SPD-Bundesparteitag. „Wir stehen zur Einhaltung der Schuldenbremse.“

„Deutschland besser und gerechter regieren“, Sigmar Gabriel wie Peer Steinbrück haben sich auf dem SPD-Bundesparteitag in Augsburg bemüht, die Delegierten – und die sozialdemokratischen Mitglieder – davon zu überzeugen, dass die SPD für dieses Ziel gegen Merkel steht.

Sie nennen beispielhaft u.a. Berichte von Leiharbeitern über Niedriglöhne und prekäre Arbeitsverhältnisse, oder sie verweisen auf die 8 Millionen Billigjobs. „… dass gute Arbeit auch guten Lohn bekommt. Dafür treten wir an.“

Wem wollen sie sich glaubhaft als Kämpfer für dieses Ziel präsentieren? Die SPD hat unter der Führung von Steinbrück, Gabriel und Steinmeier, – erst in der Großen Koalition und dann aus der Opposition heraus – die verschärfte Agenda-Politik der Regierung Merkel, immer begleitet und unterstützt. Und sie haben jetzt das Bekenntnis zur Agenda 2010 in das Regierungsprogramm eingeschrieben. Wenn sie es ernst meinen mit „sozialer Gerechtigkeit“, müssten sie dann nicht das sofortige Ende der Politik der Agenda 2010 fordern, die verantwortlich ist für die Ausbreitung der Leiharbeit, die Explosion befristeter, tarifvertragsfreier prekärer Niedriglohnsektoren, für die 8 Millionen Billigjobs?

Dagegen reicht es nicht, sich mit Merkel über mehr oder weniger kosmetische Korrekturen an der Agenda-Politik zu streiten und so einen Schaukampf hinzulegen, hinter dem alle ihre grundsätzliche Übereinstimmung erkennen: nämlich nach der Wahl noch konsequenter die Spar- und Prekarisierungspolitik fortzusetzen, wenn es darum geht, die horrenden Kosten der Krise auch auf die Bevölkerung in Deutschland abzuwälzen. Eine Übereinstimmung, die Voraussetzung für die Bildung einer Großen Koalition ist.

Gabriel und Steinbrück weisen auf die teilweise bedrohliche Situation der Kommunen hin. Doch wie wollen sie ihr Engagement für die Kommunen, oder auch für die Aufhebung der „Zwei- und Drei-Klassengesellschaft“ in der „Gesundheit und Pflege“ glaubhaft machen, wenn sie gleichzeitig im Regierungsprogramm festschreiben: „Wir stehen zur Einhaltung der Schuldenbremse.“ Und das, während die arbeitende Bevölkerung und Jugend erlebt, dass gerade auch in den Ländern und Kommunen, in denen die SPD in der Regierung ist, die Kommunen, Schulen, Krankenhäuser, Kitas unter dem Spardiktat schonungslos dem Verfall ausgeliefert werden. Was hindert die SPD, ihre Mehrheit im Bundesrat für eine Initiative zur Aufhebung der Schuldenbremse einzusetzen, wie es SPD-Mitglieder z.B. in Berlin fordern?

Weder die SPD-Mitglieder noch die SPD Wähler werden vergessen, dass es die SPD-Führung war, die Merkel die Mehrheit im Bundestag für die Durchsetzung des Fiskalpakts, d.h. einer Verschärfung der Schuldenbremse, verschafft hat.

Gabriel und Steinbrück beschwören die „Verbundenheit“ mit den Gewerkschaften in dem gemeinsamen Willen, „unser Land wieder sozial gerechter zu gestalten.“

Wie wollen sie das den Beschäftigten glaubhaft machen, die im Tarifkampf mit ihren Forderungen, dass endlich Schluss sein muss mit dem jahrelangen Reallohnverlust, mit dem Gebot der Schuldenbremse und der Wettbewerbsfähigkeit zusammengestoßen sind – und das vor allem in den Ländern, in denen die SPD an den Regierungen beteiligt ist? D.h. mit Landesregierungen, die die volle Übertragung des Tarifergebnisses auf die Beamten verweigern? Die damit das demokratische Grundrecht der Gewerkschaften auf freie Verhandlungen und auf die Verbindlichkeit des Ergebnisses für alle Beschäftigten einfach aushebeln und durch ein staatliches Lohndiktat ersetzen? Kann es Gewerkschafter nicht nur empören, wenn die SPD-geführte Regierung in Berlin den angestellten Lehrern selbst die Verhandlung über die Tarifierung ihrer Eingruppierung verweigert?

