Eine Welle der Empörung

Die Schockwelle der Wut und der Revolte gegen die Regierungsverantwortlichen und privaten Profiteure, die ganz Italien nach der vorhersehbaren Tragödie des Zusammenbruchs der Autobahnbücke in Genua erfasst hat, hat sich auf ganz Europa ausgeweitet.

Wie schon sein Innenminister Salvini von der „rechten“ Lega versucht Italiens Vizeministerpräsident Luigi di Mario, von der „linken“ Fünf-Sterne-Bewegung, die Alleinverantwortung auf das Privatunternehmen Atlantia/Benetton und deren Autobahngesellschaft zu schieben: „Es hätte viel Geld in die Sicherheit investiert werden müssen. Stattdessen floss es in die Dividenden.“ (s. Art. S. 4) Dabei verschweigen beide die jahrelange Sparpolitik aller Regierungen, welche die öffentlichen Investitionen in die staatliche Infrastruktur radikal gekürzt und immer größere Teile davon privatisiert haben.

Vergeblich versuchen die Vertreter der Großen Koalition in Deutschland – wie alle Regierungen in Europa – der Schockwelle zu begegnen, indem sie mit dem Finger auf die marode Ausnahmesituation von Italien verweisen. Schon längst kann diese Regierung das Wahlvolk mit Hilfe aller möglichen „Korrekturen“ nicht mehr darüber hinwegtäuschen, dass Deutschland mit seiner Agenda-Politik seit Jahren eine Vorreiterrolle spielt für die Ruinierung der staatlichen Infrastruktur und sozialstaatlichen Errungenschaften, die von der Arbeiterbewegung erkämpft wurden.

So finden schon am Tag nach der italienischen Tragödie die entsprechenden Warnsignale ihre Weg in die Medien: 14 % der Autobahnbrücken erhalten von der Bundesanstalt für Straßenwesen die Noten „nicht ausreichend“ oder gar „ungenügend“, und das Verkehrsministerium zählt 2500 solcher Brücken in „mangelhaftem“ oder „ungenügendem“ Zustand. Zeitungen wie das Handelsblatt erinnern an die gigantischen Löcher, die im staatlichen Investitionshaushalt klaffen und z.B. für Personalnotstände bei der Bahn, den Krankenhäusern, der Pflege und Schulen ebenso verantwortlich sind wie für den jetzt auf 159 Mrd. Euro angewachsenen Investitionsstau bei den kaputtgesparten Kommunen.

In Genua hat die Hälfte der Familien, die Angehörige bei dem Einsturz der Brücke verloren haben, die staatliche „Gedenkfeier“ boykottiert, auf der sich politisch Verantwortliche wie Salvini zynisch in Szene gesetzt haben. In ganz Italien reagieren die Menschen mit den Opfern, darunter auch die Betroffenen, die durch den Einsturz ihre Wohnungen oder ihren Arbeitsplatz verloren haben, mit Wut auf die Verhöhnung durch die Autostrada-Gesellschaft, die sich mit 500 Millionen Euro „Entschädigung“ freikaufen will.

Das Kaputtsparen provoziert Proteste und Streiks …

Kein Zweifel, diese Welle der Empörung verstärkt bei einer gesellschaftlichen Mehrheit in Deutschland, die sich unaufhaltsam vertiefende Ablehnung der Großen Koalition und ihrer fortgesetzten Schuldenbremsen-, Sparpolitik. Und das nicht nur in den Wahlen.

 … bei Bahn und ÖPNV…

Anfang Juni 2017 hat die Bundesregierung im Parlament im Schnellverfahren die Autobahnprivatisierung durchgepeitscht. Gegen den mehrheitlichen Widerstand der Bevölkerung, der in vielen wütenden Protestaktionen zum Ausdruck kam, wurden die Bundesfernstraßen den Finanzspekulanten ausgeliefert. Bei der Bahn oder im öffentlichen Nahverkehr erheben sich die Beschäftigten immer wieder – wie jetzt in Berlin – (s. S. 7) gegen Personalnotstand und mangelnde Investitionen in die Infrastruktur.

… in Krankenhäusern …

Dieser katastrophale Notstand provoziert eine Welle von Streiks der Beschäftigten in den Krankenhäusern für mehr Personal. Zuletzt traten die Beschäftigten an den Unikliniken in Essen und Düsseldorf in den unbefristeten Streik. Sie sehen sich damit konfrontiert, dass die Leitungen der Unikliniken und die NRW-Regierung Hand in Hand alles tun, um der Gewerkschaft und den Kolleg*innen das Recht abzusprechen, eine präzise Anzahl von mehr Personal in verbindlichen gewerkschaftlichen Tarifverträgen zu erkämpfen.

Während die ver.di-Führung bislang immer noch daraufsetzt, dass die Regierung Maßnahmen zur Bekämpfung des Pflegenotstands ergreift, wächst die Entschiedenheit der Kolleg*innen, mit ihren Gewerkschaften mehr Personal zu erstreiken.

In dieser Situation verweigert Spahn, Minister der Großen Koalition, die zusätzliche Finanzierung des dringend erforderlichen zusätzlichen Personals.

Mit finanziellen Trostpflastern und ebenso trügerischen „Untergrenzen“ für eine Minderheit des Pflegepersonals versucht Spahn zu verschleiern, dass die Große Koalition entschieden die von den aufeinanderfolgenden Bundesregierungen unter dem Diktat der Schuldenbremse organisierte Politik des Kostensenkung- und Personaldumping-Wettbewerbs fortsetzt. D.h. einer Politik, die zu der Personalnot und dem dramatischen Pflegenotstand, zu Betten- Personal- und Leistungsabbau, zu Krankenhausschließungen und Privatisierungen, zur weiteren Tarifflucht und Ausweitung prekärer Arbeit durch Ausgründungen geführt hat und führt.

Die Lehren aus den bisherigen Streikerfahrungen von Krankenhäusern und Unikliniken setzen die Diskussion in der gesamten Gewerkschaftsorganisation auf die Tagesordnung:

Wie kann die gewerkschaftliche Kampfkraft aufgebaut werden, die notwendig ist, um die Regierungsverantwortlichen als Arbeitgeber z.B. in Pilotländern und letztendlich im Bund zu Tarifverhandlungen mit der Gewerkschaft zu bewegen? Zu Verhandlungen mit der Regierung für die politische Entscheidung zur vollen Finanzierung des von der Gewerkschaft und den Beschäftigten ermittelten wirklichen Bedarfs an Personal, flächendeckend für alle Krankenhäuser? D.h. für zusätzliche Finanzmittel, die nur außerhalb des politischen Sparkorsetts für die Krankenhausfinanzierung aufgebracht werden können. (s.S. 5)?

 … in Schulen und Kita‘s.

100.000e ErzieherInnen und Lehrer fehlen in den Kitas und an den Schulen. Der Schulbeginn 2018 ist gekennzeichnet durch einen dramatischen Lehrernotstand, sowie den unverantwortlich maroden Zustand vieler Schulen. Bundesweit häufen sich Proteste und Demonstrationen von Lehrern/Erziehern, Eltern und Schülern.

Zeigt sich hier nicht wie bei den Krankenhäusern, dass es keinen anderen Weg gibt als mit den Gewerkschaften den Arbeitskampf für die staatliche Finanzierung von mehr Personal und die notwendige Sanierung der Infrastruktur zu organisieren?

Carla Boulboullé

 

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