Das ist mit 7,9% die höchste Inflation seit 40 Jahren.
Explodierende Preise besonders für Energie und für Lebensmittel, Arbeitnehmer*innen und ihre Familien verzweifeln, wie sollen sie über die Runden kommen? Vor allem tägliche Nahrungsmittel verteuerten sich um bis zu 30 % (!). Während die horrenden steigenden Mietpreise die arbeitende Bevölkerung an der Gurgel packen, rechtfertigt der Immobilienkonzern Vonovia „spürbare Mieterhöhungen“ mit dem Hinweis darauf, dass die Inflation nicht „ an den Mieten vorbeigeht.“
Der Handelsexperte Duthoit vom Kreditversicherer Allianz Trade erwartet eine Inflationsrate von 10 %. Das entspricht 250 Euro an Mehrkosten im Jahr pro Kopf. Für eine vierköpfige Familie summiert sich das schnell auf 1000 Euro. Und er fügt hinzu: „Das Schlimmste kommt auf die Haushalte erst noch zu“.
Und auch das gehört in die Bilanz: Fast keiner der neu abgeschlossenen Tarifverträge hat den Reallohn gesichert, im Gegenteil, Reallohnsenkungen wurden festgeschrieben. Eine ganze Schicht von Industriearbeitern wurde aus ihrem Flächentarifvertrag herausgebrochen und in Niedriglohn und Prekarisierung abgeschoben.
Diese Situation lässt die Hans-Böckler-Stiftung warnen vor dem „sozialen Sprengstoff (den) die Preisentwicklung der vergangenen Monate birgt“.
Profiteure der Inflation
Die weltweite Inflation ist nicht vom Himmel gefallen. Mit Billionenspritzen haben die Zentralbanken die Finanzmärkte geflutet, zur Förderung der Spekulation und der Profitrate und Rendite der Finanzinvestoren der Konzerne.
Die Regierung Scholz hat, wie vorher die GroKo, die Banken und Konzerne mit immer neuen Milliarden an Subventionen bedient– für die Verteidigung der neuen Wettbewerbsfähigkeit des Profits im Wirtschaftskrieg. Das hat den Autokonzernen bei sinkender Produktion durch großzügige Preiserhöhungen zu Rekordgewinnen verholfen. Für die Energiekonzerne schlägt der barbarische Krieg in der Ukraine – mit 1000en Toten und Verelendung der Bevölkerung – mit einer Explosion der Profite aus Öl- und Gasgeschäften zu Buche.
Regierung Scholz – Regierung des „sozialen Krieges“ …
In ihrem Diskussionsbeitrag zum Arbeitnehmertreffen am 25. Juni schreiben die Kolleg*innen:
„Die unter den Preiserhöhungen ächzende Bevölkerung fordert Wirtschaftsminister Habeck zum „Energiesparen“ auf!
Seit ihrem Amtsantritt ergreift die Scholz-Regierung immer neue und sich verschärfende Maßnahmen der sozialzerstörerischen Offensive: Entlassungen, Betriebsschließungen im Rahmen der industriellen Demontage; „Senkung der Kosten der Arbeit“ durch Deregulierung, Zerstörung der Flächentarifverträge; Tarifkämpfe stehen unter den Regierungsdiktaten gegen Reallohn und Tariflohn; extreme Ausweitung der Minijobs und Armutslöhne; Privatisierung und Kaputtsparen von Krankenhäusern, Schulen, Kitas, Universitäten, des kommunalen öffentlichen Dienstes; Angriff auf das gesetzliche solidarische Rentensystem durch die Öffnung zur Aktienrente“.
Scholz rechtfertigt die zerstörerischen Maßnahmen als notwendige Opfer des Volkes im Rahmen einer Politik und Regierung der „Nationalen Gemeinsamkeit“ – von Volk und Regierung – gegen Krise und Krieg.
Die wichtigsten Unterstützer findet er in den Führungsapparaten der DGB-Gewerkschaften. „In diesen Zeiten des Krieges“ erklären vor allem die Verantwortlichen von IG Metall und IG BCE, auf Lohnforderungen gegen Inflation und Reallohnverlust zu verzichten. Sie machen sich zu Handlangern bei der Zersetzung der Flächentarifverträge durch Einmalzahlungen und betriebliche Reglungen. Und für Firmen mit wirtschaftlichen Problemen oder für Investitionen in die „Digitalisierung“, d.h. Arbeitsplatzvernichtung, können weitere Lohnsenkungen vereinbart werden.
Die 330.000 Beschäftigten in den Kitas und im Sozial- und Erziehungsdienst, die mit hoher Streikbereitschaft für die Verteidigung des Reallohns und einen Kaufkraftausleich gekämpft haben, konnten nicht verhindern, dass die ver.di-Führung sich – wie schon bei dem Tarifabschluss im Öffentlichen Dienst der Länder Ende letzten Jahres dem Diktat der Länder- und Bundesregierung für einen Reallohnverlust unterworfen hat.
