Am Dienstag, den 24. Januar 2023, beginnen in Potsdam die Tarifverhandlungen für die 2,8 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen und die sich daran orientierenden Dienstleistungen. Die Beschäftigten fordern mit ihrer Gewerkschaft ver.di 10,5 Prozent mehr Gehalt, mindestens 500 Euro monatlich, bei einer Laufzeit von 12 Monaten.
Ein Großteil der Arbeitnehmer*innen im öffentlichen Dienst, und erst recht bei den am TVöD orientierten Dienstleistungen, ist in den unteren und mittleren Entgeltgruppen beschäftigt. Für fast alle Beschäftigten, Angestellte, Beamte und auch Pensionäre stellt sich die Frage, wie sie angesichts der hohen Energiekosten, der stark gestiegenen Lebensmittelpreise und Mieten über die Runden kommen sollen. Im November 2022 stieg die Teuerung sogar auf 10% (im Jahresdurchschnitt 2022 stiegen die Verbraucherpreise um 7,9 Prozent).
„Was Gerechtigkeit angeht, ist die Ampel blind“, ver.di-Chef Frank Werneke
In der gesamten Wirtschaft, öffentlich und privat, lag der Reallohnverlust in 2022 bei 4,7 Prozent, ein in der Bundesrepublik historisch hoher Wert. (Hans Böckler Stiftung).
Für den ÖD begründet ver.di-Chef Frank Werneke die Höhe der Forderung: im letzten Jahr haben „die Beschäftigten im öffentlichen Dienst de facto sechs Prozent ihres Lohns eingebüßt“. Bei einer seiner Meinung nach zu erwarten-den Inflation von 6-8% „würde der reale Lohn ohne Tariferhöhung um bis zu 14 % schrumpfen“.
In der Tarifrunde bei der Post, die am 6. Januar begonnen hat, fordert ver.di 15 Prozent mehr Lohn und Gehalt für die Beschäftigten, bei 12 Monaten Laufzeit. Die Beschäftigten bei der Post sind sehr unterdurchschnittlich bezahlt. Ein großer Teil ist im befristeten Arbeitsverhältnis. Der überwiegende Teil der ver.di-Mitglieder bei der Deutschen Post AG kann Reallohnverluste schlichtweg nicht verkraften, so die stellvertretende ver.di-Vorsitzende und Verhandlungsführerin Kocsis: „Dass die Arbeitgeber den Ausgleich von Reallohnverlusten verweigern, ist angesichts der Milliardengewinne des Konzerns eine Provokation“. Die letzte Tariferhöhung im Januar 2022 betrug lediglich 2 Prozent. Das war noch vor der Teuerungswelle der Lebenshaltungskosten. Reallohnverlust: 7 Prozent.
Der Weltkonzern Post erwartet für 2022 einen Rekordgewinn von 8,4 Milliarden Euro für die Anteilseigner – die Bilanz lohnender Überausbeutung.
Das Diktat der Regierung Scholz: Senkung der Kosten der Arbeit
Schon der Abschluss im Tarifkampf des öffentlichen Dienstes der Länder im Herbst 2021 war bestimmt durch das politische Diktat des damals kurz vor seiner Wahl zum Bundeskanzler stehenden Olaf Scholz. Entschlossen setzte er gegen die kampfbereiten Kolleg*innen, die gegen die gefräßige Inflation und Kaputtsparpolitik der Regierungen von Bund und Ländern ihren Reallohn verteidigen wollten, ein Tarifergebnis durch, dass bei einer Inflationsrate von damals schon über 5% nicht einmal annähernd einen Ausgleich für die dann explosiven Preissteigerungen bei Lebensmitteln, Energie und den Mieten gebracht hat. (s. „Soziale Politik & Demokratie“, Nr. 461 vom 11.12.21)
Die Kostenexplosion der Kriegsaufrüstung mit deutschen Leopard-Panzern fordert eine immer schärfere Kaputtsparpolitik gegen den öffentlichen Dienst, Krankenhäuser, Schulen, Kommunen… Nicht nur werden die Alarmrufe heftiger, die 100 Mrd. für Kriegsaufrüstung aufzustocken. Es wird eine Verdoppelung, bzw. von der Wehrbeauftragten Högl – und nicht nur von ihr – eine Verdreifachung auf 300 Mrd. Euro angemahnt. Bezahlt werden muss mit einer Politik weiterer sozialer Grausamkeiten.
