Berlin: Erhebung der Massen auf den 1. Mai-Demos

Diskussionsbeitrag: Teil 1

Der von der Großen Koalition unter Merkel in langen Jahren aufgehäufte soziale und politische Explosivstoff entlädt sich nicht nur in der dramatisch zunehmenden Ablehnung der Wähler, sondern auch in konzentrierte Form an diesem 1. Mai in Berlin in einer Vielzahl von Massendemonstrationen und Kundgebungen, u.a. der gegen ihre Entlassung streikenden Kollegen.

Die große Mehrheit der Demonstrationen, vor allem Massendemonstrationen, haben sich spontan entfaltet. Vorbei und außerhalb der Gewerkschaften, die sonst traditionell die 1. Mai-Demonstrationen organisieren.

55.000 Demonstranten in Berlin!

Mit den großen Massendemonstrationen und vielfältigen Kundgebung und kleineren Demonstrationen erlebt Berlin am 1. Mai die Erhebung aller Schichten der arbeitenden Bevölkerung, vorneweg der Jugend, gegen die antidemokratische Unterdrückungs- und soziale Zerstörungspolitik der Merkel-Regierung.

Eine Erhebung zuallererst gegen das aufgezwungene Notverordnungsregime mit einem Verbot besonders von Demonstrationen und Streiks, von Versammlungen, kollektiven Diskussionen, von jeglicher Form des organisierten Widerstandes. „Die Corona-Krise hat wieder einmal das Scheitern des Kapitalismus gezeigt, der nur durch immer neue Gesetze und Verordnungen am Laufen gehalten wird“, so Veranstalter der „Revolutionären 1. Mai-Demonstra-tion“.

Verbote, denen sich die Gewerkschaftsführungen bereitwillig unterwerfen, während die Kollegen sie, immer in Konflikt mit der Führung, mit ihren Demonstrationen durchbrechen und ihre Gewerkschaft für die Organisierung ihres Kampfes für ihre Forderungen erobern.

Alle Demonstrationen haben nicht nur dieses Verbot, sondern auch die sonstigen politischen und polizeilichen Auflagen und Einschränkungen durchbrochen – unter Respektierung der elementaren Abstands- und Schutzregeln.

Das trifft auch für die von „Querdenker“ aufgerufene Diskussion zu, die mit ca. 300 Teilnehmern recht schwach blieb. Übrigens einige Vertreter der AfD und anderer rechtsextremer Gruppierungen konnten es nur in Begleitung dieser Demonstration wagen, die Berliner Straßen an diesem 1. Mai zu betreten. Das widerspricht dem vom Berliner Senat in Auftrag gegebenen Verfassungsschutzbericht, nachdem es für die Rechtsextremisten einen „erheblichen Schub und Erfolg bei der Mobilisierung für große Demonstrationen“ gebe. Die enorme Mobilisierung der arbeitenden Bevölkerung und Jugend für die großen Demonstrationen des 1. Mai in Berlin ließ den Rechtsextremisten nicht den kleinsten Platz.

Eine Erhebung auch für die Forderungen gegen die Politik der sozialen Zerstörung

Die größeren Demos wurden von den Forderungen gegen Mietwucher und Wohnungsnot beherrscht, für bezahlbare Wohnungen für alle und die Finanzierung eines staatlichen Sozialwohnungsbaus – für die „Enteignung von Deutsche Wohnen & Co“, für die Enteignung der großen Wohnungsbaukonzerne und Immobilienspekulanten.

Es waren Merkels Regierungen, welche den staatlichen sozialen Wohnungsbau endgültig liquidiert und jahrelang die Grundstücks- und Immobilienspekulanten gefördert haben. Das erklärt auch die Wut und Leidenschaft der Demonstranten im Kampf für ihre Forderungen gegen diese Regierungspolitik.

Das charakterisiert auch die Demo der 3.500 Bevölkerungsteilnehmer des Berliner Bezirks Wedding, die unter der Losung „Hände weg vom Wedding“ gegen ihre Verdrängung aus bezahlbaren Wohnungen durch Immobilienspekulanten protestierten.

Der spontane Charakter der meisten Demos erklärt zugleich deren Zersplitterung und Vielfalt. Darin liegt aber auch eine Schwäche ihrer mobilisierten Kampfkraft. Ihr fehlte die Zentralisierung gegen die von allen bekämpfte Regierungspolitik. Allerdings besser: Genau deswegen wurde die Zersplitterung durch den von der Landesregierung politisch geführten Einsatz der Polizeikräfte noch verstärkt. Die Fahrraddemo der 16.000 z.B. wurde gewaltsam daran gehindert, zur Großkundgebung der 25.000 auf dem Herrmannplatz, im „sozialen Brennpunkt“ Bezirk Neukölln, zu stoßen. Oder auch die gewaltsame Aufspaltung der zentralen „Revolutionären 1. Mai-Demonstration“.

