Es besteht die Gefahr, dass „Grundrechte in Krisenzeiten als Ballast betrachtet“ werden (H.Prantl, SZ, 28./29. März)
Mit hohem Eiltempo wurden am 25. März im Bundestag, der auf ausgewählte Abgeordnete verkleinert worden war, mit dem „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ Änderungen des Infektionsschutzgesetzes beschlossen. Sie sehen weitreichende Befugnisse für den Gesundheitsminister und Einschränkungen in die Grundrechte und die verfassungsmäßige Ordnung unseres Landes vor. Der Exekutive werden Entscheidungskompetenzen eingeräumt, bestimmte Grundrechte ohne Zustimmung des Parlaments bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite weitgehend einzuschränken oder sogar aufzuheben. Dem Parlament bleibt nur die Befugnis, eine epidemische Lage von nationaler Tragweite festzustellen und diese Feststellung wieder aufzuheben, wenn die Voraussetzungen dafür nicht mehr vorliegen.
Das Handelsblatt, 25.3., warnt vor der Verabschiedung des Gesetzesentwurfs aus dem Haus des Gesundheitsminister Spahn: „Doch die Machtdemonstration der Regierung ruft neue Sorgen hervor. Im Eilverfahren werden hart erkämpfte Freiheiten infrage gestellt und rechtsstaatliche Tabus gebrochen.“ Die legitime Angst vor Corona, die viele Menschen Grundrechtseinschränkungen akzeptieren lässt, darf nicht darüber hinweg täuschen, dass ein neues Notstands-Ausnahme-Gesetz verabschiedet wurde.
„Ermächtigung“
Der Gesetzentwurf von Spahn sah die „Ermächtigung“ der Bundesregierung vor, eine epidemische Lage von nationaler Tragweite festzustellen. In einem zweiten Schritt sollte die Regierung dann ermächtigt werden, durch Rechtsverordnungen von beträchtlicher Reichweite tief in die Grundrechte der Bürger*innen eingreifen zu können Das wurde vom Bundestag dahingehend verändert, dass nun das Parlament diese epidemische Lage feststellen muss und diese Notlage zeitlich auf ein Jahr (!) befristet ist.
Der deutsche Anwaltsverein (Anwaltsblatt vom 27.3.) warnt jedoch: „Was durch den Bundestag jedoch nicht geändert wurde: Die Bundesregierung soll weitreichende Ermächtigungen erhalten, während der epidemischen Lage durch Rechtsverordnungen Maßnahmen zu erlassen. Das bedeutet, die Bundesregierung soll künftig per bloßem Verwaltungsakt, ohne formelles Gesetz in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger eingreifen können, wenn der Bundestag zuvor die epidemische Lage festgestellt hat. (…) “
Auch nach Veränderung des ursprünglichen Gesetzentwurfes erhält die Bundesregierung mit der vom Bundestag beschlossenen Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite uneingeschränkte Befugnisse. Mit Hilfe administrativer Instrumente und Behörden, allem voran das Robert-Koch-Institut (RKI, eine Bundesbehörde unter Aufsicht des Bundesministeriums für Gesundheit), kann sie Maßnahmen ergreifen, die insgesamt eine Reihe von Grundrechten des Grundgesetzes faktisch aushebeln.
„Der Rechtsstaat leidet unter Corona: Mit Ausgangssperren, Verweilverboten und Handydatensammlungen soll Covid-19 bekämpft werden. Doch manche Pläne führen zu gefährlicher staatlicher Willkür und Überwachung“, titelt Zeit Online am 30.3.
