Zum Signal des Aufbruchs sollte der SPD-Parteitag in Wiesbaden werden und als Startpunkt der Erneuerung der Partei in die Geschichte eingehen, so die Propagandatrommel der alten Parteiführung:
172 Delegierte stimmten für die Gegenkandidatin Simone Lange, 38 enthielten sich. Ein Drittel der Delegierten haben Nahles das Mandat verweigert, die damit das zweitschlechteste Ergebnis in der SPD- Nachkriegsgeschichte bei Wahlen zum Parteivorsitz einfuhr.
66 % war das Stimmergebnis für Nahles, das ist „kein Signal des Aufbruchs“, sondern eine „schwere Hypothek…, man sieht es ihr an, Nahles beißt sich auf die Lippen. (…) Auch die anderen Parteigranden können ihre Bestürzung kaum verbergen.“ (Der Tagesspiegel)
Es ist ein „schwerer Schlag“, nicht nur für Nahles sondern für die gesamte alte Parteiführung und auch für die von ihnen gewollte verschärfte Fortsetzung des „Weiter so“ mit der Agenda-Politik. Das bedeutet nach der zähneknirschenden formellen Zustimmung im Mitgliedervotum eine weitere Schwächung, einen „Fehlstart“ für die dritte Große Koalition.
Obwohl die Delegierten eines SPD-Parteitags nur sehr eingeschränkt die Mitgliederbasis repräsentieren, wurde der Parteitag mit diesem Wahlergebnis zu einem Signal des in der SPD nach der Mobilisierung der Mitgliedschaft gegen den Gang in die GroKo weiterhin lebendigen Widerstands. Und das trotz aller Bemühungen und administrativer Maßnahmen von Seiten der SPD-Führung, die Gegenkandidatur totzuschweigen.
Die breite Unterstützung aus der Mitgliedschaft und den Ortsvereinen fand ihren Ausdruck in Aktionen vor dem Parteitag, in den vielen Gastteilnehmern mit Schildern „Schreibt Geschichte, Wählt Simone“ und auch darin, dass die Parteiführung vor Beginn der Kandidatenvorstellungen das Transparent „Hartz IV abschaffen“ auf der Tribüne zulassen musste.
Die Erwartung eines guten Stimmergebnisses als Antwort auf die kämpferische Rede von Andrea Nahles erfüllte sich nicht. In den 172 Stimmen für Simone Lange suchten die Delegierten eine Möglichkeit, ihren Widerstand zu formulieren und brachten damit den „eher dürftigen Rückhalt für Nahles in der Parteibasis“ zum Ausdruck.
Wiederholt hat Simone Lange auf die unerträgliche Situation hingewiesen, dass mehr als 15 Millionen Menschen in Deutschland in Armut leben, eine Zahl, die jedes Jahr weiter ansteigt. „Armut heute, das heißt vor allem Kinderarmut, Altersarmut und Mütterarmut“. In ihrer Parteitagsrede kritisierte sie die Agenda-Politik von Ex-Kanzler Gerhard Schröder. Hartz IV sei für Millionen Menschen Alltag, die SPD habe in Kauf genommen, dass heute Menschen arm seien, obwohl sie Arbeit hätten. Es gehe darum, ob es einen „neuen Aufbruch oder ein Weiter so“ gibt. „Bei den Millionen Menschen, die in Armut leben, möchte ich mich entschuldigen“
Andrea Nahles, in ihrer Doppelfunktion als Partei- und Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, ist entschlossen, die Politik des „Weiter so“ mit den alten Instrumenten der Agenda-Politik, der Schuldenbremse und Deregulierung, zu garantieren. D.h. einer Politik, die auf die massive Ablehnung der gesellschaftlichen Mehrheiten stößt und die SPD einem Prozess der Selbstzerstörung ausliefert. Nach letzten Umfragen bleibt die SPD unter 20 %. In sieben Bundesländern liegt die AfD vor der SPD. Und mit dieser fortgesetzten Politik der Demontage aller sozialstaatlichen Errungenschaften wird die für diesen Niedergang verantwortliche SPD-Führung einen weiteren Absturz in den nächsten Wahlen vorprogrammieren.
