Neue Ära – neue Regierung – Agenda 2.0

„Ihre Corona Politik gefährdet Leben“, diese These stand im Zentrum des Beitrags zur Diskussion in der letzten Ausgabe der „Sozialen Politik & Demokratie“. Die Leben gefährdende Sparpolitik der Regierung Scholz für den Kampf gegen die Pandemie: fehlende Testkapazitäten und Schutzmittel, Schließung von Krankenhäusern und Betten, überlastete Notaufnahmen, aber vor allem die anhaltende dramatische Personalnot und Verweigerung der Finanzierung von mehr Personal.

Nur ein Beispiel: „Und wenn das Kind aufhört zu atmen?“, das wegen fehlenden Personals nicht behandelt werden konnte, „was soll ich dann tun“, fragt eine Ärztin, die mit weiteren Ärzten aus acht Berliner Kinderkliniken auf den katastrophalen Personalmangel hinweist, der jeden Tag die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen gefährdet.(zit. nach Tagesspiegel vom 27.1.22. s. auch „Brandbrief“, S. 8).

Der folgende Beitrag ist einem weiteren Kapitel der Kaputtsparpolitik der neuen Regierung gewidmet.

Im Namen von Klimaschutz und Digitalisierung: Milliarden für die Profite und weiteres Verarmungsprogramm für die Bevölkerung

Dafür stehen vor allem zwei Namen in der Regierung Scholz: Wirtschaftsminister Habeck, der sich selbst als „Minister für Transformation“ etikettiert, und Finanzminister Lindner mit seinem „Ermöglichungsministerium“.

Habeck verspricht den Energiekonzernen Milliarden-Investitionen aus dem Staatshaushalt für die „Transformation“, wobei sich Preiserhöhungen bei allen Energieformen, besonders bei Strom, Benzin und Heizkosten für die Bevölkerung nicht vermeiden ließen.

Lindner verspricht die Subvention von Milliarden-Investitionen, sowie Steuersenkungen für Unternehmer, während er daran festhält, die Schuldenbremse wieder in Kraft zu setzen, was die arbeitende Bevölkerung mit tiefen Einschnitte in die Sozialausgaben und bei der öffentlichen Daseinsvorsorge bezahlen soll.

Beide folgen dem Grundgesetz der AGENDA-Politik, die „Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft.“ Und beide stehen für die neue Ära ein, die Ära der AGENDA 2.0, mit ihrer Offensive auf alle sozialstaatlichen Errungenschaften.

Die Energiewende – Umwälzung aller sozialen Verhältnisse

Auf einer Pressekonferenz stellte Habeck sein Sofortprogramm vor. Bis 2030 soll der Anteil der erneuerbaren Energien an der deutschen Stromerzeugung auf 80% wachsen. Das werde die Republik verändern, so Habeck. „Man muss sich keine Illusionen machen“. Es ist ein Programm, das „tief in die gesellschaftliche Wirklichkeit eingreift“.

„Greenflation“ – eine Teuerungswelle durch die Energiewende.( Handelsblatt, 18.1.2022). Habeck will die Wende über die Preise steuern. Die Preissteigerungen im Energiesektor sind atemberaubend: seit 2016 stieg der Strompreis um 1392 %; der Gaspreis um 520 % und der Ölpreis um 147%. (Handelsblatt 18.1.2022).

Das ist politisch gewollt und Folge der liberalisierten Energiemärkte. Mit der von dem Agenda 2010-Kanzler Schrö-der und seinem Generalsekretär Scholz geförderten Einrichtung der Strombörse in Leipzig wurde der Strommarkt für Spekulation weit geöffnet. Hier zählen allein die Profite, die durch die enormen Preissteigerungen schon seit vielen Jahren erzielt werden – jetzt aber mit der aktuellen Energiewende neue Rekorde erreichen.

Davon sind allerdings nicht nur die Bürger*innen sondern auch die Konzerne betroffen. So war auf Seiten der Industrie der Ruf nach „wettbewerbs-fähigen Strompreisen“ sofort zu hören: „Mit der Klimapolitik darf Robert Habeck den Standort Deutschland nicht gefährden.“ (Handelsblatt 18.1.2022). Und ihr Ruf wurde gehört: Habeck will mit den Vertretern der Stahl und Chemieindustrie Verträge schließen, in denen sich die Regierung verpflichtet, einen Teil der Mehrkosten für die Energiepreise und die Umstellung auf Wasserstoff zu finanzieren. Durch die Abschaffung der EEG- Umlage und den Verzicht auf kurzfristige Preiserhöhungen im CO2 Handel sollen energieintensive Unternehmen entlastet werden.

