Die Wirtschaftskrise, die Deutschland schon seit einiger Zeit erschüttert (s. Artikel in der „Sozialen Politik und Demokratie“, Nr. 489), erreicht eine neue Qualität. Als einziger G7-Staat erzielt die Bundesrepublik kein Wachstum (Experten des IWF, Juli 23). Zum ersten Mal in der Geschichte nach 1949 erlebt Deutschland einen Einbruch in der bis dahin permanent ansteigenden Kurve des Wirtschaftswachstums.
Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) wird die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr um 0,3 Prozent schrumpfen. Auch 2024 würde Deutschland diesen Rückstand kaum kompensieren.
Die FAZ kommentiert: „Der kranke Mann Europas ist wieder da. In Deutschland wird weniger investiert, produziert und konsumiert.“
Drei Faktoren kommen zusammen.
- Das Platzen der Immobilienspekulationsblase;
- Schrumpfung der industriellen Produktion und der Investitionen in die produktive Industrie. Milliardenflutungen in die Aufrüstungs- und Kriegswirtschaft;
- Dramatisches Sinken der Kauf- kraft der arbeitenden Bevölkerung in Folge von Inflation (immer noch 6,2%) und Reallohnkürzung.
Macht die “Wachstumskrise“ den führenden Industriestandort zum „kranken Mann Europas“, so erleben wir gleich- zeitig am anderen Ende der Welt, in China, die – dort so genannte – „Wachstumsschwäche“ mit den gleichen drei Faktoren.
Hier trifft es die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, deren Krise von mehrfach zerstörerischer Auswirkung auf das gesamte kapitalistische Weltsystem ist.
Scholz: „Wirtschaftswunder Deutschland“
„Die grüne Transformation löst ein Wirtschaftswunder aus“, tönte Scholz noch vollmundig im März dieses Jahres: „Wegen der hohen Investitionen in den Klimaschutz wird Deutschland für einige Zeit Wachstumsraten erzielen können, wie zuletzt in den 1950er- und 1960er-Jahren geschehen.“ Diese Prognose von Olaf Scholz verursachte schon damals vielfach nur Kopfschütteln.
Die vom US-Imperialismus diktierte Politik der Regierung Scholz hat die ganze Krisenentwicklung befördert. Die Sanktionen gegen Russland treiben die Deindustrialisierung voran. Die hohen Investitionen in die Rüstungswirtschaft fehlen für die notwendigen Investitionen in die produktive Industrie und Wirtschaft.
Der US-Wirtschaftskrieg zwingt ca. 20% der deutschen Industrie zur Verlagerung in die USA. Die hohen Energie- preise und die immer noch hohe Inflation sind Ursache für den Produktionsrückfall, der nicht nur die Großindustrie trifft, sondern auch den Mittelstand. Und er ist Ursache für eine dramatische Pleitewelle des unteren Mittelstandes und der Klein- und Kleinstbetriebe im Handwerk usw.
Das sind die ökonomischen Krisenbedingungen, die auf politischer Ebene Ursache sind für die politische Herrschaftskrise.
Politische Herrschaftskrise – 70% der Bevölkerung haben kein Vertrauen in diese Regierung…
Das ist ein historisches Ergebnis.
Die Scholz-Regierung hat die Kontrolle über den Haushalt verloren. Die Kriegsmilliarden und die Milliarden-Subventionen für die Konzerne lassen die Verschuldung von Haushalt und Staat in historische Höhen schnellen.
Die politische Herrschaftskrise konzentriert sich in der Regierungsunfähigkeit. Alle Regierungsmaßnahmen stoßen auf Misstrauen und Ablehnung, verschärfen die Konflikte in der Regierung, und vor allem produzieren sie Empörung und Widerstand der arbeitenden Bevölkerung.
Wirtschaftsminister Habeck (Die Grünen) kämpft für die Entlastung der Unternehmer bei den Industriestrompreisen. Umso stärker wird die arbeitende Bevölkerung belastet mit den enormen Preisen für Wärmepumpen und den Heizungs- und Stromkosten.