Glaubwürdig für Arbeitnehmerforderungen stehen dagegen zweifellos die Sozialdemokraten und Gewerkschaftskollegen in NRW, die in einem Offenen Brief an die Landesregierung gefordert haben: „Respektierung des Rechts auf Tarifforderungen und freie Tarifverhandlungen und der Allgemeinverbindlichkeit des Ergebnisses; kein Lohndiktat unter dem Zwang der Schuldenbremse! Uneingeschränktes Streikrecht für alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst!“

Eine SPD, die es wirklich ernst meint mit der „Verbundenheit“ mit den Gewerkschaften für eine „sozial gerechte“ Politik wird sich auf diese Forderungen verpflichten.

„Wenn um uns herum die Staaten im Chaos versinken, dann erreicht natürlich dieser wirtschaftliche Abschwung auch uns“ – das sagen die Gabriel und Steinbrück, die Merkel bei der Durchsetzung aller sog. Euro-Rettungspakete geholfen haben, d.h. der Flutung von Abermilliarden für die Rettung der Banken und Finanzinvestoren – und der Unterwerfung der Völker unter eine immer brutalere Agenda-Politik der Haushaltskürzungen und Arbeitsmarktreformen.

Dieselben, die beklagen, dass es „nie wieder dieses Erpressungspotenzial (der Banken) geben darf“, setzen gerade in diesen Tagen die SPD-Fraktion unter Druck, in der Bundestagsabstimmung Merkel und der Troika die Mehrheit für die Umsetzung des „Hilfspakets“ für Zypern zu sichern, wofür die Bevölkerung Zyperns einen grausamen Tribut zahlen soll und auf ihre Weise die Steuerzahler der Geber-Länder, also auch die Arbeitnehmer in Deutschland.

Schon bei der Abstimmung zu ESM und dem Fiskalpakt hat diese Unterstützung für Merkel durch die SPD-Führung heftigen Widerstand in der SPD selbst, wie in den Gewerkschaften ausgelöst, der auch jetzt auf dem SPD-Parteitag in einem Offenen Brief an die SPD-Bundestagsabgeordneten und Delegierten selbst zum Ausdruck kam. (s. Seite 4 und 5 in dieser Ausgabe). Eine SPD, die sich auf eine Absage an die „Erpressungspolitik“ der Finanzmärkte verpflichtet, muss den Mut haben mit den europäischen Verträgen zu brechen.

Die Politik, für die Steinbrück, Gabriel und Steinmeier stehen, wird nicht in der Lage sein, die SPD-Wählerbasis zu mobilisieren. Alle letzten Landtagswahlen waren nicht nur dadurch bestimmt, wie Steinbrück betont, dass schwarz-gelb keine eigene Mehrheit bekommen hat. Auch die SPD konnte nirgendwo die Mehrheit der Arbeitnehmer als ihre Stammwählerschaft zurückgewinnen, die dieser Politik schon in allen Wahlen seit 2009 ihre Stimme verweigert haben.

Auf dem Parteitag hat Gabriel eine Mitgliederbefragung in allen Ortsvereinen bis Mitte Juni über die Frage angekündigt: „Was sind (…) die drei, vier, fünf Dinge, die jede SPD-Regierungsbeteiligung in jedem Fall durchsetzen muss?“

Sind es nicht die Notrufe aus den Kommunen – zunehmend von den kommunalen Mandatsträgern der SPD selbst -, aus den Schulen und Krankenhäusern gegen das Kaputtsparen, die die Aufhebung der Schuldenbremse verlangen, als „1 Ding“, das jede SPD-Regierung durchsetzen muss?

Ist nicht die Aufhebung der zerstörerischen Agenda-Politik „1 Ding“, das die Mehrheit der ArbeitnehmerInnen und der SPD-Mitglieder einfordert?

Sind nicht die täglichen Kämpfe und Streiks der Kollegen und ihrer Gewerkschaften, um aus Niedriglohn Prekarisierung auszubrechen Anlass und„1 Ding“ für eine SPD-Regierung, endlich Schluss zu machen mit der Deregulierung des Arbeitsmarktes, der Tarifflucht und Lohndumping unter dem Gebot der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit?

Nur der wirkliche Bruch mit der Agenda-Politik, die von Merkel verschärft fortgesetzt wird, unter der Oberfläche einiger „Korrekturen und „Regulierungen“ unterstützt von der SPD-Führung, wird die Stammwähler der SPD, aber auch die SPD-Mitglieder selbst mobilisieren können.

Die 100 ArbeitnehmerInnen, GewerkschafterInnen, politisch Engagierte und Sozialdemokraten, die sich auf der Arbeitnehmerkonferenz am 26. Januar in Berlin versammelt haben, haben erklärt, sich dafür zu engagieren und in der Bevölkerung und in der SPD dafür einzugreifen: „dass die Kandidaten der SPD, dass alle Kandidaten, die sich auf die Vertretung der Interessen der Arbeitnehmer und der Demokratie berufen, an diesen Forderungen überprüft und darauf verpflichtet werden.“

Carla Boulboullé


Aus: Soziale Politik & Demokratie Nr. 297 vom 18. April 2013

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