Die geschwächte Große Koalition

Getragen von der demokratischen Empörung der bayerischen Bevölkerungsmehrheit demonstrieren in München am 11. Juli ca. 30.000 gegen das verschärfte Polizeigesetz der CSU-Landesregierung.

Am 22. Juli versammeln sich erneut rund 50.000 auf einer Demonstration und Kundgebung in München. In die Wut über die zynische Flüchtlings-Abschiebehetze vor allem der CSU, die keine Gelegenheit auslässt, um das demokratische Grundrecht auf Asyl zu brechen, mischen sich die ebenfalls von den Gewerkschaften unterstützten Forderungen der empörten Teilnehmermassen gegen den Personalnotstand in der Pflege, gegen Wohnungsnot, die Verbreitung von prekären Arbeitsverhältnissen und von Armut.

Eine Regierung, die mit ihrer fortgesetzten Agenda-Politik die sozialstaatlichen Rechte und Errungenschaften demontiert, ein Viertel der Bevölkerung in Armutslöhne zwingt und mit Kinder- und Altersarmut geißelt, wird niemals den vor Krieg, Hunger und sozialer Not Geflüchteten die von der Arbeiterbewegung erkämpften demokratischen und sozialstaatlichen Rechte gewähren, die allein die Grundlage schaffen können für deren soziale und demokratische Integration in die Gesellschaft.

Vor allem die CSU-Spitzenvertreter in Bayern und in der Bundesregierung, Söder, Dobrindt und Seehofer, haben die Flüchtlingsfrage dafür missbraucht, um – im Hinblick auf die Landtagswahlen im Oktober – von den wirklichen Gründen für die dramatisch zunehmende Ablehnung ihrer Partei abzulenken und sich bei den Wählern auf Kosten der Flüchtlinge anzubiedern.

In ihrem Existenzkampf als „Volkspartei“ stürzt Seehofer in Konflikt mit Merkel die Große Koalitionsregierung in eine offene Krise und riskiert deren Bruch. Doch mit ihrer abenteuerlichen Kampagne ist die CSU-Spitze gründlich gescheitert.

In den Umfragen zu den Landtagswahlen sackt die CSU auf historische Niedrigstwerte unter 40%, bei Anstieg der Werte für die AfD. In der Forsa-Umfrage auf Bundesebene fallen CDU und CSU zusammen inzwischen auf 31%. Langjährige Funktionäre und Mitglieder der CSU erklären ihren Parteiaustritt; unter Protest gegen die Antiflüchtlingskampagne, in der „Menschen wie Dreck behandelt werden“; und vor allem gegen das völlige Ausklammern der sozialen Probleme, die der Bevölkerung auf den Nägeln brennen.

Richard Reischl, Bürgermeister der Gemeinde Herbertshausen, fasst zusammen: „Nie zuvor ist diese CSU weiter von den Menschen im Land entfernt gewesen als heute.“ Auch er nennt als Gründe dafür den Personalnotstand in der Pflege, Schule und Kommune und die Liquidierung des sozialen Wohnungsbaus. Das aber sind Gründe für die tiefe Ablehnungskrise aller drei Parteien und ihrer Regierung der erneuten Großen Koalition unter Merkel.

Auch diese Große Koalition hat den Auftrag, die Agenda-Politik im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit des Kapitals mit den Instrumenten Schuldenbremse/schwarze Null, der sozialen Demontage und der Deregulierung der Arbeitsverhältnisse zur „Senkung der Kosten der Arbeit“, fortzusetzen. Jede auf ihre Weise versuchen die drei Parteien, das – neben der Ablenkung durch die Flüchtlingsfrage – unter dem Etikett betrügerischer Korrekturen an dem Agenda-Elend zu vertuschen.

 Agenda 2018: das von Spahn vorgelegte „Sofortprogramm Pflege“

Der katastrophale Personalnotstand und die Niedrigtarife in der Pflege und an den Krankenhäusern ist das Ergebnis der systematisch von den aufeinanderfolgenden Bundesregierungen und den Landesregierungen betriebenen Politik, die den Krankenhäusern den Wettbewerb um die Senkung der Personalkosten aufzwingt.

