Nach dem Scheitern ihres streiklosen Bettelns um die Angleichung der Arbeitszeit im Osten an die 35-Stunden-Woche im Westen steht die Kampfkraft der IG Metall vor zwei großen Herausforderungen: Erstens die Existenzkrise der Stahlindustrie, einem Pfeiler der deutschen Kernindustrie, die vom deutschen Finanzkapital zum Sterben verurteilt wird; zweitens die drohende Vernichtung von über 100.000 Arbeitsplätzen allein in der baden-württembergischen und bayerischen Autoproduktions- und Zuliefererindustrie.
Der Industriekonzern Thyssen-Krupp zählt weltweit 162.000 Beschäftigte und in Deutschland 60.000. Die Stahlproduktion ist das Herz seiner verschiedenen Industriesparten. Der aggressive Finanzinvestor Cevian verfolgt mit allen Mittel die Zerschlagung des Konzerns durch den Verkauf aller profitträchtigen Sparten, um Milliarden in seine Kassen zu spülen. Die Stahlproduktion will er deren Niedergang überlassen. Die profitablen Sparten, wie vor allem die Aufzug-Herstellung, sollen – ob durch Börsengang oder nicht – den schon wartenden Finanzinvestoren wie Blackstone etc. ausgeliefert werden.
„Die Beschäftigten dem Finanzmarkt zum Fraß hingeworfen“ (IGM NRW)
Jahrelang haben Cevian und andere Finanzhaie die Stahlsparte geplündert und Modernisierungsinvestitionen verhindert. Die endgültige Abspaltung von den anderen Unternehmenssparten droht den mit 27.000 Beschäftigten noch größten deutschen Stahlproduzenten in eine Existenzkrise zu stürzen. Es fehlen die Finanzmittel für Investitionen. Ein „Sparprogramm“ diktiert den Abbau von zunächst bis zu 2000 Arbeitsplätzen und die Schließung ganzer Anlagen. Insgesamt sollen 4000 Arbeitsplätze verschwinden.
Die Hälfte der Mitglieder des Aufsichtsrates stellen die IGM und Betriebsräte. Bislang haben sie die Plünderung durch die Finanzspekulanten, natürlich „kritisch und sozialverträglich gestaltend“, begleitet. Die in den Überschriften zitierte wortradikale Verurteilung der Finanzspekulanten bleibt eine wortradikale Phrase, ohne wirklich radikale Taten.
Die von der IGM organisierten letzten Protestdemonstrationen von 2500 Kollegen in Frankfurt und 6000 Kollegen in Duisburg bezeugten die Wut und Kampfbereitschaft der Arbeiter für die Verteidigung ihres Arbeitsplatzes und ihrer Existenz, ihrer Familien und der ganzen Region.
Mit dem Verlust der industriellen Arbeitsplätze sinkt die Kaufkraft und Lebensqualität der Bewohner und Städte, sowie ihre soziale Infrastruktur in einem Ruhrgebiet, das sich immer mehr in eine „industrielle Wüste“ (IGM) und sozialen Brennpunkt verwandelt. Von sozialem Abstieg betroffen und bedroht wird hier in den tiefen Schichten des arbeitenden Volkes die zornige Ablehnung des politischen Systems der etablierten Parteien wachsen, die sich allesamt den Krisenanforderungen und Interessen des Kapitals, der Konzerne und Finanzspekulanten unterwerfen. Eine Ablehnung, die sich in Wahlen zur Zeit, neben der Wahlverweigerung, nur durch ihre Proteststimme über die AfD Ausdruck schaffen kann.
Das Grundgesetz garantiert den Schutz des „Allgemeinwohls“ vor zerstörerischen Entscheidungen des Privateigentums. In diesem Falle vor dem aggressiv zerstörerischen Wüten von Finanzhaien.
Gebietet das Interesse des Allgemeinwohls nicht, dass die Finanzinvestoren enteignet werden? Und dass diese Gelder genutzt werden für Modernisierungsinvestitionen und die Stärkung der Stahlproduktion?