Geld her und mehr Personal für Pflege und Bildung

„Geld her für Pflege, Bildung, Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit!“, so formulierten Veranstalter der Fahrraddemo die Forderung der 16.000 Teilnehmer. Die starke Beteiligung von Pfleger*innen machte diese Forderung nach „mehr Personal für Pflege und Bildung“ zur dominierenden Forderung. Die Villenbesitzer des entsprechenden Stadtviertels konfrontierten sie mit den Rufen nach Enteignung der Eigentümer der großen Wohnungskonzerne.

Streik-Kundgebung gegen Entlassung

Gewerkschafter von ver.di und Frank Wolf, der Landesvorsitzende der Gewerkschaft mit seiner Rede, verstärkten die Kundgebung der streikenden Kollegen gegen die „Kündigung“, genauer den Rauswurf von ersten 75 der 1.700 freien Mitarbeiter des RBB, der öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt Berlin Brandenburgs.

Als freie Mitarbeiter, ohne jeden festen Arbeitsvertrag, arbeiten sie eher im Status von „Scheinselbständigen“, in völlig prekären Verhältnissen und sind jeder Willkür ausgeliefert. Die Mehrheit von ihnen soll jetzt der Sparpolitik der Berliner Landesregierung als Eigentümer zum Opfer fallen. Aber die Kollegen und die gewerkschaftlichen Basis-Kader von ver.di haben noch nicht das letzte Wort gesprochen.

Drei Stunden unbezahlte Mehrarbeit im Osten

Die IG Metall hatte zu einer von der Gewerkschaft organisierten Streikdemonstration aufgerufen. Mit ihrem schon 4. Warnstreik kämpfen die Kollegen von Alstom in Hennigsdorf, am Rande Berlins, gegen die drei Stunden Mehrarbeitszeit in der Metallindustrie im Osten und für die Angleichung an die 35-Stunden-Woche im Westen.

Entgegen der von der Gewerkschaftsführung respektierten strikten Begrenzung der Teilnehmerzahl auf 100 im Namen von Corona kamen 400 Teilnehmer zur Demo und Kundgebung. Aber DGB-Vorstandsmitglied Körzell forderte auf der Kundgebung nur ein „Angleichungsgeld“ und unterdrückte die Forderung „Angleichung der Arbeitszeit“.

„Wir wollen spielen“: Öffnung der Kultur- und Clubszene

Der Demonstrationsaufruf für die „Öffnung und Wiederbelebung der Kultur- und Clubszene“ versammelt auf der Demo und Kundgebung 4.000 Teilnehmer. Vor allem eine Mehrheit der künstlerisch Tätigen hat weder das Recht z.B. auf Kurzarbeitergeld und noch nicht einmal das Recht auf die Armutsleistungen von Hartz IV. Und sie erhalten auch nichts von den Hilfsgeldern des Landes Berlin für die privaten Eigentümer von Kultureinrichtungen und Clubs.

DGB-Führung unterwirft sich der Notverordnungsdisziplinierung und der sozialen Zerstörungspolitik der GroKo

In einer Mehrheit der Fälle verzichtete der DGB im Namen von Corona überhaupt auf Demonstrationen. In zwei Fällen, in Berlin und Potsdam, liefert er ein erbauliches Bild der „Gemeinsamkeit“ mit Regierenden und ihrer Politik und der Einheit mit ihnen gegen „rechts“. Demokratische und soziale Forderungen finden nur in leeren Phrasen Erwähnung.

Mit seiner „Kundgebung“ vor dem Berliner Brandenburger Tor macht er sich mit weniger als den 300 durch die Notverodnungsregeln zugestandenen Funktionärs-Statuen lächerlich. Und mit ihnen die Vertreter der Berliner Landesregierung, den Regierenden Bürgermeister, Michael Müller (SPD) und die Arbeitssenatorin Breitenbach (Die Linke).

Das gleiche Schicksal erleiden die beiden „Kanzlerkandidaten“ für die nächste Regierung: Olaf Scholz (SPD). Finanzminister der GroKo und mit Schröder Geburtshelfer der Agenda-Politik, sowie Annalena Baerbock, nach allen Regeln des Show-Business gehypte Hoffnungsfigur der Grünen, die sich in Sachen Klimaschutz bemüht, den Dialog mit den Energiekonzernen zu pflegen und der Bevölkerung den explodierenden Strompreis schmackhaft zu machen. Nur ca. 100 waren entsprechend den Corona-Regeln bereit, sich auf der Demo, zu der der DGB aufgerufen hatte, einzufinden.

Werner Uhde, 18. Mai 2021

(Fortsetzung zur zentralen „Revolutionären 1. Mai-Demo“ in der nächsten Nummer)

 

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