Wieder appelliert Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer pathetischen Rede an das „Verantwortungsbewusstsein“ der Bevölkerung: Auf jeden Einzelnen komme es an.
Doch wie schon im März will sie damit als Kanzlerin der Großen-Koalitionsregierung ablenken von der eigenen Verantwortung für die verschärfte Fortsetzung der zerstörerischen Sparpolitik. Davon dass Billionen für die Rettung von Profit und Rendite für das Kapital ausgeschüttet wurden. Sie will ablenken von ihrer Verantwortung für die Auslieferung der arbeitenden Bevölkerung und Jugend an die völlig unzureichenden Schutzmaßnahmen gegen den Virus einerseits und des Weiteren von der Deregulierung des Flächentarifvertragssystems.
Merkel und ihre Regierung wollen ablenken von ihrer Weigerung, die großen Unternehmen auf die Finanzierung des 100igen% Nettolohns für alle Kurzarbeiter zu verpflichten und von ihrer Verweigerung der staatlichen Finanzierung des 100igen% Nettolohns für alle anderen in Kurzarbeit Beschäftigten. Diese Politik provoziert und nährt den Widerstand.
Merkel und ihre Minister, besonders Spahn und Scholz, wetteifern mit ihrer vorgeheuchelten Sorge um die Gesundheit der Bevölkerung, dass die Kinder nicht Verlierer der Pandemie sein dürften. Doch wo sind die Finanzmittel für die Sanierung der Schulen, für mehr Lehrer und kleinere Klassen? Für mehr Kita-Personal und –plätze? Gleichzeitig werden die Klinikschließungen, Betten- und Personalabbau vorangetrieben. (60 % aller Krankenhäuser bundesweit sollen geschlossen werden). Jedes Jahr wächst der Investitionsstau an den Krankenhäusern um Milliarden.
Ulrich Frei, Verantwortlicher für das Personalmanagement einer der größten Universitätskliniken Europas, der Charité, erklärte auf der Bundespressekonferenz am 09.10.2020: „(…) wir haben leerstehende Intensivbetten, da stehen Beatmungsgeräte, da stehen Infusionspumpen, da stehen Monitore, aber da steht keine Pflegekraft.“ ( !)
Doch diese Erkenntnis, verkündet nachdem die Pandemie schon 8 Monate wütet, ist keineswegs neu. Schon im März 2013 stellte ver.di fest, dass für eine gute Patientenversorgung in Deutschlands Krankenhäusern 162.000 Vollzeitstellen fehlen. Und im März 2020 schrieb K. Schwabedissen (ver.di, NRW), dass ca. 200.000 examinierte Pflegekräfte nicht mehr in ihrem Beruf arbeiten, vor allem wegen unerträglicher und nicht zu verantwortender Arbeitsbedingungen.
Wer handelt verantwortungsbewusst – wer unverantwortlich?
Handeln die GroKo und die kommunalen öffentlichen Arbeitgeber verantwortlich, wenn sie im Namen des Spardiktats und der Schuldenbremse eine neue Offensive der Kaputtsparpolitik gegen Schulen, Krankenhäuser, gegen alle Beschäftigten des öffentlichen Dienstes diktieren? Die Schüler unter gesundheitsgefährdenden Bedingungen in die Schulen schicken? Die Patient*innen einer mangelhaften Gesundheitsversorgung ausliefern? Oder die Arbeitnehmer*innen auf dem Weg zur Arbeit trotz Pandemie-Warnungen in überfüllte U-Bahnen und Busse zwängen?
Oder handeln nicht vielmehr die Beschäftigten verantwortungsbewusst, die mit ihren Streiks für Lohn, für ausreichend Personal an Schulen, Krankenhäusern, bei den Gesundheitsämtern, im Nahverkehr und damit für die Verteidigung der öffentlichen Daseinsvorsorge kämpfen?
In den „Notdienstvereinbarungen“ zum Schutz der Patient*innen haben die Geschäftsführungen der Krankenhäuser von Charité und Vivantes – klammheimlich und abgedeckt vom rot-rot-grünen Senat als Eigentümer – eine weitere Waffe gegen das Streikrecht entdeckt. Der Personalnotstand in den Krankenhäusern sei so groß, dass die Notdienstbesetzung zum „Normaldienst“ geworden sei und faktisch kein Personal für Streiks freigestellt werden könne (!). Dagegen protestierten streikende Beschäftigte mit einem Transparent vor dem Brandenburger Tor: „Es ist der „Normalzustand“ und nicht der Streik, der die Patienten gefährdet!“
Den Vorschlag der ver.di-Führung, die Tarifrunde für ein halbes Jahr auszusetzen und zu verschieben, haben die Kolleg*innen abgeschmettert.