Dass die Stahlsparte von Thyssen-Krupp unter der demokratischen Kontrolle der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaft verstaatlicht wird?
Dass der Unternehmensleitung des gesamten Konzerns die Macht über strategische Unternehmensentscheidungen aus der Hand genommen wird und Arbeitsplätze und Anlagen der Thyssen-Krupp AG unter staatlichen Schutz gestellt werden?
Die Kosten der schweren Krise der Autoindustrie brutal auf die Arbeiterschaft abgewälzt!
Die weltweite Produktionskrise trifft die exportstarke deutsche Industrie und zunächst die Autoproduktion und Zuliefererindustrie mit voller Wucht. Die Situation wird noch verschärft durch die Notwendigkeit gigantischer Investitionen für Rationalisierung und Automatisierung / Digitalisierung der Produktion und durch den Wandel zur E-Mobilität. Investitionen, die den tendenziellen Fall der Profitrate beschleunigen. Und das treibt das Kapital in einen wilden Wettlauf zu Sparprogrammen, um mit allen Mitteln die Arbeitskosten zu senken.
Die Große Koalitions-Regierung pumpt zig Milliarden in die Autoindustrie zur Rettung hoher Profite und Renditen. Milliarden direkter Subventionen zur Förderung der Digitalisierung des technologischen Wandels und für Kaufprämien, sowie für Erleichterungen bei Steuern und Sozialabgaben.
Die Hilferufe der Gewerkschaftsführung für eine erweiterte Kurzarbeitsregelung mit mehr Qualifizierung beantwortet GroKo-Minister Heil (SPD) mit dem Hinweis auf die alte Regelung: die Finanzierung des Löwenanteils durch die Arbeitslosenkasse der Arbeitnehmer, damals in Höhe von 12 Milliarden, durch staatliche Subventionen für die Unternehmer und durch deren lächerlichen eher symbolischen Beitrag.
Jede Qualifizierung wird weiter wie bisher im Wesentlichen durch Lohnverzicht der Arbeiter finanziert, was sich nur die Schicht mit guten Tariflöhnen leisten kann. Der staatliche Finanzbeitrag geschieht auch hier über Steuer- und Sozialabgabenerleichterungen für die Unternehmer. Die Kosten für die Senkung der CO2-Emission werden zudem durch Preiserhöhungen auf die Verbraucher, die arbeitende Bevölkerung, abgewälzt.
Im Namen des technologischen Wandels und der Digitalisierung werden massiv Arbeitsplätze abgebaut, die Flucht aus dem Flächentarifvertrag in jeder Form nimmt epidemisches Ausmaß an. Vermehrt wird ausgelagert und in Billiglohnländer verlagert, werden Beschäftigungsverhältnisse prekarisiert. Auch Investitionen der Unternehmer in die Produktion von Elektromotoren führen fast generell in tariflose Arbeitsverhältnisse oder werden in Billiglohnländer verlagert.
Das Ganze bedeutet für Deutschland einen qualitativen Schritt in die Deindustrialisierung, besonders in die Kernregionen der Autoindustrie.
In den bayerischen und baden-württembergischen Kernregionen der Autoproduktion und Zuliefererindustrie ist die Vernichtung von über 100.000 Arbeitsplätzen beschlossen und geplant. Dass betrifft die großen Produzenten Daimler, BMW und Audi ebenso wie die großen Zulieferer Bosch, Conti, Mahler, Schaeffler, Brose etc. Größere Zulieferer haben schon Teilbetriebe geschlossen und mehrere kleinere sind schon verschwunden.
In Baden-Württemberg haben nach Angaben der IGM 160 Unternehmen Sparprogramme beschlossen. Es geht immer um die Steigerung von Profit und Renditen.
