Lob aus der Industrie erfährt Merkel für ihre an „Finanz-Geschenken“ reiche Kanzlerschaft und ihre „stabilitätspolitischen Erfolge“. Lob auch von der DGB-Führung, deren Vorsitzender Hoffmann der Kanzlerin permanent seine loyale Unterstützung versichert hat.
In den Medien und international wird ihr Krisenmanagement gefeiert. Ihr verdanke Deutschland den Ruf als „Insel der politischen und sozialen Stabilität“ in einer Situation des allgemeinen Chaos und der Verunsicherung.
Die, genauer betrachtet, relative „soziale Stabilität“ beruhte vor allem auf der Einbindung der Organisationen der Arbeiterbewegung, der Führungen der starken deutschen Gewerkschaften, in die Regierungsarbeit der GroKo. Im Rahmen der von ihnen gepflegten „politischen Sozialpartnerschaft“ ließen es die Gewerkschaftsführungen zuletzt zu, dass die GroKo-Maßnahmen der sozialen Zerstörung betrügerisch als Korrekturen an der Agenda-Politik vorgetäuscht wurden.
Vor allem aber soll in dieser Endphase der GroKo Merkel/Scholz die Realität vertuscht werden, dass diese – auch im Bewusstsein der Bevölkerung – eine Phase des politischen Verfalls ist. Politisch konzentriert sich das im Niedergang zuerst der SPD und nun auch der Union, der beiden Hauptstützen der politischen Ordnung der BRD seit 1945.
Im allgemeinen Bewusstsein wächst vor dem Wahltag am 26. September die Sorge darüber, was nach dem Verschwinden von Merkel und der GroKo zu erwarten ist.
Die Verunsicherung gründet schon in der Erfahrung mit der bisherigen Politik, die, den Krisenanforderungen des Kapitalismus entsprechend, der Rettung der Profite und Rendite der Konzerne und Banken unterworfen ist, und die bezahlt werden muss mit einer Kaputtsparpolitik, mit Privatisierung, Deregulierung und Förderung der Tarifflucht.
Die Endphase der GroKo…
Trotz aller Schönrechnerei durch die GroKo sind 3.345.000 Menschen arbeitslos.
Mit 15,9 Prozent, d.h. über 13,2 Millionen Menschen, hat die Armutsquote in Deutschland schon heute einen historischen Höchststand erreicht. Mehr als jedes fünfte Kind, das sind 2,8 Mio. Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, wächst in Armut auf. Und nach Angaben der Bertelsmann Stiftung ist mit einem deutlichen Anstieg der Armutszahlen zu rechnen.
Immer mehr bisher noch tariflich gesicherte und geschützte Arbeitsverhältnisse werden durch Flexibilisierung und Deregulierung prekarisiert. 7,3 Millionen Beschäftigte arbeiteten 2019 in Deutschland in einem atypischen Arbeitsverhältnis, das ist mehr als jeder fünfte Beschäftigte. Bei Beschäftigten mit ausländischer Staatsangehörigkeit ist es etwa jeder Dritte.
Immer weiter öffnet sich die Schere zwischen dem, was zur Garantie der öffentlichen Daseinsvorsorge, der Lebensqualität der Mitglieder der Gesellschaft notwendig gebraucht wird und was dafür die „leeren öffentlichen Kassen“ noch hergeben. Der kommunale Investitionsstau liegt bei rund 149 Milliarden Euro (DGB). Der Investitionsbedarf bei den Krankenhäusern liegt bei 6,5Mrd. Euro jährlich und bei fast 48 Mrd. Euro bei den Schulen…
Diese aufgehäufte Sprengladung ist die schlimmste Erlast der Merkel/Scholz-GroKo in diesem Land.
… eine Niedergangsphase
Inzwischen aber hat die wirkliche Demontage der Industrie, die Schrumpfung des Industrieexports und der Stahlproduktion begonnen, wird in der Großindustrie stillgelegt, verlagert und entlassen. Für die GroKo ist das der Grund für die erneuten milliardenschweren Flutungen zur Rettung der „Wettbewerbsfähigkeit“ der deutschen Wirtschaft.