Der bayrische Ministerpräsident  Söder schlägt einen festen Industriestrompreis vor, auf der so von Olaf Scholz im letzten Sommer vorgeschlagenen Höhe. „Vier Cent je Kilowattstunde waren für die meisten Industrieunternehmen ein Befreiungsschlag. Derzeit zahlen die meisten ein Vielfaches“ (Handelsblatt 18.1.2022). „Die Differenz zu den tatsächlichen Kosten übernimmt der Staat,“ so der Vorschlag des Handelsblattes – im Interesse der neuen Wettbewerbsfähigkeit.

Und das Volk? Ein Normalhaushalt muss pro Jahr durchschnittlich 649 Euro mehr ausgeben. „Gaspreise und Strompreise bedrohen Existenzen“, titeln mehrere Zeitungen. Ein Beispiel für kaum noch zu überbietenden Zynismus liefert der SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. Ihm zufolge plant die Bundesregierung rasche Hilfe für Haushalte, die unter hohen Energiekosten leiden. Umfang und Zeitpunkt aber ließ er offen – und spielte den Ball an den Ampelpartner FDP weiter. Man erwarte von Bundesfinanzminister Christian Lindner sozial gerechte Steuerentlastungen (!), … die natürlich von Lindner abgewiesen und so niemals kommen werden.

Dem Willen der gegen die drastisch steigenden Strom- und Mietpreise demonstrierenden Massen würden Maßnahmen entsprechen wie: Rücknahme der diversen Privatisierungen auf dem Strommarkt, Aussetzung der Strompreiserhöhung, ein Strompreis-Moratorium, Rückkehr zur staatlichen Preiskontrolle für den Strommarkt.

„Es wird also auch Enttäuschung und vielleicht Zorn geben“ (Habeck)

Die Ampel-Koalitionäre verbinden die Lieferung Hunderter Milliarden Euro an das Kapital für den „grünen Umbau“ mit einem betrügerischen Versprechen an die Arbeiterschaft: „Es werden neue Arbeitsplätze entstehen, uns geht die Arbeit nicht aus, ganz im Gegenteil.“ (Habeck). Doch so ganz verschweigen kann er die Realität nicht: „Aber damit geht einher, dass alte Arbeitsplätze etwa im Kohlebergbau wegfallen oder sich verändern, und das kann individuell oder auch für Regionen eine bittere Nachricht werden.“. Insgesamt sollen durch den Kohleausstieg im Mitteldeutschen und im Lausitzer Revier 40.000 Jobs verloren gehen. Im Rheinland hängen noch etwa 9000 Arbeitsplätze direkt an der Braunkohle, hinzu kommen einige Tausend Beschäftigte bei Dienstleistern und Zulieferern. Die in Aussicht gestellten „Ersatz“arbeits-plätze betragen nur einen Bruchteil davon und sie werden prekarisiert und entrechtet sein. Es sind die Demonstrationszüge aus solchen „Regionen“ im Osten, aus denen Wut und Zorn am heftigsten der fortgesetzten Zerstörungspolitik der neuen Regierung entgegen gebracht werden.

Lindners „Ermöglichungsministerium“: Unkontrollierte Milliarden an die Konzerne – Sparkurs gegen die öffentliche Daseinsvorsorge

Bundesfinanzminister Christian Linder will schnellst möglich Milliarden für den Strukturwandel zur Umsetzung der Klimaziele zur Verfügung stellen. So raubt er, mit Zustimmung aller Ampel-Koalitionäre, zunächst die nicht genutzten Kreditermächtigungen aus dem vergangenen Haushaltsjahr in Höhe von 60 Milliarden Euro, die zur Pandemiebekämpfung gedacht waren, und verschiebt sie in einen eigenen Schattenhaushalt, den „Klima- und Transformationsfonds“. Dabei stellt er ausdrücklich klar: „Die Mittel des Klima- und Transformationsfonds können nicht für allgemeine politische Vorhaben eingesetzt werden, also etwa Staatskonsum oder Umverteilung, sondern nur zweckgebunden.“ Über die Förderung privatwirtschaftlicher Zukunftsinvestitionen soll die internationale Wettbewerbsfähigkeit gestärkt werden.

