Ihre Logik und unsere

Eine große Tarifbewegung hat begonnen, die im ganzen Jahr 2013 um 12 Millionen ArbeitnehmerInnen erfasst. Sie wird für den weitaus größeren Teil mit Tarifverhandlungen in diesen Wochen bis zum Frühjahr eröffnet.

Die Forderungen sowohl der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes der Länder, der Deutschen Bahn als auch des Bauhauptgewerbes nach 6,5 und 6,6% mehr Lohn zeugen von der Entschlossenheit und dem Willen, dass endlich Schluss gemacht werden soll mit dem jahrelangen Lohnverzicht. Aber nicht nur damit stehen sie in Kontinuität mit den großen Tarifkämpfen und Streiks des letzten Jahres.

Die Forderungen richten sich auch gegen die Deregulierung der Tarifverträge und Arbeitsverhältnisse. Dagegen hat es das ganze Jahr über zahllose Einzelkämpfe in Unternehmen, ausgegründeten Unternehmensteilen und Arbeitnehmergruppen gegeben, und das gewinnt auch zunehmend für die großen Flächentarifverträge an Bedeutung.

Unter den Landesbeschäftigten des öffentlichen Dienstes z.B. kämpfen die angestellten Lehrer mit beginnenden Warnstreiks für eine endlich tarifvertraglich festgeschriebene und ihrer Qualifikation entsprechende Lohneingruppierung, um sich von willkürlichem Lohndumping und Prekarisierung zu befreien.

Für die 2,8 Millionen Beschäftigten des Einzelhandels sieht sich ver.di, die allein auf eine kräftige Lohnerhöhung setzen wollte, mit der Kündigung der gesamten Tarifvertragsstruktur durch die Arbeitgeber konfrontiert. Damit wollen sie Schutzerrungenschaften wie Zuschläge für Nacht- und Mehrarbeit, Urlaubstage und –geld usw. demontieren und ganzen Beschäftigtengruppen Niedriglohn und Prekarisierung diktieren.

Das gleiche Bild – Forderung nach kräftiger Lohnerhöhung und gegen Deregulierung – zeigen die Tarifkämpfe in Einzelunternehmen wie E.ON und RWE, wo die einen in der Urabstimmung für den unbefristeten Streik stehen und die anderen eine solche vorbereiten, während die NGG bei Coca Cola Warnstreiks für 6% Lohnerhöhung organisiert und gegen eine „Turboflexibilisierung“ der Arbeitszeit.

Arbeitnehmergruppen, wie die Sicherheitskontrolleure an den Flughäfen, streiken mit ihrer Gewerkschaft ver.di für 2,50 Euro höheren Stundenlohn, um endlich aus den Niedriglohnverhältnissen auszubrechen. Und die Beschäftigten des kleinen Betriebes Neupack stehen mit der IG BCE seit 12 Wochen im Streik, um überhaupt einen gewerkschaftlichen Tarifvertrag zu erzwingen.

In allen diesen Kämpfen im Rahmen von Tarifverhandlungen stoßen die Kollegen und ihre Gewerkschaften mit ihren Forderungen auf die Gebote der Schuldenbremse und der Wettbewerbsfähigkeit. Ihnen sehen sich beide, die öffentlichen Arbeitgeber und die Privatunternehmen verpflichtet. Die einen im Interesse der Plünderung der Haushalte für die Schuldendienste an die Banken und die anderen im Interesse ihres Profits, während den Arbeitnehmern die Senkung der Lohnkosten durch direkten Lohnverzicht und durch die Deregulierung ihrer Tarifverträge und die Prekarisierung verordnet wird.

In ihrer kraftvollen Streikbewegung haben die Arbeitnehmer im letzten Jahr den Zwang zum Lohnverzicht durchbrochen und ihren Reallohn verteidigt und verbessert. Und doch hat ihre Gewerkschaftsführung durch vorschnelle Abschlüsse die Streikbewegung vorzeitig gestoppt und unter dem Druck jener Gebote die ver.di Forderung nach 200 Euro Festgeld fallen lassen, sowie bei den Metallern die Erweiterung von Öffnungsklauseln für die Betriebe hingenommen.

Die diesjährigen Tarifforderungen stoßen aber auf eine merkliche Verschärfung der Gebote von Schuldenbremse und Wettbewerbsfähigkeit.

Kanzlerin Merkel nutzte das Gipfeltreffen in Davos für einen eindringlichen Appell an die Arbeitnehmer und Völker Europas: „Ihre Wettbewerbsfähigkeit z.B. bei den Lohnstückkosten… zu verbessern“ und zielte damit nicht zufällig auch auf die in Deutschland beginnende Tarifrunde.