Spahn hat zwar die Möglichkeit der generellen Handy-Verortung vorläufig zurückgenommen, aber die vorgesehene Erweiterung des Kompetenzbereichs des RKI mit der Änderung des §4 Investitionsschutzgesetz läuft darauf hinaus, dass personenbezogene Daten genutzt werden, die u.a. durch Handy-Nutzung gewonnen wurden. Denn im geänderten Gesetz steht, dass das RKI, das mit den jeweils zuständigen Bundesbehörden, den zuständigen Landesbehörden, den nationalen Referenzzentren, weiteren wissenschaftlichen Einrichtungen und Fachgesellschaften zusammen arbeitet, auf Ersuchen der zuständigen obersten Landesgesundheitsbehörde den zuständigen Stellen bei Maßnahmen zur Überwachung, Verhütung und Bekämpfung von bedrohlichen übertragbaren Krankheiten, auch länderübergreifend Amtshilfe leisten kann und soweit erforderlich, dabei „personenbezogene Daten verarbeiten“ darf, wie diese auch immer gewonnen wurden. Bekannt ist, dass die Telekom bereits zweimal – angeblich anonymisierte – Kundendaten von über 46 Millionen Handynutzern an das RKI gegeben hat.
Mit den Paragraphen 16 und 28 des bestehenden Gesetzes ist es bereits jetzt schon möglich, umfassende Grundrechtseinschränkungen wie „Freiheit der Person“ (Artikel 2, Grundgesetz), „Versammlungsfreiheit“ (Art. 8, GG) und „ Unverletzlichkeit der Wohnung“ (Art. 13, GG) zu veranlassen. Bisher bedarf es der Zustimmung des Bundesrates und des Bundetages. So wurde die Versammlungsfreiheit in der Öffentlichkeit und somit auch das Demonstrations- und Streikrecht durch das so genannte Kontaktverbot von mehr als zwei Personen im öffentlichen Raum (mit Ausnahme von Familien) bereits durch gemeinsamen Beschluss der Ministerpräsident*innen eingeschränkt, wobei die Länder diese Einschränkung im unterschiedlichen Maße auslegen.
Mit der gesetzlichen Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes können derartige Entscheidungen in Zukunft flugs durch die jeweilige Bundesregierung getroffen werden, die dann mir Behörden-Willkür ausgeführt werden. Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmung von Gegenständen sind möglich, wenn ein Verdacht einer Infektion mit einem Erreger von epidemischen Ausmaß, wie die Infektion mit SARS-CoV-2, unterstellt wird.
Die gesetzlichen Änderungen beinhalten darüber hinaus eine weitere grundlegende Einschränkung der Grundrechte, nämlich die des „Rechts auf Körperliche Unversehrtheit“. Im § 5 Absatz 3 des geänderten Infektionsschutzgesetz heißt es hierzu, dass die Rechtsverordnung (ohne Zustimmung des Bundesrates) Ausnahmen von den Vorschriften des Gesetzes vorsieht. So können in Bezug auf den Infektionsschutz sowie die gesundheitlichen Anforderungen an Personal beim Umgang mit Lebensmitteln Ausnahmen zugelassen werden, „um die Abläufe im Gesundheitswesen und die Versorgung der Bevölkerung aufrecht zu erhalten“.
Das bedeutet im Klartext, dass davon abgesehen werden kann, medizinisches und für die Grundversorgung zuständiges Personal vor Infektionen zu schützen.
Zwar sieht das geänderte Gesetz vor, dass die Feststellung einer „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ auf Verlangen des Bundestages oder des Bundesrates wieder aufgehoben wird, allerdings unter der Bedingung, dass die Voraussetzungen für ihre Feststellung nicht mehr vorliegen. Wer aber entscheidet, ob die Voraussetzungen für eine solche Feststellung noch vorliegen oder nicht?
Und: eine „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“, das kann auch alle möglichen anderen Krisensituationen umfassen.
Ungeachtet der Schwere der Pandemie, die Deutschland wie die ganze Welt erschüttert, diese neuen Herausforderungen können nicht rechtfertigen, dass die erkämpften demokratischen Rechte und Freiheiten dauerhaft in Frage gestellt werden.
b.b. / c.b.
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