In diesen letzten und ersten Wochen des alten und neuen Jahres sind die Augen aller Völker Europas auf Frankreich gerichtet. Am 5. und 17. Dezember und erneut am 9. Januar haben sich die mit ihren Gewerkschaften streikenden Arbeiter mit den Millionen Massen des arbeitenden Volkes und der Jugend in Demonstrationen vereint – gegen Macron und für die Rücknahme seiner Renten„reform“, welche im Interesse des Finanzkapitals die von den Arbeitern 1945 erkämpfte historische Errungenschaft des Rentensystems zerschlagen soll. (s.S. 20 in dieser Ausgabe).
Das politische Herrschaftssystem ist definitiv erschüttert, das Regime Macron tödlich getroffen, seine Tage gezählt.
Während die Arbeitnehmer und Völker von der unbeugsamen Kampfentschlossenheit der Arbeiterstreiks und den Machtdemonstrationen auf der Straße angespornt werden, müssen die politisch und wirtschaftlich Herrschenden angesichts des Beispiels Macron voller Entsetzen um ihr eigenes Schicksal fürchten.
Der Motor in dieser Massenbewegung sind die seit über sechswöchigen Arbeiterstreiks.
In voller Verwirklichung der Arbeiter- und Gewerkschaftsdemokratie werden die Streiks und ihre Verlängerung von den Belegschaftsversammlungen entschieden. Oft genug im Konflikt mit Teilen der nationalen Gewerkschaftsführung, die mehrfach – entgegen der Forderung der Rücknahme der Antireform – „Verhandlungen“ mit Macron aufnehmen und für die Weihnachtszeit eine StreikpAause vereinbaren wollten. Und während die streikenden Arbeiter permanent auf die Ausweitung des Streiks auf die nationale Branche und auf die gesamte Arbeiterschaft drängen, hat die nationale Führung das bisher verhindern können und so Macron und seinem Reformprojekt ein künstliches Überleben erlaubt.
Niemand kann heute wissen, wann und mit welchem Ergebnis dieser Sturm in Frankreich zu Ende geht. Den Arbeitnehmern nicht nur Frankreichs ist die Erfahrung vom 1995 präsent, als der Massenstreik den ersten Versuch einer Antireform gegen die Rente hinwegfegte und die Regierung Juppé zum Rücktritt zwang. Sicher jedenfalls ist, dass der jetzige Sturm dazu beiträgt, dass er über kurz oder lang auf andere Arbeitnehmer und Völker Europas über springt.
„Vor dem Sturm“
steht in Deutschland nach Ansicht der SZ vom 18.12. die Industriearbeiterschaft und vor allem die Autoproduktion und deren Zulieferindustrie. Ihre Begründung: „Erstmals seit neun Jahren, also seit dem Ende der Finanzkrise, ist die Zahl der Mitarbeiter in der deutschen Industrie gesunken.“ Die Zeitung sieht darin den „Vorboten einer noch düstereren Entwicklung der Produktions- und Wirtschaftskrise auf Weltebene“.
Am 14. 1. meldet der Unternehmerverband Gesamtmetall für das Jahr 2019 ein 5,2 % Minus der Produktion in der Metall- und Elektroindustrie: „Das ist das größte Minus seit der Wirtschaftskrise 2009“. Arbeitsplatzvernichtung, Betriebsschließungen und Kurzarbeit greifen um sich, ebenso wie die Flucht aus dem Flächentarifvertrag.
Aber in Deutschland bläst der Sturm bisher einseitig, ausgehend von den Konzernleitungen, angetrieben von den Finanzinvestoren.
Im Interesse der Senkung der „Kosten der Arbeit“ für die Steigerung von Profit, Dividende und Rendite scheuen die Finanzinvestoren vor keinem Mittel zurück. Konzerne wie Thyssen-Krupp werden zerschlagen, die Stahlsparte isoliert, weiter ausgeschlachtet und zum Absterben verurteilt, was das Sterben der Stahlindustrie insgesamt in Deutschland besiegelt. Das Schicksal des Sterbens trifft ebenfalls Opel und einen ganzen Sektor der Zulieferindustrie für die Autoproduktion und des Maschinenbaus.
Konzerne wie Siemens oder Bayer gliedern ganze Sparten aus, um sie aus dem Flächentarifvertrag herauszubrechen, sie bringen sie an die Börse, um sie einer noch konsequenteren Plünderung der Finanzspekulanten auszuliefern.
Alle Industriekonzerne nutzen die Digitalisierung und den E-Mobilitätswandel für die massive Vernichtung von Arbeitsplätzen, für Lohndumping und Erpressung von Tarifflucht.
Die überwältigende Mehrheit dieser Industriearbeitsplätze bleibt für immer verloren und kann nicht durch qualitativ gleichwertige Arbeitsplätze in neuer Produktionstechnologie ersetzt werden.
Was aber tut in diesem aufkommenden Sturm die Gewerkschaftsführung, die Führung der Organisationen, welche die Arbeiter als kollektive Kampfinstrumente zur Verteidigung ihrer Interessen aufgebaut haben?
