Scholz-Regierung: Beginn einer neuen Ära der BRD

Mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) „beginnt eine neue Ära der Bundespolitik“, titelt das Handelsblatt vom 8.12.21. Und das Blatt des deutschen Kapitals überlässt es Ex-Kanzler Gerhard Schröder  (ebenfalls SPD) das zu konkretisieren. Er charakterisiert die Ampel-Regierung als „neue Reformkoalition, anknüpfend an die (…)  rot-grüne Koalition meiner Kanzlerschaft.“

In ihren vorhergehenden Nummern (458 – 460) hat die „Soziale Politik & Demokratie“ über die erste Agenda Schröders und seines Generalsekretärs Scholz berichtet und über die verschärfte Agenda 2.0, die der damalige Noch-Kanzlerkandidat Scholz als sein Programm für die neue Regierung präsentierte.

Die erste Agenda brachte zum einen die Entfesselung der Spekulation durch die Flucht des Kapitals aus der Produktion und die Privatisierungen des öffentlichen Dienstes; zum anderen den ersten Angriff auf die historische Errungenschaft des Flächentarifvertragssystems und mit Hilfe der späteren Schuldenbremse die Kaputtsparpolitik gegen die Institutionen des öffentlichen Dienstes und die Deregulierung der Arbeitsverhältnisse.

„Anknüpfend“ an diese jahrelange soziale Zerstörungspolitik eröffnen Kanzler Scholz und seine Koalitionsregierung eine neue Ära der Zerstörung der historischen Errungenschaften des Sozialstaates.

Anknüpfend: Das Scholz-Programm sieht eine weitere 100e Milliarden-Subventionierung vor für die Förderung von Profit und Rendite – besonders der Energie-, Stahl- und Autokonzerne – , während  die dringlich geforderten Milliarden für Krankenhäuser, Bildung und Kommunen weiterhin verweigert werden.

Aber es beginnt auch eine Verschärfung dieser Politik. Beschleunigt werden  Krankenhäuser geschlossen, zentralisiert und privatisiert, und wird das Personal durch ihnen aufgezwungene unerträgliche Arbeitsbedingungen verjagt – trotz Corona.

Mit der Digitalisierung und dem Eintritt des Spekulationskapitals in den Schulbau und die Unterrichtsgestaltung sollen die Forderungen nach mehr Lehrern, kleineren Klassen und Präsenzunterricht als überflüssig hingestellt werden.

Im Vergleich zur Zeit der ersten Agenda hat Scholz es inzwischen gelernt, die hässliche Realität seiner Politik hinter betrügerischen und euphorischen Phrasen zu verstecken. „Mehr Fortschritt wagen“ titelt er den Koalitionsvertrag der neuen Regierung. Das klingt aus dem Munde dessen, der – wie in den oben genannten Nummern der „Sozialen Politik & Demokratie“ ausführlich dargelegt wird – in Wirklichkeit mehr Zerstörung wagen will, wie reiner Zynismus.

Unter den Etiketten von Modernisierung der Wirtschaft (die Schröder in dem o.g. Handelsblatt-Artikel als „notwendigen Modernisierungsschub“ fordert), von Digitalisierung und Transformation beginnt erstmalig in der Geschichte der BRD eine Schrumpfung des nationalen industriellen Sockels, eine Entindustrialisierung, die sich in massiver Vernichtung von industriellen Arbeitsplätzen niederschlägt, in dem Einbruch bei produktiven Investitionen (Maschinenbau minus 22,6%, Metallerzeugnissen minus 22.0 % und Autoindustrie minus 18,5% im Jahr 2020), der Zersplitterung von Industriekonzernen sowie in Verlagerungen und Schließungen von Betrieben. Um das voranzutreiben, erhält Scholz die volle Unterstützung vor allem des Finanzkapitals und des Arbeitgeberpräsidenten Dulger – übrigens im gleichen o.g. Artikel des Handelsblattes.

