„Seit einem halben Jahrhundert war die Lage in Deutschland nicht mehr so prekär.“

„…die Teuerung in Deutschland kletterte im Mai auf 7,9 Prozent und erreichte damit den höchsten Stand seit Januar 1952. … Statt Klimaschutz und Corona beherrschen plötzlich Krieg und Inflation die Schlagzeilen.“. (Handelsblatt, 17.6.22)

Bundeskanzler Scholz (SPD) behauptet, dass zu den Folgen des von Russland entfesselten Ukrainekriegs auch die hohe Inflation gehört, eine Sprachregelung, die in den Kommentaren vieler Medien übernommen wird.

Vergessen gemacht werden soll, dass seit Jahren die Zentralbanken und die Regierungen die Finanzmärkte und Konzerne mit Billionen-Summen geflutet haben, zur Förderung der Spekulation, von Profiten und Rendite der Finanzinvestoren.

Tatsache aber ist: der Ukraine-Krieg ist nur die militärische Ausdrucksform des von den dominierenden US-Monopolen vorangetriebenen globalen Wirtschaftskrieges um Marktanteile und spezifisch die Kontrolle über Rohstoffe, wie Gas, Öl… Und dass der militärische Konflikt in der Ukraine nur Teil ist des generellen Krieges für die grundsätzliche Schwächung Russlands.

Ebenso ist es eine Tatsache, dass die sich schon vor Kriegsbeginn im Februar 2022 entwickelnde Inflation nicht Folge des Krieges ist, sondern ihre praktische Ursache in den Billionen-Spritzen der Zentralbanken hat, um durch die Flutung der Finanzmärkte das kapitalistische Weltsystems vor dem Kollaps zu retten.

Spekulative Preissteigerungen heizen die Inflation an – Erdöl ist derzeit um rund 66 Prozent teurer als im Vorjahr und Erdgas sowie Steinkohle um etwa 200 Prozent. Infolge verteuern sich alle Waren und Dienstleistungen. Die explodierenden Preise für Energie/Benzin und Lebensmittel führen zum Einbruch der Lebensqualität vor allem der Niedrig- und Armutslöhner.

Der US- Wirtschaftskrieg gegen die europäische Industriebastion in Deutschland verstärkt noch den Schrumpfungsprozess der industriellen Produktion. Wirtschaftsminister Habeck (Grüne) prognostiziert „drohende Massenarbeitslosigkeit“.

Krisengewinner sind die DAX-Konzerne, die in diesem Krisenjahr 2022 Nettogewinne von 130 Milliarden Euro kassieren werden (Handelsblatt 21.6.)

Trotz eines Produktionsrückganges um 20 – 30% konnte z.B. VW durch die Umstellung der Produktion auf teure Modelle und abenteuerliche Preiserhöhungen den Gewinn fast verdoppeln.

Preisexplosion und Reallohnverlust

Im Mai stiegen für die Verbraucher die Energiepreise gegenüber Dezember 2021 um 38,3%, Lebensmittel verteuerten sich um 11,1%.

Die gesellschaftliche Mehrheit zahlt mit einem Reallohnrückgang von 1,8% nach Abzug der Inflation. (Statistisches Bundesamt).

Etwa 15,2 Prozent der Erwachsenen in Deutschland können nach eigenen Angaben kaum noch ihre Lebenshaltungskosten bestreiten. Ganze Arbeiterschichten bis weit in die Industriearbeiterschaft werden in den Armuts- und Niedriglohnsektor gestürzt.

Fast alle Tarifabschlüsse der Gewerkschaftsführungen stehen unter dem Diktat der der Regierung Scholz: „Senkung der Kosten der Arbeit“ durch Angriffe auf die Tariflöhne, Deregulierung, Zersetzung der Flächentarifverträge.

Mit ihrer hohen Kampfbereitschaft haben die Stahlarbeiter zwar den höchsten Tarifabschluss seit 30 Jahren in der Stahlindustrie (IG Metall) erkämpfen können, aber schließlich stimmte die IG Metallspitze einem Abschluss weit unterhalb eines Inflationsausgleichs zu. (6,5% bei einer Laufzeit von 18 Monaten und zwei Monaten Einmalzahlungen von 500 Euro). Auch die Beschäftigten im öffentlichen Dienst im letzten Jahr  im Sozial- und Erziehungsdienst und in den Kitas, hatten trotz hoher Streikbereitschaft nicht verhindern können, dass die ver.di-Verhandlungs-kommission sie im Tarifabschluss mit einem Reallohnverlust abgespeist hat.

Doch das reicht nicht. Scholz braucht eine noch entschiedenere Einbindung der Gewerkschaftsführungen in seine sozialzerstörerische Offensive.

Deshalb hat er, begrüßt von den Arbeitgebern, zu einer konzertierten Aktion eingeladen, bei der es nicht mehr so sehr um die Festlegung auf eine „moderate Lohnpolitik“ geht, sondern um einen weiteren Einbruch in das gesamte Flächentarifvertragssystems. (s. auch Artikel S. 15).