Wie hat sie gehandelt gegen die zerstörerische Agenda 2010, die von der Schröder (SPD) -Regierung ab 2003 alle von der deutschen Arbeiterbewegung seit 1945 erkämpften historischen Errungenschaften des Sozialstaates zu demontieren begann?
Diese Agenda hat nicht nur das gesetzliche Rentensystem zerschlagen und eine brutale Kürzungsorgie der Rente diktiert, die verantwortlich ist für die heute massenhafte Ausweitung der Altersarmut. Sie hat mit den Hartz-Gesetzen und der Förderung der Tarifflucht die Flächentarifverträge zersetzt und ein Millionenheer von Niedrig- und Billiglöhnern und des Prekariats produziert. Und sie hat unter dem Spardiktat – schließlich der Schuldenbremse – Krankenhäuser, Schulen und Kommunen kaputt- und das Personal weggespart.
Schröder und auch die folgenden Regierungen konnten sich erlauben, diesen sozialen Kriegszug gegen die Arbeiter durchzuziehen, ohne einen Streik auch nur fürchten zu müssen. Die Gewerkschaftsführung hat die Arbeiterklasse wehrlos, weil um ihre Streikwaffe gebracht, diesem Zerstörungswerk ausgeliefert und kein einziges Mal die gewaltige Kampfkraft der deutschen Arbeiterklasse in gewerkschaftlich organisierten Streiks und Massenstreik sich entfalten lassen.
Stattdessen hat sie die Agenda-Politik mit halbherzigen Protestdemonstrationen begleitend hingenommen. Ihre größte Schande: im Rahmen der Politischen Mitbestimmung hat sie in den parlamentarischen und Regierungskommissionen zur Agenda-Gesetzgebung „bremsend“ mitgearbeitet.
Die Praxis der „sozialverträglich gestaltenden“ Begleitung
Die Führung der IG Metall ist offensichtlich weiterhin gewillt, und hat schon damit begonnen, den heute aufziehenden Sturm gegen die industriellen Arbeitsplätze und ganze Industriebereiche und die damit verbunden Errungenschaften, vor allem dem Flächentarifvertrag, mit der gleichen Methode zu „bekämpfen“. Sie appelliert an die sozialpartnerschaftliche Zusammenarbeit der Unternehmens- und Konzernleitungen mit der Gewerkschaft für eine möglichst „sozialverträglich gestaltete“ Zerstörung. Was von einer zunehmenden Zahl der Betroffenen nur mit Empörung und Wut registriert werden wird.
Von der Regierung der Großen Koalition fordert sie eine erweiterte Qualifizierung der vielen „überflüssigen“ Arbeiter in Kurzarbeit. Die natürlich im Wesentlichen mit Milliarden aus der Kasse der Arbeitslosenversicherung der Arbeitnehmer finanziert werden soll, während die Unternehmer staatliche Subventionen erhalten.
Aber auch eine solche erweiterte Kurzarbeiterregelung erfasst nur einen Teil der großen Zahl derer, denen der Arbeitsplatz genommen wurde, während zugleich die schrumpfende Zahl an Industriearbeitsplätzen die Zahl der Arbeitssuchenden wachsen lässt und noch mehr Arbeiter und Jugendliche in Billiglohn- und prekarisierte Arbeitsverhältnisse abdrängt.
Diese Praxis der sozialpartnerschaftlichen Zusammenarbeit der Betriebsräte und Gewerkschaftsführung mit den Unternehmens- und Konzernherren im Rahmen der betrieblichen Mitbestimmung, als auch die Beteiligung der Gewerkschaftsführung an der parlamentarischen Gesetzgebung und Regierungstätigkeit im Rahmen der Politischen Mitbestimmung, kennzeichnet das Handeln der Gewerkschaftsführung seit dem „Historischen Kompromiss zwischen Kapital und Arbeit“ von 1952. Und deren Ergebnis ist immer die grundsätzliche Akzeptierung von strategischen arbeiterfeindlichen Unternehmens- und entsprechenden Regierungsentscheidungen in Form ihrer möglichst „sozialverträglich gestaltenden“ Begleitung.
Und für diese Art „Mitbestimmung“ hat die Gewerkschaftsführung das gewerkschaftliche Streikverbot gegen solche Entscheidungen akzeptiert und respektiert es immer noch.
Das Beispiel der französischen Kollegen, der souveränen Entscheidung der Belegschaftsversammlung über ihren Streik mit ihren Gewerkschaften, hilft den Arbeitern in Deutschland ihren Weg zu finden, die Gewerkschaften für die Organisierung ihrer Streikkraft im Kampf gegen die Welle der industriellen Arbeitsplatzvernichtung zu gewinnen.
Auch sie haben die Möglichkeit, in Urabstimmung auf Belegschaftsversammlungen ihre Gewerkschaft auf die Organisierung des Streiks für die Verteidigung ihrer Arbeitsplätze, Betriebe und des Flächentarifvertrags, sowie gegen Ausgründungen und Verlagerungen, zu verpflichten. Womit sie dem vom Grundgesetz garantierten, umfassenden gewerkschaftlichen Streikrecht für die Verteidigung der Interessen der Arbeiter auch gegen strategische Unternehmensentscheidungen und Regierungsmaßnahmen und -gesetze wieder Geltung verschaffen.
gk/wu
Comments are closed.