Das Regierungsprogramm zum angeblichen Klimaschutz verfehlt alle seine Ziele. „Die Regierung hat keinen Plan“, urteilt selbst der Expertenrat der Regierung: „Die Regierung hat uns ein Puzzle mit 1000 Teilen übergeben. Wir haben dann aber festgestellt, dass es aus drei verschiedenen Puzzles besteht“.
Das brutale Spardiktat des Finanzministers Lindner (FDP), im Namen der Schuldenbremse, zielt auf die Zerstörung der gesamten Errungenschaften des Sozialstaats. So soll es keinen Platz geben für eine Kindergrundsicherung, für die Familienministerin Paus (Die Grünen) 12 Milliarden forderte und von Lindner zur Kapitulation gezwungen wurde.
Lindner will auch das gesetzliche Rentensystem zu Fall bringen, durch seine Pläne für eine Aktienrente, wofür die Milliarden Arbeiterbeiträge aus der Rentenkasse entnommen und der Spekulation ausgeliefert werden sollen.
Und die Ausweitung der von Armut bedrohten Kinder und Jugendlichen auf 2,9 Millionen, deren Eltern von Armutslöhnen und Sozialleistungen unter der Armutsgrenze leben müssen, ist für ihn nur eine Gelegenheit, gegen den Import der Kinderarmut durch Einwanderung zu hetzen.
Kanzler Scholz sollte diese Hetze und Zynismus noch überbieten: Bei seinem Wahlkampfauftritt am 18.8. in München beschimpfte und verhöhnte er die Antikriegsdemonstranten als „vielleicht gefallene Engel, die aus der Hölle [Russland, d. Red.] kommen, weil sie letztendlich einem Kriegstreiber [Putin, d. Red.] das Wort reden“.
Regierungsleitlinie: Aufräumen mit den sozialstaatlichen Errungenschaften
Die historische Wachstumskrise hat die Regierung Scholz in Panik versetzt, Panik prägt das gesamte dargestellte Regierungshandeln. Aber es gibt eine Leitlinie: Zerstörung des Sozialstaates. Im Zentrum steht die von Scholz diktierte Senkung des Reallohns und die Inflation, verbunden mit der Zersetzung der Flächentarifverträge und der gewerkschaftlichen Kampfkraft.
Doch die Mitgliederzahl der Gewerkschaften wächst, Demonstrationen und Streiks nehmen zu. Neben den Forderungen gegen den Krieg dominieren die Forderungen für die Verteidigung des Reallohns und Flächentarifvertrags, sowie zunehmend für Verteidigung der Arbeitsplätze, für Preisstopp, gegen zu hohe Mieten – für das Recht auf bezahlbare Sozialwohnungen.
Auch wenn es nicht immer gelingt, Reallohn und Arbeitsplätze zu verteidigen – vor allem wegen des regierungstreuen Handelns der Gewerkschaftsführung – die Kampfentschlossenheit und -erfahrung steigen (siehe auch die Diskussion vor den Gewerkschaftstagen auf den Seiten 18 – 20 dieser Ausgabe).
Die AfD verdankt ihren derzeitigen Aufschwung der gestiegenen Wut gegen die Politik der Regierung Scholz – die allein gestützt wird durch die Führung der Gewerkschaftsapparate und durch alle 5 Parteien und ihre Führungskräfte.
Das nutzt Scholz missbräuchlich aus für eine Neuauflage des vereinten Kampfes aller Demokraten mit der Regierung gegen rechts, gegen die “Feinde der Demokratie“: Damit will er von dem anschwellenden Widerstand gegen seine Politik ablenken.
Zugleich gewinnen die linken politischen Strömungen um Sahra Wagenknecht und Sevim Dagdelen, die starke Gruppierung „Was Tun“ sowie aufstehen.
Sie definieren ihre politischen Forderungen im Bruch mit der Regierung Scholz und orientieren sich auf den Aufbau einer “Neuen Partei“, für manche eine revolutionäre Partei.
Dier Zeitung „Soziale Politik & Demokratie“ öffnet ihre Seiten für diesen Diskussionsprozess der politischen Kräfte in den Strömungen, die verschiedenster Herkunft sind und unterschiedliche, viel- fältige Positionen und Erfahrungen vertreten.
Gotthard Krupp / Werner Uhde, 24.08.2023
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