Alle sehen die Vernichtung von Arbeitsplätzen vor, viele auch Betriebsschließungen. Bei fast allen werden in den verschiedensten Formen die Löhne gesenkt, bei vielen geschah das auch schon in der vorangegangenen Zeit. Auch in Form von Abweichungen vom Flächentarifvertrag oder Streichung von tariflichen Errungenschaften, durch Flexibilisierung der Arbeitszeit, unbezahlte Mehrarbeit und Lohnverzicht bei Arbeitszeitverkürzung. Gewerkschaft und Betriebsräte, welche diesen Kürzungen – ob mit Protestaktionen oder ohne – zustimmen oder sie tolerieren, handeln im Widerspruch zu der alten Losung: „Lohnverzicht rettet keinen Arbeitsplatz“.
Besonders empörend für die Kollegen: wenn Unternehmen wie Conti (von Audi und BMW ganz zu schweigen) gleichzeitig Produktion und Arbeitsplätze in Billiglohnländer wie Rumänien, Tschechien und China verlagern.
Warnung vor industriellen Wüsten – abgehängten Regionen
Die IGM warnt vor der Ausbreitung „industrieller Wüsten“! Industrielle Wüsten bedeuten abgehängte Regionen oder zumindest Teile der Regionen und Länder. Mit dem Abbau industrieller Arbeitsplätze und der Zersetzung des starken Flächentarifvertrags der Metallindustrie beginnt die Spirale des sozialen Niedergangs für Schichten des arbeitenden Volkes und Jugend, für Kommunen und die soziale, staatliche und kommunale Infrastruktur, für die Lebensqualität dieser Bevölkerung.
Vor diesem Hintergrund werden die Wut und Kampfentschlossenheit der Metaller verständlich, die ihre Gewerkschaft in die Aktion gedrängt haben. Das hat, entsprechend der Strategie der Gewerkschaftsführung, die Form von mehreren lokalen Protestdemos und Kundgebungen angenommen. Denn diese Führung hält sich an das Verbot von Streiks gegen Arbeitsplatzvernichtung und Betriebsschließungen, sowie Auslagerungen aus dem Flächentarifvertrag.
Ob in Verhandlungen mit den Arbeitgebern oder in Gesprächen mit Konzernspitzen und großen Zulieferern und der Regierung, wie auf Merkels Autogipfel am 4. November: immer reduziert sich die Rolle der Gewerkschaftsführung auf die „sozialverträglich-gestaltende Begleitung“ – wenn nötig auch unter Protest – der zerstörerischen strategischen Entscheidungen der kapitalistischen Unternehmer und Privateigentümer, der Aktien-Anteilhaber und Finanzinvestoren gegen industrielle Arbeitsplätze und Produktion und gegen die damit verbundenen Flächentarifverträge und Rechte der Arbeiterschaft.
Und erneut stellen sich ähnliche Fragen, wie im Falle der absterbenden Stahlindustrie:
Wie können die Arbeiter mit ihren Organisationen Arbeitsplatz und Produktion verteidigen; wie ihren Flächentarifvertrag, Lohn und ihre Rechte und damit die Lebensverhältnisse, die soziale Infrastruktur in den Städten und Kommunen, in ihren Regionen?
Muss nicht das Interesse des Allgemeinwohls geschützt und verteidigt werden gegen das zerstörerische Wüten des profit- und renditegetriebenen Privateigentums an den Produktions- und Finanzmitteln?
Im öffentlichen Dienst/Dienstleistungen haben zunehmend Kollegen die Erfahrung gemacht, dass sie erfolgreich ihre Gewerkschaft gewinnen konnten für die Organisierung von Streiks für mehr Personal, für Rückführung aus der Ausgliederung und Rückeroberung des Flächentarifvertrags für alle, also im Kampf für Forderungen, die bislang unter das Streikverbot fielen.
Muss nicht auch in der Industrie die größte, sich im gewerkschaftlich organisierten Streik entfaltende, Kampfkraft der Arbeiter für ihre berechtigten Forderungen aufgeboten werden?
Für die Rücknahme solcher zerstörerischen strategischen Unternehmensentscheidungen?
