Die Agenda 2.0 – Das Programm der neuen Regierung Scholz

Bei der Einbringung des Gesetzesentwurfs der Ampel „zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG)“ präsentierte Scholz einen „massiven Katalog“ von Maßnahmen, „der jetzt umgesetzt wird“. Dazu gehört u.a. 3G (Zutritt für Geimpfte, Genesene und Getestete) am Arbeitsplatz und im öffentlichen Verkehr. Manche Maßnahmen gingen weiter als all das, was im vergangenen Jahr zu diesem Zeitpunkt gegolten habe, so Scholz. Für die konkrete Umsetzung auch weiterer freiheitseinschränkender Maßnahmen (wie z.B. Kontaktbeschränkungen) sind die Bundesländer verantwortlich. Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marco Buschmann, erklärte dazu, die „Ampel“ lege „robuste Maßnahmen für die Bekämpfung von Corona vor“.

Die noch amtierende Kanzlerin Merkel beschwört wieder einmal die Gemeinsamkeit von Volk und Regierung: „Wir brauchen eine nationale Kraftanstrengung“. Sie weiß sich im Einklang mit ihrem Noch-Finanzminister Scholz: Es sei wichtig, „dass wir alle zusammenhalten und eine gemeinsame Anstrengung unternehmen“.

Angeklagt und schuldig gesprochen werden die Ungeimpften, denn unter ihrer „Tyrannei“ leide die Gesellschaft. Sie seien es, die die Krankenhäuser an ihre Belastungsgrenze bringen. Ein über alle Medien gestreutes Täuschungsmanöver, das ablenken soll von den aus allen Krankenhäusern zu hörenden Hilferufen: „Der Pflegemangel bestimmt den Engpass auf den Intensivstationen…“.

Mit ihren heuchlerischen Appellen an die gemeinsame Verantwortung aller wollen Merkel/Scholz verschleiern, dass sie es waren, die mit der kriminellen Agenda-Politik der GroKo das Gesundheitssystem, eine wertvolle Errungenschaft des Sozialstaates, schon vor der Pandemie kaputtgespart und damit die Ausbreitung des Virus gefördert haben; dass die fortgesetzte Schließung von Krankenhäusern und Betten, sowie der Personalabbau für die Überlastung der Gesundheitsversorgung wesentlich verantwortlich sind.

Trotz aller Warnungen, dass das Gesundheitssystem vor dem Kollaps steht, wird das Kliniksterben von Bundes- wie Länderregierungen weiter betrieben. Im Jahr eins des Corona-Zeitalters wurden 21 Kliniken deutschlandweit vom Netz genommen, von 30 weiteren ist bekannt, dass ihnen die Schließung droht.

Während Olaf Scholz im Wahlkampf und bis heute kein Wort dazu verliert, ob er die Finanzierung zur Wiederherstellung des kaputtgesparten Gesundheitssystem garantieren will, verstiegen sich seine Ampel-Partner unwidersprochen zu Aussagen wie des FDP Fraktionsgeschäftsführers Marco Buschmann am 27.10.: Es drohe „keine systemische Überlastung des öffentlich Gesundheitssystems mehr“ (SZ 17.11.). Oder des FDP Generalsekretärs Volker Wissing, der noch am 8.11 2021 twittert: „Unser Gesundheitssystem ist stabil, die Gesundheitsversorgung der Bürger gesichert, die ‚epidemische Notlage von nationaler Tragweite’ kann aufgehoben werden“.

Lothar Wieler, Chef des RKI, hatte schon im Juli gemahnt, dass die 4. Corona-Welle begonnen habe. Doch wurde von der GroKo am 10.10. 2021 das Ende der pandemischen Lage angekündigt. Und – weil zu teuer – wurden die Impfzentren runtergefahren und die kostenlosen Bürgertests abgeschafft. Die Maskenpflicht an den Schulen wurde aufgehoben. Die Mahnungen des RKI-Präsidenten („Wir befinden uns in einer Notlage“) werden von der GroKo Merkel/Scholz wie von der neuen Ampel-Koalition unter Scholz vorsätzlich überhört.

Gegen alle Alarmrufe chaotisiert und torpediert Noch-Gesundheitsminister Spahn die Impfkampagne, das geplante Hochfahren der Booster-Impfungen. Erneut fehlen Impfstoffe, die niedergelassenen Ärzte sind mit Millionen Impfungen überlastet. Unverantwortlich ist die minimale Impfquote von Jugendlichen und Schulkindern, sowie für die gesamte Bevölkerung und deren Anstieg im Schneckentempo.

Das ist das Ergebnis einer bewussten Regierungspolitik, der Verweigerung der notwendigen Finanzmittel für den wirklichen Kampf gegen das Virus.