Der Abschluss von Tarifverträgen, die auf die Durchsetzung „dauerhafter Lohnsteigerungen“ zielen, sollen – so die Vorstellung von Scholz – ersetzt werden durch eine Lohnpolitik, die auf Einmalzahlungen beruht. Denn die Einmalzahlungen gibt es nur einmal, der Reallohnverlust bleibt (gelobt wird als beispielhaft der Abschluss in der Chemiebranche). Das ist ein Frontalangriff auf das von der deutschen Arbeiterbewegung nach dem Krieg erkämpfte und von den Gewerkschaften garantierte historisches Flächentarifvertragssystem, Rückgrat der sozialstaatlichen Errungenschaften.

Regierung und Gewerkschaftsführung treibt die Angst vor einem „heißen Herbst“

Gewerkschaftsführungen (EVG, IG Metall), die mit dem Vorstoß der „konzertierten Aktion“- von Scholz einen Angriff auf die Tarifautonomie und die Erzwingung von Lohnzurückhaltung fürchten, signalisieren Widerstand. Hinter ihrem Zögern steht der Druck kampfentschlossener Belegschaften, für die es um die Verteidigung ihrer sozialen Lebensgrundlagen geht, um ihre Existenz und die ihrer Familien.

Dennoch versuchen die Führungen den von ihnen verfolgten Verzicht auf Erzwingungsstreiks für Reallohnausgleich zu rechtfertigen, wie im Falle des Stahlabschlusses der Bezirksleiter der IG Metall in Nordrhein-Westfalen, Knut Giesler: „Wir werden es nicht schaffen, die Inflation allein durch Tarifpolitik zu kompensieren.“ Auch ver.di Chef Wernecke verkündet zwar einerseits, in Tarifrunden mindestens Inflationsausgleich erreichen zu wollen, ein Versprechen, dass er schon in den letzten beiden Tarifkämpfen im Öffentlichen Dienst und beim Sozial- und Erziehungsdienst (SuE) gebrochen hat. Er erklärt dann andererseits, es sei kein von ver.di favorisiertes Modell, die Löhne fest an die Inflation zu binden.

Der Ausweg, den die Gewerkschaftsführungen anbieten, heißt „Ausweitung der Entlastungspakete“, d. h. jener betrügerischen Korrektur an der Lohndumpingpolitik, wofür Arbeitsminister Heil (SPD) Meister ist. Denkbar seien z.B. „neue staatliche Einmalzahlungen“, empfiehlt S. Dullien, Gewerkschaftsökonom.

Solche betrügerischen Korrekturen, mit denen die Regierung Scholz schon jetzt die arbeitende Bevölkerung über „Entlastungspakete!“ abspeist, werden nur die Wut gegen die Regierung weiter anfachen. So z.B. zuletzt der Tankrabatt, der sich bestens als Quelle für Sonderprofite der Mineralölkonzerne bewährt hat.

Die Empfehlung der Arbeitgeber an die Hafenarbeiter, den Kaufkraftverlust in ihrem Tarifergebnis durch Forderungen nach staatlicher „Entlastung“ auszugleichen, beantwortet ein Kollege: „Die wollen uns die staatlichen Entlastungen, die wir mit unserem Steuergeld selbst finanzieren, beim Lohn anrechnen“!

Nein, die Arbeiterschaft kann nicht auf ihren Kampf um Tariflohnerhöhungen verzichten, die den Reallohn- und Kaufkraftverlust ausgleichen und verbessern.

Sie brauchen ihre Gewerkschaften für die Organisierung ihres Kampfes für grundsätzliche Forderungen wie:

  • Allgemeiner Preisstopp – Preissenkung für Lebensmittel und Energie,
  • Moratorium gegen Mietsteigerungen.

„Die Preise für Energie und Lebensmittel steigen, und mit ihnen die gesellschaftliche Ungleichheit. Denn Löhne, Renten und soziale Leistungen halten mit der Teuerung bei weitem nicht Schritt. Die Mieten gehen seit langem durch die Decke, die Probleme im Gesundheitssystem wurden auch nach Jahren der Pandemie nicht behoben. Für Menschen mit geringem Einkommen ist das Lebensnotwendige kaum noch erschwinglich. Aber auch Familien mit mittlerem Einkommen müssen sich einschränken und haben Angst vor der Zukunft“, heißt es in dem Aufruf für eine Populäre Linke von Sahra Wagenknecht und weiteren Abgeordneten Funktionsträgern der Linken”.

Vertreter der Politischen Arbeitskreise für unabhängige Arbeitnehmerpolitik haben in Verbindung mit der Redaktion „Soziale Politik & Demokratie“ gemeinsam mit Kontakten und unabhängigen gewerkschaftlichen und politischen Kämpfern zu einem bundesweiten Arbeitnehmertreffen am 25.Juni eingeladen. Dort wurde diskutiert, wie gemeinsam für den Aufbau einer politischen Widerstandskraft der Arbeiterschaft und Jugend gehandelt werden kann. Dazu wurde der Aufruf für eine Populäre Linke begrüßt, die einen Weg öffnen kann für die Herausbildung einer breiteren politischen Widerstandskraft. (s. auch „Soziale Politik & Demokratie, Nr. 470)

Carla Boulboullé

 

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