Der Präsident der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Dieter Hundt und sein Hauptgeschäftsführer Reinhard Göhner warnen die Gewerkschaften angesichts „geringerer Verteilungsspielräume“ vor zu hohen Lohnforderungen, „die Arbeitsplätze vernichten“.

Im Klartext: „Das Tarifgebot für 2013 wird Differenzierung heißen müssen… noch stärker als im vergangenen Jahr müssen tarifliche Öffnungsmöglichkeiten geschaffen werden.“ Und sie appellieren an die Gewerkschaftsführung zur „Fortsetzung der bewährten Tarif- und Sozialpartnerschaft.“

Nicht weniger Klartext spricht der Finanzminister Sachsen-Anhalts, Jens Bullerjahn (SPD), der diesjährige Verhandlungsführer für die öffentlichen Arbeitgeber der Länder. Die 6,5%-Forderung lehnt er kategorisch „als völlig überzogen“ ab. „Die Schuldenbremse macht uns noch strengere Vorschriften als dem Bund… Oberste Priorität hat die Sanierung des Haushaltes.“

Und wie soll die Sanierung und Konsolidierung des Haushaltes stattfinden? „Wir in Sachsen-Anhalt haben die Mehreinnahmen genutzt, um unsere Konsolidierung voranzutreiben… und 25 Millionen Euro Schulden getilgt. Wir werden die nächsten fünf, sechs Jahre noch Personalabbau betreiben müssen, der würde natürlich umso schärfer ausfallen, je teurer ein (Tarif-) Abschluss für uns wäre.“ Dann lässt er in Bezug auf die „oberste Vorschrift der Schuldenbremse“ die Katze aus dem Sack: „Unsere Steuermehreinnahmen gehen komplett in die Rückführung der Netto-Neuverschuldung. Die hat Priorität. Ich will die Schuldentilgung erhöhen, nicht die Personalausgaben.“

Das ist die eiserne Logik der Schuldenbremse, der Schuldendienst für die Banken hat „oberste Priorität“. Davor haben die Forderungen der Arbeitnehmer und Gewerkschaften, haben freie Tarifverhandlungen keinen Bestand mehr. Und öffentliche und private Arbeitgeber fordern die Gewerkschaftsführung im Namen der „Fortsetzung der bewährten Tarifpartnerschaft“ auf, sich dieser Logik anzupassen und auf „moderate“ Lohnabschlüsse und „mehr Differenzierung und Flexibilisierung“ der Tarifverträge einzulassen.

Dagegen steht auf der anderen Seite die „Logik“ der Forderungen der Arbeitnehmer, und das Mandat der Gewerkschaftsführung, dieser Logik der unabhängigen Vertretung der alleinigen Interessen und Forderungen der Arbeitnehmer zu folgen.

Diese Fragen standen im Zentrum der breiten demokratischen Diskussion der ca. 100 Delegierten auf der Arbeitnehmerkonferenz am 26, 1. in Berlin zu der ArbeitnehmerInnen, GewerkschafterInnen, politisch Engagierte und Sozialdemokraten in Verbindung mit der „Sozialen Politik & Demokratie“ eingeladen hatten: Wie können wir mit unseren politischen Initiativen beitragen zur Entfaltung der vereinten Kraft der Arbeitnehmer und ihrer Organisationen im Kampf nicht nur für die Tarifforderungen der Arbeitnehmer, sondern auch für ihre Forderungen gegen Tarifflucht, Lohndumping und Prekarisierung, und nicht zuletzt gegen die heranrollende Welle der Arbeitsplatzvernichtung und Entlassungen – die immer im Namen von Schuldenbremse/Sparpolitik und Wettbewerbsfähigkeit voran getrieben werden?

In einem Aufruf wenden sich die Delegierten an gewerkschaftlich und politisch engagierte Kämpfer der Arbeiterbewegung, sich mit ihnen in politischen Initiativen zu sammeln und einzugreifen für die Einheit der ArbeitnehmerInnen und ihrer Organisationen im Kampf für die Aufhebung der Schuldenbremse/Sparpolitik, gegen das Diktat der Wettbewerbsfähigkeit und für die Aufhebung der europäischen Verträge, ESM und Fiskalpakt; für die Verteidigung der Unabhängigkeit unserer Organisationen!

Wir laden unsere Leser ein, diesem Aufruf zu folgen, ihre Kontakte anzusprechen und mit ihnen das Eingreifen dieser politischen Initiativen zu verstärken.

Carla Boulboullé


Aus: Soziale Politik & Demokratie Nr. 292 vom 2. Februar 2013

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