Am 17. November warnt RKI-Chef Wieler: „Die Zahl der schwerkranken Covid-Patienten steige, für Menschen mit Schlaganfall und andere Schwerkranke müsse mancherorts bis zu zwei Stunden nach einem freien Intensivbett gesucht werden.“

Welche dramatischen Folgen der Pflegenotstand hat, zeigt sich auch in folgenden Zahlen, die die „BZ“ am 18.11. veröffentlicht hat: „Die Gesamtzahl der erwachsenen Corona-Patienten auf Intensivstation ist mit rund 3400 derzeit noch deutlich niedriger als auf dem Höhepunkt der zweiten (rund 5700) und dritten (rund 5100) Welle. Allerdings gibt es laut Intensivmedizinern wegen Personalmangels weniger betreibbare Betten als vor einem Jahr.“ (am 19.11. waren es 3.509 COVID-19-Patientinnen, statista)

Ihre Anti-Corona-Medizin: Freiheitseinschränkungen für die Gesellschaft

Nach der GroKo-Regierung verkündet Scholz für die Ampel-Regierung weitgehende freiheitseinschränkende Maßnahmen für „die angemessene und entschlossene Bekämpfung von Corona“.

Ohne ein Wort darüber zu verlieren, dass sofort die Politik der Klinik- und Bettenschließungen gestoppt wird und dass über eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Löhne eine erfolgreiche Einstellungsoffensive für mehr Personal in den Krankenhäusern und Rettungsstellen gestartet wird.

Sie versprechen eine Verstärkung der Tarifbindung, während ihre Politik seit Jahren die Zersetzung der Flächentarifverträge fördert.

Ohne ein Wort darüber zu verlieren, dass eine ausreichende Finanzierung sichergestellt wird für die Einstellung von mehr Lehrer*innen und Erzieher*innen, für die Schaffung von kleinen Klassen und Gruppen, sowie für die Ausstattung mit notwendigen Schutzmitteln, um die Schulen und Kitas offen halten zu können, ohne die Gesundheit der Kinder zu gefährden.

Scholz verfolgt konsequent die Politik der Agenda 2.0, eine Verschlimmerung der Agenda 2010.

Mit keinem Wort werden dagegen von den Ampel-Koalitionären die vielen 100e Milliarden-Euro-Projekte in Frage gestellt, die das Kapital für den „grünen Umbau“ fordert – bei gleichzeitigem massiven Arbeitsplatzabbau, z.B. beim Kohleausstieg und in der Autoindustrie. Die sozialen Kosten der Energiewende zahlt die gesellschaftliche Mehrheit mit einer Preisexplosion, die große Teile der Verarmung ausliefern wird. (In vorherigen Nummern der „Sozialen Politik & Demokratie“ wurde darüber berichtet). So sind in der gesamten Zeit der Pandemie unter dem GroKo Finanzminister Scholz Abermilliarden zur Rettung der Profite und Rendite der Banken und Konzerne geflossen. Die Konzernherren lassen sich die industrielle Demontage im Namen der Transformation und Digitalisierung vergolden. Die von jeder Realwirtschaft losgelöste Spekulation weitet sich grenzenlos aus. Die Aktienkurse an der Börse boomen trotz der weltweiten Schrumpfung von Produktion und Handel.

„Sozialpartnerschaft 4.0!“ (Scholz) – für die Durchsetzung der Agenda 2.0

Für die Durchsetzung seiner Agenda 2.0 sucht Scholz eine noch engere Einbindung der Gewerkschaftsführungen über die Stärkung der Sozialpartnerschaft und twittert ganz unverhohlen: „Wir brauchen eine Sozialpartnerschaft 4.0!“ Die Sozialpartnerschaft stützt sich darauf, dass sich die Gewerkschaftsführungen im Rahmen des „Historischen Kompromisses zwischen Kapital und Arbeit“ von 1952 dem Streikverbot unterwerfen: für strategische Unternehmensentscheidungen wie Entlassungen, Privatisierungen, Verlagerungen, Tarifflucht, sowie für „nichttariffähige Forderungen“ wie „mehr Personal“, „TVöD für Alle“ und Ausgliederungen…

Obwohl die ver.di Führung es bisher abgelehnt hat, die Forderung nach „mehr Personal“ im Tarifkampf Öffentlicher Dienst der Länder aufzunehmen, mit dem Hinweis, dass das keine „tariffähige“ Forderung sei, gehen die Beschäftigten der Krankenhäuser für diese Forderungen in den Streik. Das betrifft auch die Forderung nach mehr Personal und kleinen Klassen, die von streikenden Lehrern*innen im Konflikt mit der GEW-Führung aufgenommen wird.

Auf der Arbeitnehmerkonferenz, zu der der Berliner Politische Arbeitskreis am 20. November eingeladen hatte, haben Kolleg*innen aus den Krankenhäusern, Schulen und aller Art prekärer Beschäftigung, sowie von unabhängigen Initiativen wie gegen den Mietwucher … darüber diskutiert: „Wie können wir die Hindernisse, mit denen wir im gewerkschaftlichen Kampf konfrontiert sind, überwinden? Wie können wir als eine politisch organisierte Kraft für die Verteidigung und Wiederherstellung der sozialstaatlichen Errungenschaften handeln?“

Delegierte aus sechs weiteren Bundesländern haben an der Konferenz teilgenommen. (.s. auch Seite 13ff)

Zur Weiterführung dieser Diskussion besonders über ihre Kampferfahrungen sind alle politisch und gewerkschaftlich engagierten Kolleg*innen zu den Treffen der Politischen Arbeitskreise eingeladen, sowie zum freien Meinungsaustausch in der „Sozialen Politik & Demokratie“. Schickt Eure Beiträge an die Redaktionsadresse.

Carla Boulboullé, den 24.11.2021

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