In Vorbereitung auf die am 1. September eröffnete Tarifrunde im öffentlichen Dienst haben sich die Beschäftigten besonders in den Krankenhäusern, Kitas, beim Nahverkehr mobilisiert. Gegen die Gewerkschaftsführung, die die Streiks auf die „tariffähigen“ und damit streikfähigen Forderungen begrenzen wollte, verlangten immer mehr Kolleg*innen trotz des Streikverbots für „nicht-tariffähige“ Forderungen, die Forderung nach „mehr Personal“, „TVöD“ für alle“ und „Schluss mit Outsourcing“ in die Tarifrunde aufzunehmen.
Durchgesetzt wurde von den Beschäftigten in der Pflege die Forderungen nach 300 Euro monatlich, Sonntagszuschlag und Arbeitszeitverkürzungen. Das entspricht ihrem Willen nach der Befreiung aus dem Niedrigtarif.
Die in Umfragen von den Kolleg*innen genannten Forderungen wurden von der ver.di-Führung verheimlicht und abgebürstet. Die offiziell von der Führung durchgesetzten Forderungen lauten 4,8 Prozent mehr Gehalt, ein Mindestbetrag von 150 Euro, eine Ausbildungsvergütungen von 100 Euro.
Die Kommunalen Arbeitgeber aber wollen den Einbruch, um Verschlechterungen gegen die Beschäftigten insgesamt durchsetzen, bis in die Tabellenstruktur – und dafür die Corona Pandemie nutzen. Auf diese Provokation konnte die Gewerkschaftsführung, unter dem Druck der kampfbereiten Kolleg*innen, nur mit ersten Warnstreiks zu antworten.
Beschäftigte verzichten nicht auf ihre Forderungen
Ende September hat ver.di erneut zu Warnstreiks im öffentlichen Dienst u.a in den Krankenhäusern und Kitas, im ÖPNV… in mehreren Bundesländern aufgerufen. Die Kolleg*innen des ÖPNV haben bundesweit mit großer Entschlossenheit den Streik geführt, Bahn und Busse standen still. In Berlin sind diesem Aufruf die Beschäftigten von Charité und Vivantes, einschließlich aller Tochterbetriebe, zum ersten Mal mit einem gemeinsamen Streik gefolgt.
Sofort brach ein Shitstorm von Seiten der öffentlichen Arbeitgeber, unterstützt von den Medien los. Angesichts der Milliardenlöcher in den kommunalen Haushalten und der grassierenden Pandemie seien Streiks“ unverhältnismäßig“ wird aus dem Arbeitgeberlager gedroht. „Wir lehnen es rigoros ab, dass die Menschen in unseren Kommunen durch Streiks in Mitleidenschaft gezogen werden – gerade in einer Zeit, in der in vielen Teilen der Wirtschaft Insolvenzen und der Verlust von Arbeitsplätzen drohen“, so Niklas Benrath von den kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA). In einem Kommentar im Tagesspiegel heißt es: „BVG-Streik 2020 in Berlin: Verdi lässt die Viren noch einmal Corona-Party feiern“: „Während sich die Stadt auf den nächtlichen Lockdown vorbereitet, legt ver.di am Freitag den öffentlichen Nahverkehr lahm. Unverantwortlich!“
Unter den Kolleg*innen tauchten Diskussionen über eine bundesweit zentralisierte Demonstration am 20.Oktober auf, um diese arbeitnehmerfeindliche Offensive mit der gewerkschaftlich organisierten Kampfkraft zu beantworten.
Das hat die ver.di- Führung veranlasst, vor der dritten Verhandlungsrunde bundesweit zu weiteren, zersplitterten Aktionen der Beschäftigten im öffentlichen Dienst aufzurufen. In Berlin bereiten die Kolleg*innen von Charité und Vivantes einen zwei-tägigen gemeinsamen Streik vor. Doch alle Kolleg*innen wissen auch, dass das eine zentrale bundesweite Demonstration nicht ersetzen kann.
Gotthard Krupp, 12.10.2020
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