Für die Verteidigung aller Arbeitsplätze auf der Linie: Kein Arbeitsplatz darf vernichtet werden – bevor nicht ein neuer, 100%ig gleichwertiger Arbeitsplatz geschaffen ist?
Gegen jede Form von Lohnsenkung und Lohnverzicht und jede Form der Verschlechterung der tariflich geregelten Arbeitszeit?
Gegen jede Form von Tarifflucht, der Flucht aus dem großen, von der Gewerkschaft als allgemeinverbildlich garantierten Flächentarifvertrag?
Müssen nicht alle Gewinne in neue Produktion und Arbeitsplätze investiert werden, dem technologischen Wandel entsprechend?
Müssen nicht auch hier die Finanzinvestoren und Anteilseigner bei Widerstand enteignet werden? Und muss nicht die Hilfe, zu der die IGM die Landesregierung auffordert, darin bestehen, Arbeitsplätze und Produktion unter staatlichen Schutz zu stellen?
Das ist die Erfahrung
In Deutschland haben nicht der einzelnen Arbeiter sondern ihre Organisation, die Gewerkschaft, das Recht zum Streik. Das aber heißt, Streikrecht hat die organisierte Arbeiterschaft. Der gewerkschaftlich organisierte Streik ist die stärkste Waffe der Arbeiterschaft im Kampf für ihre Forderungen und Interessen gegen die Macht des Kapitals und der Regierung. Auch und gerade gegen die strategische Entscheidung der Unternehmer, Privateigentümer und Finanzinvestoren, wie gegen Regierungsentscheidungen, die sich gegen die Interessen der Arbeiter und Demokratie richten.
Das Grundgesetz hat den Arbeitern und ihrer Gewerkschaftsorganisation das uneingeschränkte und umfassende Streikrecht garantiert, damit sie der Macht des Kapitals und der Regierung auf der Grundlage ihrer Streikmacht demokratisch und auf Augenhöhe für die Vertretung ihrer Interessen in „allen wirtschaftlichen und sozialen Belangen“ entgegentreten können.
Dieses umfassende Streikrecht wurde 1952 durch eine reaktionäre Gerichtssprechung im Kern eingeschränkt, durch ein Streikverbot gegen alle strategischen Unternehmensentscheidungen und generell gegen Regierungsentscheidungen.
Die Gewerkschaftsführung unterwarf sich diesem Verbot in einem von ihr so bezeichneten „Historischen Kompromiss zwischen Arbeit und Kapital“ des gleichen Jahres und ließ sich, nachdem die Adenauerregierung ihren Widerstand gebrochen hatte, mit der Mitbestimmung des Betriebsverfassungsgesetzes und der politischen Mitbestimmung auf Gesetzgebungs – und Regierungsebene abspeisen, die die zuvor bekämpft hatte.
Weiterhin gefangen in dieser jahrzehntelangen partnerschaftlichen Mitbestimmungsideologe und Praxis, beschwört sie auch heute, da sie sich die Waffe des gewerkschaftlich organisierten Streiks aus den Händen hat nehmen lassen, die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Unternehmensleitung zum Wohle des Betriebes, sprich des Profits und der Rendite, denen Arbeitsplätze und Produktion geopfert werden müssen. Und ihnen bleibt nur, die Zerstörung „so sozialverträglich wie möglich gestaltend“ zu begleiten.
Gegenüber der Regierung bleiben ihr im Rahmen der Politischen Mitbestimmung nur eine zahnlose Lobbyarbeit und ohnmächtige Appelle, die Bettelei um „sozialverträglich gestaltende“ politische Maßnahmen.
Das ist die Erfahrung: für einen erfolgreichen Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze und Produktion und ihres Flächentarifvertragssystems müssen die Arbeiter die Fessel des Streikverbots sprengen und ihre Gewerkschaft als Instrument zur Organisierung des gewerkschaftlichen Kampfes zurückerobern. gk/wu
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