Milliarden an das Kapital – und gleichzeitig warnende  Aufrufe Lindners an die Koalition zu mehr Sparsamkeit. Diesem eingeforderten Sparkurs unterliegt das dringend benötigte Geld für staatliche Investitionen in die soziale und kommunale Infrastruktur, für mehr Personal im öffentlichen Dienst, in den Schulen, Krankenhäusern, Verwaltung… Es ist keine Vorsorge geplant für die Tarifrunde 2023. Beim Kongress des Beamtenbundes wurde Lindner damit konfrontiert, dass 330.000 Stellen fehlen und 1,3 Millionen Beamt*innen demnächst aus dem öffentlichen Dienst ausscheiden. Der öffentliche Sektor ist „kaputtgespart“, so der Vorsitzende Silberbach. Die Antwort des Herrn Ministers: „Nicht alles, was dann wünschenswert ist, kann sofort finanziert werden,“ und er verteidigte die Schuldenbremse. (SZ 11.1.2022)

Dass die Schuldenbremse laut Lindner 2023 wieder greifen soll, heißt übersetzt:  Kaputtsparen gegen die kommunale Daseinsvorsorge, gegen die Bildung und Gesundheitsversorgung, die Renten-,Kranken- und Arbeitslosenversicherung …

Für das edle Ziel der Stärkung der geforderten „neuen Wettbewerbsfähigkeit“ will Lindner neue Finanzierungswege gehen, zum Preis der Zerrüttung des öffentlichen Haushalts. Staatliche Gesellschaften wie die Bahn, die KfW oder Bundesimmobiliengesellschaft sollen – an der Schuldenbremse vorbei – Kredite aufnehmen oder für Kredite bürgen. Die Gier des Kapitals ist allerdings unersättlich. War noch vor den Wahlen ein 500-Mrd.-Programm (50 Milliarden jährlich) für die Entwicklung der Digitalisierung/Transformation vereinbart, fordert der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) jetzt von der Scholz-Regierung, dass sie in den kommenden neun Jahren einen Investitionsturbo einlegen und in allen Wirtschaftssektoren insgesamt 860 Milliarden Euro investieren soll.

Ihre Politik provoziert eine neue Welle der Verarmung

Die Armutsquote ist im Pandemiejahr 2020 auf das Rekordniveau von 16,25 gestiegen, in fünf Bundesländern sogar im Durchschnitt auf über 20%. 13,4 Millionen Menschen in Deutschland sind arm. Infolge der allgemeinen Preisexplosion, für die die hohen die Inflation antreibenden Energiepreise ein wichtiger Faktor sind, droht eine neue Welle weitere Verarmung von Millionen. Nicht nur die Preise für Mieten, Strom und Gas, auch für Lebensmittel verteuern sich kräftig.

Gegen den von Bundes- und Länderregierungen diktierten Kaufkraft- und Reallohnverlust haben die Beschäftigten in allen letzten Tarifkämpfen die Forderung nach Verteidigung des Reallohns auf die Tagesordnung gesetzt. Und zwar gegen die Gewerkschaftsführungen, die den Beschäftigten einen Abschluss aufgezwungen haben, der sie mit einem empfindlichen Kaufkraftverlust abgespeist hat.

Die Gewerkschaftsführungen des DGB sind die Hauptstütze dieser arbeiter- und demokratiefeindlichen von Scholz geführten Regierung, die sie als „ihre“ Regierung präsentieren. Und die es wagen, die SPD immer noch als politische Vertretung der Arbeiterschaft zu verkaufen und betrügerisch vorzugeben, dass sie im Namen der arbeitenden Bevölkerung spreche, während große Sektoren der Arbeiterschaft sich schon im Kampf und Demonstrationen gegen diese neue SPD-geführte Regierung mobilisieren.

Doch sie können der Realität nicht entfliehen. Das zeigen die Massenerhebungen der Demonstranten seit Anfang Januar: Montag, am 4.Januar 2022 demonstrierten mehr als 100.000 bundesweit; nach offiziellen Angaben des Bundesinnenministeriums demonstrierten dann am 10.1. etwa 188.000 und am 24.1. bundesweit rund 350.000 Menschen. Alle Demonstrationen sind spontan, außerhalb der Gewerkschaften. Sie werden von den Gewerkschaftsführungen, die die Regierung unterstützen, als demokratie- und staatsfeindlich, als von der AfD und Rechtsextremnisten beherrscht, denunziert.

Es kündigt sich an, dass die kommenden Tarifrunden zunehmend geprägt sein werden von dem Griff der Beschäftigten nach ihren Gewerkschaften:

für eine Konzentration der Tarifkämpfe auf die Forderung nach Verteidigung der Reallöhne und Kaufkraft.

So fordern die Metallkolleg*innen eine ordentliche Lohnerhöhung; während die Kolleg*innen der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) in den zum Teil regional geführten Tarifrunden 2022 für 6,5% mehr Lohn kämpfen wollen.

Dieser Beitrag versteht sich als Vorschlag für weitergehende Diskussionen, für die die „Soziale Politik & Demokratie“ ihre Seiten zur Verfügung stellt.

Gotthard Krupp, 28.1.2022

 

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