Diktat der Schuldenbremse durch Senkung der „Sozialabgabenlast“ und Steuerentlastung für Unternehmen und Reiche und die Verweigerung dringlicher Investitionen für die soziale und staatliche Infrastruktur; eine allgemeine Privatisierungswelle zur Zersetzung der öffentlichen Daseinsvorsorge.
Der Spielraum für „Korrekturen“ an diesem zerstörerischen Programm wird gegenüber der letzten Regierungsphase noch enger werden. Doch die SPD-Führung setzt mit ihrem Versprechen, die sozialdemokratische Handschrift in der GroKo einzubringen, darauf, dass der Widerstand in der SPD zumindest zunächst erneut aufgefangen werden kann und letztlich die Mehrheit der SPD-Mitglieder sich ohne eine befreiende Perspektive mit zusammengebissenen Zähnen unterwerfen wird.
Das wird jedoch nichts an der wütenden Ablehnung der überwältigenden Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung und Jugend ändern und an ihrem Willen, dass endlich Schluss gemacht werden muss mit diesem Großangriff auf alle sozialstaatlichen Errungenschaften.
Auch nicht, wenn die SPD-Führung trügerisch behauptet, „kritische Korrekturen“ in die Gesetzgebung einzuarbeiten – als direkte Mitwirkung an der Regierungspolitik in der GroKo oder aus der Opposition heraus in Form der Tolerierung oder Kooperation. Die arbeitende Bevölkerung hat 2009 bis 2013 ihre Erfahrung gemacht, als die SPD alle entscheidenden Regierungsmaßnahmen der schwarz-gelben Koalition in Form einer de facto GroKo begleitet und akzeptiert hat. Auch eine solche „sozialverträglich korrigierende Begleitung“ der Politik einer Minderheitsregierung unter Merkel wird die SPD in jedem Fall weiterhin, nun aber beschleunigt, einem Zerstörungsprozess ausliefern.
Nur der Bruch mit der von der Profitgier der Finanz„investoren“, Spekulanten und Großkonzernen diktierten Schuldenbremse und der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit ihrer Profite schafft die Grundlage für eine wirkliche Reorientierung auf die politische Interessenvertretung der Arbeitnehmerschaft, der Jugend und Demokratie – zur Verteidigung und Wiederherstellung der historischen Errungenschaften des Sozialstaates.
Nur auf dieser Basis könnte eine SPD die Mehrheiten für eine Regierung unter ihrer Führung mobilisieren. Und das würde ArbeitnehmerInnen, Jugend und Demokraten in Deutschland und in Europa eine politische Perspektive aus dem allgemeinen sozialen und politischen Niedergang eröffnen.
Um den Kampf für den Bruch mit der Agenda-Politik und ihren beiden schärfsten Waffen zu führen, der Schuldenbremse und der von ihr gebotenen Kaputtsparpolitik und der Deregulierung, Tarifflucht und Prekarisierung eines wachsenden Heeres von Lohnempfängern, versammeln sich gewerkschaftlich und politisch engagierte ArbeitnehmerInnen, unter ihnen Sozialdemokraten, in Arbeitskreisen für unabhängige Arbeitnehmerpolitik und für die Verteidigung der Unabhängigkeit der Gewerkschaften. Die „Soziale Politik & Demokratie“ bietet ihre Seiten für ihre Diskussion und ihren Erfahrungsaustausch an.
Carla Boulboullé
Comments are closed.