Die Industrie in der Eurozone vermeldete im Februar den ersten Produktionsrückgang seit 2013. Von größtem Gewicht dafür war der Einbruch des produzierenden Gewerbes in Deutschland. Schon im 3. Quartal 2018 war hier die industrielle Produktion gesunken, und das geschah in gleicher Höhe im 4. Quartal. Das hätte mit einem Wachstum-Minus des BIP in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen den Tatbestand der Rezession erfüllt.
Die Bundesregierung und ihr Finanzminister Scholz konnten sich jedoch auf das Statistische Bundesamt verlassen. Das hat mit Hilfe einer Manipulation der Zahlengrundlage das wirkliche Ausmaß des Produktionseinbruchs versteckt und mit einem 0,0%-Wachstum im 4. Quartal das BIP in einer „offiziellen Rezession“ vorbei schrammen lassen. Die Große Koalition, allen voran SPD-Minister Scholz, wollte in Angst vor den kommenden Europa- Landtags- und Kommunalwahlen die wirtschaftliche Situation um jeden Preis schönreden.
Die gleiche trügerische Polit-Akrobatik:
In immer schnellerer Folge müssen die Wirtschaftsinstitute ihre Wachstumsprognosen der sich schlechter entwickelnden Realität anpassen, und die Regierung muss ihnen widerwillig darin folgen. Hatte der Jahreswirtschaftsbericht noch 1,9% Wachstum in 2019 erwartet, so wurden die jetzt auf 1 % gestutzt. Die Experten des Finanzministeriums gehen derweil intern und vertraulich von 0,8 % aus und finden die 0,7 % der OECD sowie „weitere Abwärtsrisiken nicht unplausibel“ (Handelsblatt), während das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) 0,5 % ins Spiel bringt.
Die Gründe für die „Wachstumshindernisse“ wälzt besonders die Regierung auf internationale Bedingungen ab: den weltweiten politischen – und Wirtschaftskrieg unter Führung von Trump und den US-Monopolen; das schrumpfende Wachstum in China; den Brexit, in dem sich der politische Verfall der EU und der wirtschaftliche Niedergang ihrer alten imperialistischen Länder konzentriert. Doch gleichzeitig können die verantwortlichen Akteure nicht ihre tiefe und ohnmächtige Beunruhigung darüber verheimlichen, dass das dieses Mal nicht „seinen gewohnten kapitalistischen Gang“ des relativ kurzzeitigen Ab und dann des wieder Auf geht. Vielmehr, dass Deutschland unausweichlich in den akut sich beschleunigenden Niedergang der kapitalistischen Weltwirtschaft hineingerissen wird.
Für das Schönreden der wirtschaftlichen Situation in Deutschland betont Scholz die „gute Arbeitsmarktlage“. Er unterschlägt, dass die bloß quantitative Zahl von 45 Millionen Erwerbstätigen sich von der immer noch anschwellenden Zahl der prekarisierten Armuts- und Billiglöhnern nährt. „Gut“ ist diese Arbeitsmarktlage nur für diejenigen, die aus der Überausbeutung ihre üppigen Sonderprofite und zweistelligen Renditen pressen. Scholz und die SPD, die mit solchen Sprüchen vor die Wähler treten, in deren Ohren das mehrheitlich wie Zynismus und Hohn klingt, müssen in den Wahlen mit entsprechender Wut und Ablehnung rechnen.
Andererseits kann Scholz nicht vermeiden davon zu sprechen, dass „die fetten Jahre vorüber sind“ und sich „alle besser für Krisen rüsten müssen“.
Mit den „fetten Jahren“ meint Scholz natürlich nicht die beispiellose Bereicherung der Spekulanten, sondern die bisher sprudelnden Steuereinnahmen, die zum Großteil bei der Masse der Arbeitnehmer eingetrieben werden. Damit will er aber vor allem den politischen Boden bereiten für noch härtere Kürzungen im Sozialhaushalt und von Investitionen in Krankenhäuser, Bildung und Kommunen. Oder auch für das „Verständnis“ von Gewerkschaftsführungen und Arbeitnehmern für eine Welle von Entlassungen im Namen eines wettbewerbsfähigen Profits. Und für eine von Arbeitgeberverbänden schon geforderte noch weitergehende Zersetzung der großen Flächentarifverträge und der Arbeitszeitregulierung im Namen der Lohnkostensenkung und Flexibilisierung. Schließlich für die noch schmerzlichere Demontage der sozialen Sicherungssysteme im Namen der Senkung der Sozialquote zur Entlastung der Unternehmer.
Kurz: Unter den Zwängen der herannahenden Krise bereiten die Scholz, Spahn, Heil und Nahles und die GroKo eine den neuen Krisenanforderungen entsprechende Offensive gegen die historischen Errungenschaften des Sozialstaats vor – und haben schon damit begonnen.