Die neue Zeit ist die der härteren Tarifkämpfe und des Angriffs auf das Streikrecht und die Gewerkschaftsrechte …

Die Tarifrunde ÖD der Länder, die im Oktober begann, war von äußerst „harten Konflikten“ geprägt.

Die 1,1 Millionen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes der Länder forderten – einschließlich für die über 2,2 Millionen, auf die das Ergebnis generell übertragen wird – 5 Prozent mehr Gehalt, mindestens aber 150 Euro, für die Beschäftigten im Gesundheitswesen mindestens 300 Euro. Sie wollten ihren Reallohn verteidigen, ihre Kaufkraft, ihren Lebensstandard gegen die gefräßige Inflation und die Kaputtsparpolitik von Bund und Ländern. Gestützt auf diesen Kampf wollten sie dann mit den Kolleg*innen des gesamten öffentlichen Dienstes in Bund, Ländern und Kommunen in die Mobilisierung einsteigen für einen nationalen Tarifkampf mit ihrer Gewerkschaft ver.di für mehr Personal. Das musste mit allen Mitteln verhindert werden.

Der Tarifkampf der Beschäftigten des ÖD der Länder wurde zur Nagelprobe für den Kanzlerkandidaten Scholz und sein politisches Hauptziel: die Senkung der Kosten der Arbeit für eine neue Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft auf dem von Krisen erschütterten Weltmarkt.

Die öffentlichen Arbeitgeber – bei denen Scholz seine Rolle spielte – lehnten schlichtweg die Forderungen der Beschäftigten ab und weigerten sich über eine längere Zeit, überhaupt ein Angebot vorzulegen.

Sie zeigten sich vielmehr entschlossen, die Streiks der Beschäftigten zu zerschlagen: mit allen Mitteln der Repression und von gewerkschaftsfeindlichen Angriffen bis hin zur Unterdrückung gewerkschaftlicher Organisierung, Streikverboten, Sanktionen und selbst Entlassungen gewerkschaftlich aktiver Kolleg*innen.

Mit großer Entschlossenheit haben die Kolleg*innen mit ver.di den Kampf gegen Sanktionen und Kündigungen, für die Verteidigung des Streikrechts geführt – an ihrer Spitze in Berlin die Kolleg*innen der Charité, eine der größten Universitätskliniken Europas und von Vivantes, dem größten kommunalen Klinikkonzern Deutschlands. (s. auch Artikel Seite 14)

Gegen die hohe Streikbereitschaft der Beschäftigten haben die öffentlichen Arbeitgeber in Übereinkunft mit den Führungen der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes ein Tarifergebnis durchgesetzt, dass nicht einmal annähernd einen Ausgleich für die explosiven Preissteigerungen bei Lebensmitteln, Energie und den Mieten gebracht hat, dass tatsächlich von einer Inflationsrate von über 5% geschluckt wird.

Der Tarifvertrag gilt rückwirkend ab 1.10. 2021 für 2 Jahre (bis 30.9.2023). Nach 14 Null-Monaten gibt es erst ab 1.12. 22 eine Tariferhöhung von 2,8%. Die zugestandene Prämie von 1300 Euro erweist sich als ein „Almosen-Bonus“, der weder die Nullrunde kompensiert, noch einen Ausgleich für die gekürzten Jahressonderzahlungen der letzten 33 Monate bringt. (s. auch Artikel auf S.4)

Kolleg*innen aus Berlin begründen ihre Ablehnung des Verhandlungsergebnisses damit, dass seine „Annahme bei der derzeitigen Inflation von 5,2%… einen nicht hinnehmbaren Reallohnverlust bedeuten würde.“ Über die Einführung der Bonus-Almosen wird das gesamte Tarifvertragssystem zunehmend ausgehöhlt. Kolleg*innen der GEW aus Köln schreiben in einer Resolution, in der sie die Ablehnung der Unterzeichnung des Tarifabschlusses durch ihre Gewerkschaft fordern: „Noch nie wurde ein Tarifvertrag von der GEW abgeschlossen, der eine Laufzeit mit einer Nullrunde beginnt. (…) Die Arbeitgeber wollen über Prämien das Tarifsystem zerschießen und damit die Gewerkschaften überflüssig machen.“

Dieses Reallohn und Tariflohn Verlust-Ergebnis und die Umstände seines Entstehens sind beispiellos in der Geschichte der BRD.