Um die dafür aufgehäuften 470-Mrd. Schulden zu bremsen, erleben wir eine Explosion der Preise von Strom, Benzin, Mieten…Die Schulden abzuwälzen verlangt ein brutales Spardiktat, die weitere Liquidierung der noch erhaltenen, seit 1945 erkämpften, sozialstaatlichen Errungenschaften: den Kahlschlag gegen die sozialen Sicherungssysteme, vor allem der Rente (die Parteien der „Noch“-GroKo, unterstützt von Grünen und FDP, sind sich einig, dass die gesetzlich geschützte solidarische Rente weitgehend der privaten, kapitalbasierten Altersvorsorge zu weichen hat); die Absenkung des Lohn- und Lebensniveaus für die ArbeitnehmerInnen und ihre Familien; die völlige Zersetzung des Flächentarifvertrages; die weitere Arbeitsplatzvernichtung; die endlose Ausweitung des Niedriglohnsektors und prekärer unwürdiger Arbeitsverhältnisse. Das ist die Aufgabe der neuen Regierung nach der Wahl Ende September.
Die drei Kanzlerkandidaten sind sich dieser existierenden und drohenden katastrophalen Realität bewusst, müssen sie aber im Wahlkampf verdrängen. Sie übertreffen sich darin, mit betrügerischen und schönfärberischen Versprechungen aller Art sowie nichts aussagenden Leerformeln das „böse Erwachen“, dass der gesellschaftlichen Mehrheit nach der Wahl droht, zu verschleiern.
Doch: Alle drei Kanzlerkandidaten sind seit Jahren voll verantwortlich für diese beispiellose Politik der sozialen und demokratischen Zerstörung.
Olaf Scholz (SPD) präsentiert sich als legitimer Fortsetzer der Merkel-Politik. Das ist jedoch doppeldeutig.
Einerseits bedient er damit zwar die verbreitete Illusion, für die Kontinuität der – schon längst brüchig gewordenen – relativen politischen und sozialen Stabilität zu sorgen. Viele klammern sich an diese Illusion, um die tiefe Sorge über die zu erwartende politische Destabilisierung nach den Wahlen zu verdrängen. Das erklärt den rasanten Stimmenzuwachs für Scholz vor allem von CDU-Wähler*innen in den letzten Umfragen.
Andererseits ist er tatsächlich wie kein anderer legitimiert, die Fortsetzung jener Agenda-Politik anzutreten, mit der er zusammen mit Schröder 2003 den Großangriff auf die historischen Errungenschaften des Sozialstaates eröffnet hat. Deren Kontinuität hat Merkel für ihre GroKo-Jahre mit der SPD mit den Worten garantiert: „Ich möchte Kanzler Schröder ganz persönlich danken, dass er mit der ‘Agenda 2010′ mutig und entschlossen eine Tür aufgestoßen hat, unsere Sozialsysteme an die neue Zeit anzupassen.“ (2005, nach ihrer Wahl zur Kanzlerin). Den Gipfel des Zynismus beschreitet Scholz mit den Worten, er sei ein Garant und Verfechter des „guten Sozialstaats“.
Armin Laschet (CDU) begnügt sich mit der wohl kaum aufregenden Leier vom „Weiter so“, nur statt mit Merkel nun mit ihm.
Annalena Baerbock bemüht sich, die hohen Kosten und Preise, die sie für den „Klimaschutz“ im Bündnis mit der Industrie der arbeitenden Bevölkerung aufbürden will, unter beschönigenden Floskeln zu kaschieren. Gleichzeitig verschweigt sie, dass die Grünen – vor allem in den Landesregierungen, in denen sie vertreten sind – die Politik des Sozialabbaus, der Zersetzung der Flächentarifverträge und der Privatisierung eilfertig umgesetzt haben.
Diese Endphase der GroKo ist nicht nur auf politischer Ebene zu einer Niedergangsphase geworden. Sie wird zugleich von einem beispiellosen Aufschwung des sozialen Widerstands erschüttert. Das bezeugen die Häufungen von Demonstrationen im ganzen Land, die Streiks und harten Tarifkämpfe, aber auch die Bewegungen gegen Mietwucher und für die Enteignung der großen Wohnungsbaukonzerne, sowie die Klimaschutz-Protestbewegung vor allem von Fridays for Future, die sich gegen die Autoindustrie und die Energiekonzerne richtet.
Und doch ist dieser soziale Widerstand vor den Bundestagswahlen nur eine Vorspiel für den Aufschwung der Klassenkämpfe nach der Wahl gegen die zu erwartende Verschärfung der Zerstörungspolitik durch die politisch Herrschenden. Werden diese Kämpfe ihre politische Zentralisierung erreichen dafür, dass jetzt Schluss gemacht wird mit dieser Politik der sozialen und politischen Zerstörung?
Sich auf diese Situation vorzubereiten, das steht im Mittelpunkt der Politischen Arbeitskreise, die die Verteidigung und Wiederherstellung der sozialstaatlichen Errungenschaften als politische Leitlinie verstehen.
Carla Boulboullé
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