Jetzt hat Gesundheitsminister Spahn (CDU) in Abstimmung mit Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ein „Sofortprogramm Pflege“ vorgelegt, das am 1. August 2018 vom Kabinett beschlossen wurde.

Er verspricht die Neueinstellung von 13000 Pflegekräften ab Januar 2019 in stationären Pflegeeinrichtungen. „Ein Witz“, erklärt Diakonie-Präsident U. Lili. Es sei daran erinnert, dass in den Krankenhäusern insgesamt 162000 und allein in der Pflege 80000 Stellen fehlen.. (s. Artikel S. 4)

Mit den mit großem Medienaufwand propagierten „Korrektur“maßnahmen wollen Spahn und die Große Koalition nun darüber hinwegtäuschen, dass die unverantwortliche Politik der Kostensenkung und des Personaldumping -Wettbewerbs verschärft fortgesetzt werden soll. An dem zentralen Instrument dieser jahrelangen Kaputt-Sparpolitik der Bundesregierung gegen das Gesundheitswesen, dem DRG-System, das den Sparrahmen für die Kassenfinanzierung des Personals sowie für die Länderfinanzierung der Krankenhäuser definiert, wird von Spahn uneingeschränkt festgehalten. Auch er verweigert strikt die das Sparkorsett durchbrechende zusätzliche Finanzierung des dingend geforderten zusätzlichen Personals.

Die Bevölkerung und die im Gesundheitswesen Beschäftigten lassen sich nicht mit „Korrekturen“ und Trostpflastern abspeisen, die nur dazu gedacht sind, die wachsende Unzufriedenheit einzudämmen und eine drohende Revolte zu verhindern. Erfahrungen mit Scheinkorrekturen wurden ausreichend schon unter der letzten Großen Koalitionsregierung gemacht. „Wir stellen uns einer jahrzehntelangen Sparpolitik entgegen, die nicht nur uns Beschäftigte in den Krankenhäusern trifft, sondern auch jede Patientin und jeden Patienten (…) . Nach über 20 Tagen Streik wollen sie uns immer noch mit Trostpflastern abspeisen,“ schreiben die KollegInnen des Klinikums Essen, die am 3. August mit 96,9 Prozent für den Erzwingungsstreik gestimmt haben.

Die ver.di-Führung ist bereit, Tarifverträgen für Personal-Mindestbesetzungen zuzustimmen. Doch viele Kolleg*innen in den Krankenhäusern warnen schon jetzt davor, dass das weder den Personalnotstand überwinden, noch den Betten-, Personal- und Leistungsabbau, Privatisierungen oder Schließungen weiterer Kliniken stoppen wird. Es war schließlich Spahn, der sich schon vor Jahren für eine Bereinigung der Krankenhauslandschaft, auch über die Schließung von Abteilungen stark gemacht hat.

Nach vielen anderen Krankenhäusern stehen jetzt die Kolleg*innen der Unikliniken in Düsseldorf und Essen mit ihren Streiks für den Willen der Beschäftigten bundesweit, mit ihrer Gewerkschaft ver.di den Kampf für mehr Personal zu führen.

In Diskussionen wurde auf Grund der bisherigen Erfahrungen von Kolleg*innen die Frage aufgeworfen, ob nicht für einen von ver.di organisierten Erzwingungsstreik aller Unikliniken/bzw. Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen für Tarifverhandlungen mit der Landesregierung als Verantwortliche für die zusätzliche Finanzierung von mehr Personal mobilisiert werden sollte?

Darin sehen sie einen entscheidenden Stützpunkt für die Organisierung eines bundesweiten Erzwingungsstreiks gegenüber der Bundesregierung, um die Aufbringung der erforderlichen Finanzmittel einzufordern. Dazu drängen die Kolleg*innen in allen Bundesländern schon seit Jahren. Die ver.di-Führung hat bisher keine Entscheidung dafür getroffen. Wäre das nicht der Weg, um eine bundesweite von ver.di seit Jahren vergeblich geforderte gesetzliche Personalbemessung durchzusetzen, die von dem von allen Beschäftigten und ver.di dringlich eingeforderten Bedarf ausgeht?

Carla Boulboullé

 

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