Die Unternehmer wie die öffentlichen Arbeitgeber wollen mit diesen Einbrüchen in den Reallohn und der Unterlaufung der Tariflöhne auch für die kommenden Tarifrunden 2022 für die knapp 10 Millionen Beschäftigten von DGB-Gewerkschaften ein Zeichen setzen.

Eine Inflationsrate von über 5% bedeutet für die gesamte arbeitende Bevölkerung einen drastischen Einbruch in ihre Lebensqualität. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass schon im zweiten und dritten Quartal 2021 die Tarifbeschäftigten real nicht geringe Lohneinbußen hinnehmen mussten. (Statistisches Bundesamt). Die Mittelschicht, die gerade die Industriearbeiterschaft umfasst, schrumpft. Jeder fünfte Vollzeitbeschäftigte aus der Mittelschicht arbeitet zum Niedriglohn. (Studie der OECD und der Bertelsmann-Stiftung). Ihnen drohen tiefe Einschnitte, bis dahin, dass sie ihre Wohnungen oder ihr Haus als unbezahlbar aufgeben müssen.

Die Gewerkschaftsführungen des DGB beweisen sich als stärkste Lobby  für „ihren“ SPD-Kandidaten Scholz und für die nun von „ihrem“ SPD-Kanzler geführte Regierung. Zahnlose kritische Anmerkungen zu Detailfragen gehen unter in den Lobeshymnen für die neue Koalitionsregierung, die sie – das sei nochmals betont – als „ihre“ ansehen.

Dabei sprechen sie als offizielle Vertreter der gesamten Arbeiterschaft und ihrer Organisationen. Womit sie verschleiern wollen, dass es die traditionelle „Arbeiterpartei SPD“ nicht mehr gibt, dass sich diese mit ihrer arbeiterfeindlichen Politik selbst zerstört hat. Wobei Olaf Scholz eine entscheidende Rolle gespielt hat und jetzt noch enorm verstärkt spielt.

… und sie ist auch die der härtesten Widerstandskämpfe

Mit ihrer Politik der Massenverarmung durch Reallohnverlust und Preisexplosionen provozieren sie heftige Widerstandskämpfe (s. auch die letzten Ausgaben der „Sozialen Politik& Demokratie“).

Wie oben schon genannt, mobilisieren sich die Kolleg*innen für die Forderungen nach Reallohnerhöhung, wie auch nach mehr Personal und TVöD für alle – an ihrer Spitze die Kolleg*innen von Vivantes und Charité. Gegen alle Repressalien von Seiten der öffentlichen Arbeitgeber und der Geschäftsführungen schlugen sie den Versuch zurück, diese „nichttariffähigen Forderungen“ einem Streikverbot zu unterwerfen. Und gegen den allgemeinen Druck zur Senkung der Lohn- und Arbeitskosten erkämpften sie Tarifverträge für mehr Personal und bei Vivantes einen Tarifvertrag für die Töchter in Annäherung an den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD), der eine deutliche Gehaltsverbesserung beinhaltet. Was natürlich nicht heißt, dass jetzt nicht noch hart für die Umsetzung der Tarifergebnisse gekämpft werden muss.

Kolleg*innen aus NRW berichten, dass in diesem Tarifkampf die Mobilisierung „weit über das hinausging, was bisher die TV-L Tarifkämpfe gekennzeichnet hat“.