A. Nahles fordert das Ende der Debatte über die Agenda-Politik und Hartz IV. In ihrer vehementen Attacke gegen den „digitalen Kapitalismus“ erkennen selbst Pressekommentare nur den Versuch der Ablenkung. Sie kann kaum jemanden darüber hinwegtäuschen, dass gerade sie es ist, die – wie schon in der letzten Großen Koalition als Arbeitsministerin – die Offensive für die Flucht aus den großen Flächentarifverträge und die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und der Arbeitszeitordnung im Namen der Digitalisierung und des Strukturwandels vorantreibt.
Die Minister und Ministerinnen der SPD müssen sich auf die Partei verlassen können, fordert sie ein, denn: „Es gibt nur eine Partei.“ Das ist Klartext: Die SPD muss sich der Politik der Großen Koalition unterwerfen. So hat Olaf Scholz (Finanzminister und Vizekanzler der SPD in der GroKo), auf der Kabinettsklausur Mitte April in Meseberg erneut einen harten Sparkurs angekündigt. Er könne sogar gezwungen sein, 2019 im Haushalt zu kürzen, um die Vorgaben der Schuldenbremse zu erfüllen.
Der Widerstand gegen die „fatalen Auswirkungen“ der Politik der Schuldenbremse
kam u.a. in dem Antrag der Jusos, „Abkehr von der schwarzen Null!“, „die den Staat in Geiselhaft hält“, zum Ausdruck; aber auch in den Anträgen zur AfA-Bundeskonferenz am 27.-29. April, , die ebenfalls das Diktat der schwarzen Null oder das schädliche Wettbewerbsdumping in den sozialen Sicherungssystemen infrage stellen.
Um die Sozialquote bei unter 40 % einzufrieren, was unter dem Druck der Unternehmerverbände als Eckpfeiler der Agenda-Politik im Koalitionsvertrag festgeschrieben wurde, hat SPD-Arbeitsminister Heil als erste Maßnahme die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zum Januar 2019 um 0,3 %-Punkte angekündigt. Damit sollen die Arbeitgeber bei den sog. Lohnnebenkosten entlastet werden, was die weitere Schrumpfung der Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit zur Folge hat.
In enger Komplizenschaft mit seinem SPD-Ministerkollegen Heil veröffentlicht daraufhin CDU-Gesundheitsminister Spahn seinen Gesetzentwurf für die Entlastung vor allem der Arbeitgeber bei den Kosten im Gesundheitswesen. So soll ebenfalls zum Januar 2019 die Rentenkasse 1,4 Mrd. von dem hälftigen Anteil der Arbeitgeber an den Zusatzbeiträgen übernehmen. „Kleine“ Selbständige sollen um die Beitragssumme von über 800 Millionen Euro befreit und die Krankenkassen zusätzlich zur Senkung der Zusatzbeiträge um 4,4 Mrd. gezwungen werden. Gleichzeitig sollen Krankenhaus-Notaufnahmen für die Bevölkerung, die schon dramatisch unter Personalnot leiden, durch neue Auflagen und die Schließung von 628 Rettungsstellen ausgeblutet werden.
Die Arbeiterschaft signalisiert ihren Widerstand gegen die praktizierte Agenda-Politik, besonders auch in ihrem Tarifkampf . Die Bundesregierung und der Kommunale Arbeitgeberverband konnten nicht verhindern, dass die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes/Dienstleistungen eine Reallohnerhöhung auch für die unteren Lohngruppen durchsetzten. Sie haben mit Drohungen und Ankündigungen reagiert, Reallohnerhöhungen mit Ausgliederungen zur Tarifflucht, Stellenabbau und Privatisierungen zu kompensieren.
Doch die Kolleg*innen bewiesen ihre Kampfbereitschaft mit ihren massiven Warnstreiks, an denen allein in den letzten Woche über 220.000 teilgenommen haben. Immer mehr drängen die Beschäftigten im öffentlichen Dienst aber auch zum Kampf gegen outsourcing und Tarifflucht, für TVöD/TV-L für alle, und gegen Stellenabbau, für mehr Personal und greifen für diese Kämpfe nach ihren Gewerkschaften.
Carla Boulboullé
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