Bundesfinanzminister Lindner (FDP) betont hartnäckig, an der Schuldenbremse, d.h. der weiteren Kürzung der öffentlichen und sozialen Haushalte, wird nicht gerüttelt. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die seitens des Bundes die Verhandlungen im ÖD Bund und Kommune führt, verweist angesichts der hohen Forderungen der Gewerkschaften auf die angespannte Haushaltslage.
Der Finanzsenator von Berlin, D. Wesener (Grüne), lehnt selbst das dürftige Trostpflaster einer Einmalzahlung ab.
Die Scholz- und Länderregierungen sehen keinen Spielraum, sie sehen ihre politische Aufgabe in der Finanzierung der Kriegspolitik und der Bedienung der Konzerne mit über 300 Mrd. zur „Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft“.
Verteidigung des Reallohns plus
Wie schon im Herbst 2021 den über 6 Millionen im Tarifkampf mobilisierten Metallern und Beschäftigten im öffentlichen Dienst, verweigern sie heute den Kolleg*innen im ÖD Bund und Kommune das Recht auf Löhne zur Reallohnsicherung – und das angesichts einer wesentlich höheren Inflationsrate als 2021 (aktuell 8,6%).
Mit dem schon bekannten Regierungszynismus versucht Faeser die Beschäftigten mit dem „starken Entlastungspaket“ der Regierung abzuspeisen, das – so die reale Erfahrung der Mehrheit der Bevölkerung – diese nicht vor Verarmung schützt, aber milliardenschwere „Stützungsmaßnahmen für Unternehmen und Gasimporteure“ verspricht.
Einmalzahlungen sind Strohfeuer
Mit staatlichen und aus den Arbeitersozialkassen geförderten Einmalzahlungen, d.h. einem Almosen-Bonus statt tariflich gesicherter Lohnerhöhungen, will Scholz erneut Lohnforderungen und vor allem das Tariflohnergebnis drücken. Und dafür rechnet er auf die Komplizenschaft der Gewerkschaftsführungen.
Die Kampfbereitschaft der Beschäftigten – massive Beteiligung der Kolleg*innen aus Bereichen des ÖD, die zur Zeit nicht im Tarifkampf stehen
Mit ihrer Forderung nach 10,5% und mindestens 500 Euro setzen die Beschäftigten im ÖD Bund und Kommune ein Signal: Es ist die Erhebung gegen das Gebot der Regierung Scholz: „Die Zeiten des Krieges sind nicht die Zeiten für Forderungen.“
Mehr als 325.000 Mitglieder von ver.di haben sich an der ver.di-Umfrage zur Unterstützung der Forderung nach Reallohnsicherung plus beteiligt. Die Kampfbereitschaft ist da (s. auch Artikel in dieser Ausgabe). Kolleg*innen aus Bereichen des öffentlichen Dienstes, die z.Z. in der Friedenspflicht sind, nutzen die Mobilisierung, um Nachverhandlungen über inflationssichere Tarifverträge zu fordern.
„Wir brauchen 15 Prozent - und können das auch durchsetzen!“ (ver.di-Postler*innen)
Rund 30.000 Postler haben sich an dem dreitägigen Streik vom 19.1. bis zum 21. Januar beteiligt; mit „hoher Beteiligung“ (ver.di) wird die Streikwelle auch am 26.1. und darüber hinaus fortgesetzt.
Die Beschäftigten der Flughafengesellschaft, der Luftsicherheit und der Bodenverkehrsdienste am Berliner Flughafen BER wurden am 25.1. von ver.di zu einem 24-stündiger Warnstreik aufgerufen. Ihre Forderung: 500 Euro mehr Lohn pro Monat bei einer Laufzeit des Tarifvertrags von zwölf Monaten. Der Betrieb wurde komplett lahmgelegt.
Ca. 11 Millionen Beschäftigte, im Einzelhandel, im öffentlichen Dienst der Länder, in verschiedenen Industriezweigen, bundesweite Initiative studentischer Beschäftigter für einen TV-Stud, bereiten sich in diesem Jahr auf Kämpfe vor. Sie alle wollen zur Verteidigung ihrer Kaufkraft, ihrer Lebensexistenz, der Befreiung aus Armutslöhnen, gegen die Massenverarmung und soziale Not, tarifvertraglich vereinbarte inflationssichere Reallöhne plus erkämpfen.
Carla Boulboullé, 25.01.2023
Aus: Soziale Politik & Demokratie Nr. 482 vom 31. Januar 2023
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