Der wochenlange und erfolgreiche Streik der Beschäftigten von Charité und Vivantes ist für die Kolleg*innen bundesweit eine Ermutigung für den 2022 bevorstehenden Tarifkampf für mehr Personal. Es wurde berichtet, dass besonders Kolleg*innen der verschiedenen Stationen der Uniklinik Frankfurt im Rahmen der Tarifrunde TV-L die Forderung nach mehr Personal ins Zentrum ihres Streiks gestellt haben. Diese Forderungen haben ihr Echo auch bei Kolleg*innen anderer Krankenhäuser gefunden: so bereiten jetzt die beiden Unikliniken in Hessen, ebenso wie die sechs Uni-Kliniken in NRW, ihren Kampf für einen Tarifvertrag für Mehr Personal vor.

Kolleg*innen aus mehreren Bundesländern haben erklärt, dass sie sich für eine sofortige Diskussion in ver.di über die konkrete Vorbereitungsmobilisierung für einen solchen bundesweiten Tarifkampf für „mehr Personal“ einsetzen.

Auch die Mitglieder in anderen Gewerkschaften konzentrieren ihre Tarifkämpfe auf die Verteidigung der Reallöhne und ihrer Kaufkraft. Die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) fordert für die 2022 anstehenden und  zum Teil regional geführten Tarifrunden 6,5% mehr Lohn.

Für die nächste Tarifrunde in der Metallindustrie im Herbst 2022 fordern die Metallkolleg*innen eine ordentliche Lohnerhöhung zur Verteidigung ihrer Reallöhne, während Gesamtmetallchef Stefan Wolf mit der Ankündigung einer Nullrunde provoziert.

Die Einigung in der jüngsten Tarifrunde im Bauhauptgewerbe (Oktober 2021) sieht für die Bauarbeiter*innen im Westen (allerdings bei einer Laufzeit bis 31. März 2024) insgesamt 6,2 Prozent mehr Lohn und Gehalt vor, sowie Einmalzahlungen in Summe von 1350 Euro. Im Osten beträgt die Anhebung der Einkommen 8,5 Prozent und eine Einmalzahlung beträgt 220 Euro. „Damit ist es uns gelungen, die Tarife über der prognostizierten Inflation zu halten“, erklärte der Bundesvorsitzende der IG BAU, Robert Feiger.

Was sich hier ankündigt ist: Die kommenden Tarifkämpfe und Streikbewegungen werden zunehmend geprägt von dem Griff der Beschäftigten nach ihren Gewerkschaften im Kampf gegen die Reallohnsenkung und Kaufkraftverlust, gegen Entlassungen und für mehr Personal, sowie für die Verteidigung ihrer Tarifverträge.

Und sie verbinden sich mit der bevorstehenden neuen Etappe der Widerstandskämpfe gegen den Absturz immer größerer Schichten in ungeschützte prekäre Niedriglohnjobs, gegen Mietwucher und Wohnungsnot (gestützt auf die Forderung der über 1 Million Berliner nach Enteignung der großen Wohnungskonzerne), gegen das Kaputtsparen des Bildungswesens, der Schulen und Unis…

In all diesen Kämpfen für ihre Forderungen werden die Arbeiterschaft und Jugend zusammenprallen mit der durch die Scholz-Regierung schlimmer fortgesetzte Zerstörungspolitik im Interesse des Kapitals, der ausweglosen Krise des kapitalistischen Systems.

Wie wir zuletzt in der Einladung zur Berliner Arbeitnehmerkonferenz betont haben, laden wir alle gewerkschaftlich und politisch Engagierte der Arbeiterbewegung ein, sich zu sammeln, um den Arbeitern und Jugendlichen zu helfen, ihre Kämpfe gegen diese Politik zusammenzuführen und unter der Perspektive zu zentralisieren:

Es muss Schluss gemacht werden mit der Regierung der fortgesetzten kapitalistischen Zerstörungspolitik,

Wir brauchen eine Regierung zur Erfüllung der Lebensinteressen des arbeitenden Volkes.

Carla Boulboullé, Werner Uhde

 

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