In diesem Lichte präsentieren sich ihre betrügerischen Korrekturen an „Fehlern“ der Agenda als Trostpflaster, unter denen die Agenda-Grundgesetze des Kaputtsparens und der Deregulierung eine neue zerstörerische Spur hinterlassen. Der geplante angebliche „Abschied von Hartz IV“ entpuppt sich als nochmalige Ausweitung der Entrechtung und Entwertung der Arbeitskräfte und deren Absturz in Armutslöhne. Und mit den ersten Gesetzes-Bausteinen für den geplanten „Neuen Sozialstaat 2025“ entlarvt sich dieser eher als ein Trümmerhaufen und Gegenbild des „alten“ Sozialstaates und seinen von der Arbeiterbewegung seit der Nachkriegszeit erkämpften Errungenschaften.
Materielle Grundlage für die Errungenschaften war und ist die starke industrielle Produktion und die darin erkämpften gewerkschaftlich garantierten Flächentarifverträge bilden bis heute das Rückgrat der sozialstaatlichen Errungenschaften, auch wenn diese durch Tarifflucht, Flexibilisierung, Öffnungsklauseln und Auslagerungen immer mehr durchlöchert werden und die „Stammbelegschaften“ schrumpfen.
Die anschwellende Welle von Entlassung trifft also ins Mark. Wie bereiten sich die Arbeiter und Gewerkschaften darauf vor?
Der größte deutsche Industriekonzern VW hat schon seit einigen Jahren begonnen, Milliarden im hohen zweistelligen Bereich in China, den USA und den Billigohnländern besonders Osteuropas in die Vorbereitung und Entwicklung der E- und anderer Antriebstechnologie zu investieren.
In den deutschen Autowerken sinkt inzwischen beständig die Auslastung. Nach Entlassungen der Leiharbeiter und einigen Sparprogrammen forderte der „Zukunftspakt“ des Vorstandchefs Diess in Übereinkunft mit dem Betriebsratsvorsitzenden Osterloh für die Jahre 2016 bis 2020 den Abbau von 23 000 Arbeitsplätzen in Deutschland und die Steigerung der Rendite auf 6%. Dies kündigt jetzt, wegen zu geringer Auslastung, die zusätzliche Vernichtung von bis zu 7000 Arbeitsplätzen an, plant aber gleichzeitig den Neubau eines Autowerkes in einem osteuropäischen Billiglohnland oder der Türkei. Der neue Audi-Chef Schot wiederum will „die Größe der Belegschaft auf den Prüfstand stellen“, um Effizienz und Rendite zu steigern. Dafür sucht Konzernvorstandschef Diess nun eine Übereinkunft mit dem Konzernbetriebsratschef Osterloh.
Seit dem „Historischen Kompromiss zwischen Kapital und Arbeit“ 1952 überlassen die Gewerkschaften, die sich dem Streikverbot gegen Entlassungen und alle „strategischen Unternehmensentscheidungen“ unterworfen haben, den Betriebsräten die „Verhandlungen“ über solche Entscheidungen. Die Betriebsräte wiederum aber sind aber per Betriebsverfassungsgesetz zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit der Unternehmensleitung zum „Wohle des Betriebes“ verpflichtet. Ihnen ist jede organisierte Kampfhandlung untersagt, wozu sie auch mangels Organisationskraft gar nicht fähig sind. Die jeweils von Unternehmensvorstand und Betriebsrat getroffenen Betriebsvereinbarungen reduzieren sich auf die „sozialverträgliche Gestaltung“ der Arbeitsplatzvernichtung. Den Gewerkschaften verbleibt die Rolle, den Betriebsrat dabei zu unterstützen, zur Not auch mit dem erlaubten Arbeitskampf für „Sozialtarifverträge“ des gleichen Inhalts.
Die jetzt hereinbrechende Krise bedroht aber die nationale Grundlage und Existenz der Industrie.
Finden die ca. 9 Millionen hochorganisierten Industriearbeiter einen Weg, sich über das von einer reaktionären Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts verhängte Streikverbot hinwegzusetzen? Den Weg, für die Organisierung der notwendigen Kampfkraft nach ihren Gewerkschaften zu greifen, um ihre stärkste Waffe, den gewerkschaftlich organisierten Streik, für die Verteidigung ihrer Arbeitsplätze und der Produktion einzusetzen?
Es gibt Beispiele für diesen Weg. Bei den Kollegen im öffentlichen Dienst mehren sich Streiks für mehr Personal gegen Personalnot, gegen Tarifflucht, für die (Rück-)Eroberung des Flächentarifvertrags, gegen Ausgliederung und Privatisierung: alles „verbotene, weil nicht tariffierbare“ Forderungen, weil sie das Direktionsrecht, die Entscheidungsfreiheit der Unternehmer und Arbeitgeber, nicht respektieren.
Über diese Erfahrungen in den Kämpfen, über diese Fragen und Probleme, die sich jetzt auch für die Kolleg*innen in der Industrie häufen zu diskutieren, bietet die „Soziale Politik & Demokratie“ eine offene und freie Diskussionstribüne und lädt die Kollegen ein, sich mit ihren Beiträgen in die Diskussion einzubringen.
Carla Boulboullé
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