… sie treibt die Angst vor großen sozialen Auseinandersetzungen
„Wir werden einen dramatischen Anstieg der Heizkosten erleben“, so Habeck im ZDF. Die entscheidende Frage des Herbstes und des Winters werde sein, ob die politischen Maßnahmen ausreichen, „um gesellschaftlichen Frieden … durchzuhalten“. Darin spiegelt sich die Angst vor großen sozialen Auseinandersetzungen angesichts der bevorstehenden Tarifrunden.
Verdi-Chef Frank Werneke hält angesichts steigender Verbraucherpreise einen Ausgleich durch höhere Löhne für unausweichlich. „Unser Kurs ist ganz klar: Dauerhaft steigende Preise müssen durch dauerhaft wirkende Tariflohnsteigerungen vollumfänglich ausgeglichen werden.“ (Wernecke zur DPA)
Ein hohles Lippenbekenntnis? Zweifellos reagiert Wernecke damit auf eine zunehmende Unruhe unter den Gewerkschaftskolleg*innen, die in Diskussionen zur bevorstehenden Tarifrunde ÖD in Bund und Kommunen und der TV-L-Runde diskutieren, wie der Reallohn gesichert werden kann. „Eigentlich muss die Lohnforderungen 15 % lauten“, so der Kommentar eines Kollegen auf einer Mitgliederversammlung von Charité und Vivantes. „Nur so kann eine Reallohnsicherung und -erhöhung garantiert werden.“
Die Kolleg*innen der Stahlindustrie haben mit ihrer Forderung nach 8,2 % ein Zeichen gesetzt. 1000e Hafenarbeiter traten am 9.6. in Hamburg, Emden, Bremen, Bremerhaven und Wilhelmshaven in den Streik –für einen tatsächlichen Inflationsausgleich, um nur zwei Beispiele zu nennen.
Gleichzeitig fordern Kolleg*innen, dass die Tarifpolitik auf die sich verändernde Inflationsrate reagieren muss, sei es durch tarifvertragliche Bindung der Tariflöhne an die Inflationsrate oder verkürzte Kündigungsfristen.
„Die Inflation galoppiert in Richtung 10 %. Wenn Gewerkschaften darauf nicht reagieren, haben sie bereits verloren. Es macht wenig Sinn für kleine Verbesserun-gen zu streiten, wenn am Ende doch nur ein Reallohnverlust bleibt. Deshalb ist die Forderung nach der außerordentlichen Kündigung der Entgelt-Tarifverträge (nicht nur) im öffentlichen Dienst von zentraler Bedeutung.“ (Henning Kühn, ver.di Vertrauensmann, s. „Soziale Politik & Demokratie, Nr. 469)
In diesem Zusammenhang erinnert der SPD-Bundestagsabgeordnete M. Miersch an das bis heute gültige „Übergangsgesetz über Preisbildung und Preisüberwachung“ (Preisgesetz) vom April 1948. Es erlaubt in Paragraf 2 die öffentliche Festsetzung der Höhe der „Preise, Mieten, Pachten, Gebühren und sonstige Entgelte für Güter und Leistungen jeder Art, ausgenommen Löhne“.
Es ist kein Zufall, wenn heute Forderungen laut werden wie: allgemeiner Preisstopp – Preissenkung für Lebensmittel und Energie, und nach einem Moratorium gegen Mietsteigerungen.
Die Arbeitnehmer*innen und Jugend können nicht akzeptieren, dass diese Krisen- und Kriegszeit „die Zeit des Verzichts und der Opfer sein soll“. Sie können nicht akzeptieren, dass die Gewerkschaftsführungen im Namen der Gemeinsamkeit von Volk und Regierung die Arbeitnehmer*innen und Jugend der sozialen Zerstörungsoffensive der Regierung Scholz unterwerfen.
Beispielhaft kämpfen die Krankenhausbeschäftigte seit Monaten bundesweit mit Unterstützung der Bevölkerung gegen die fortgesetzte Schließung von Krankenhäusern und Bettenabbau und fordern dringend zusätzliches Personal; Lehrer und Schüler kämpfen und demonstrieren für mehr Lehrer und kleinere Klassen; und prekär Beschäftigte erheben sich gegen Lohndumping – für Integration in Flächentarifverträge.
In der Metall- und Elektroindustrie beginnt ab September die Tarifrunde, die Forderungen werden jetzt aufgestellt. Bei ver.di werden die Forderungen für die TVöD und TV-L diskutiert. „Kräftige Lohnsteigerung durchsetzen – Ausgleich der Inflation“ heißt es in einem ver.di Diskussionspapier.
Die Kollegen werden sich in den bevorstehenden Tarifrunden im Kampf für eine Reallohnsicherung mobilisieren.
Auf dem Arbeitnehmertreffen am 25. Juni können politisch und gewerkschaftliche engagierte Kolleg*innen gemeinsam diskutieren:
- „wie sie für den Aufbau einer politischen Widerstandskraft der Arbeiterschaft und Jugend handeln können?
- Wie sie den Kolleg*innen helfen können, sich ihre Gewerkschaften gegen die politischen Hindernisse im Kampf für ihre Forderungen zurückzuerobern“.
Carla Boulboulle / Gotthard Krupp
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