Rezession und ihre Auswirkungen auf die Industrie erschüttern die ökonomische Grundlage der Regierung Scholz

Es ist immer gut sich mit der Realität auseinanderzusetzen: Realität ist: Die OECD schätzt, dass das BIP im Jahr 2024 um 3,3% schrumpft.

Der Export ist eingebrochen. Die Stahl-, Chemie-, Elektro-, Automobilindustrie und ihre Zulieferer schrumpfen. Fast 20% der industriellen Wertschöpfung der Republik sind unmittelbar bedroht.

Dahinter steckt ein längerer Prozess: 2008 haben deutsche Unternehmen noch 13,1% des Bruttoinlandsproduktes (BIP) investiert. Seitdem ist das Investitionsniveau der Firmen kontinuierlich unter diesem Wert geblieben, 2020 lag er bei 12,3%. Zum Vergleich: 1990 lagen die Investitionen in Deutschland laut KfW noch bei 15,8% des BIP.

Ein Beispiel: Krise bei VW

Mit VW wird der mit seinen 120.000 Beschäftigten in Deutschland größte deutsche Automobilkonzern und mit Toyota der führende der Welt, von einer dramatischen Krise erschüttert. Diese Krise konzentriert den Absturz der deutschen Industrie in die Rezession.

Der weltweite Schrumpfungsprozess der Produktion, besonders der Industrieproduktion, geht nicht an Deutschland vorbei. Die Produktion in der deutschen Industrie ging im Juli um 2,4%, verglichen mit dem Vormonat, zurück (Statistisches Bundesamt). Diese aktuelle Rezession trifft besonders mit der Autoindustrie eine zentrale Säule der Industrie.

Wirtschaftsminister Habeck versuchte lange Zeit, seit 2021, diese Rezession als Stagnation zu verharmlosen. Scholz seinerseits wollte mit permanenten Versprechungen eines Aufschwung-Wunders durch die Mobilwende, die Transformation im Automobilsektor hin zum E-Auto, über die Realität hinwegfaseln. Auf dem Chemie-Pharma-Gipfel Mitte September preist er den jährlichen „Wohlstandsgewinn von 1000 Euro pro Kopf“ an (nach Weltbank ist der Wohlstand pro Kopf in Wirklichkeit zurückgegangen), ohne ein Wort über den Wirtschaftseinbruch zu verlieren.

Deindustrialisierung

Der Prozess der Entlassungen und Schließungen in der Autoindustrie hat längst begonnen. Die drei großen Konzerne, VW, Daimler und BMW, drosseln die Produktion, bei VW z.B. um 25%. Entlassungen, Arbeitsplatzvernichtungen sind geplant und auch schon realisiert. In der deutschen Autoindustrie sind 130.000 Arbeitsplätze in Gefahr. Z.B. streicht der Automobilzulieferer ZF bis zu 14.000 Stellen in Deutschland. Selbst Vertreter des Industriekapitals, wie der BDI-Präsident Siegfried Russwurm, sprechen vom Prozess der Deindustrialisierung: „Das Risiko einer Deindustrialisierung durch die stille Abwanderung und Aufgabe gerade vieler Mittelständler nimmt kontinuierlich zu und ist teils schon eingetreten.“

Und die Gewerkschaftsführung?

Bereitschaft zu einem fairen Kompromiss muss es geben. Aber niemals dürfen bisher erkämpfte Errungenschaften in Frage gestellt werden.

Zuvorderst steht bei den VW-Kollegen darum die Forderung nach Rücknahme der Aufkündigung der Tarifverträge für Beschäftigungssicherung (die allerdings die Arbeiter mit 10% Lohnverzicht bezahlt haben). Eine neue Arbeitsplatzgarantie (und nicht bezahlt durch Lohnverzicht) muss her.

Erstmals steigt die Zahl der Arbeitslosen. Für Arbeitslose ist es schwieriger geworden, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Und vor allem einen qualitativ gleichwertigen Arbeitsplatz, einen in der Qualifikation und den bisherigen Arbeitsbedingungen wie Arbeitszeit entsprechenden Arbeitsplatz. So vergrößern sie die Zahl der Billiglöhner.

Für ganze Schichten der Industriearbeiterschaft beginnt der Absturz in die verharmlosend Bürgergeld genannte Grundsicherung, die noch schlechter ist als das berüchtigte Hartz IV. Das bedeutet für Zehntausende den Verlust ihrer bisherigen anspruchsvolleren Wohnung und ihrer ganzen Lebensqualität. Was besonders durch steigende Preise für Heizung, Strom, Benzin und vor allem für Grundlebensmittel zum Absturz in die soziale Not führt.

Die Führung der IG Metall ruft scheinradikal zur Verteidigung von Arbeitsplätzen auch durch Streik auf. Aber sie vermeidet es, von der Verteidigung aller Arbeitsplätze zu sprechen. Sie präsentiert ihren Vorschlag für eine konsequente 4-Tage-Woche etc. Diese unterbreitet sie dem Aufsichtsrat, in dem sie paritätische Mitbestimmung hat. Die Kollegen haben schon zu oft die Erfahrung gemacht, dass solche Vorschläge nicht zur Verbesserung, sondern zur Verschlechterung führen.

Andererseits ruft die Gewerkschaftsführung zu sogenannten Solidaritätsstreiks auf. D.h. sie will den Kampf der Beschäftigten auf hohe Abfindungen reduzieren.

Sie will die Arbeitsplatz-Vernichtungspläne der Unternehmensleitung nur „sozialverträglich“ gestalten, die bittere Pille versüßen, um sie gegenüber den Kollegen durchsetzen zu können.

Während die Arbeiter die Kosten von Krise und Rezession durch Reallohnsenkung, Zerstörung ihrer Tarifverträge und schließlich durch Entlassung und Arbeitsplatzverlust bezahlen sollen, macht – nicht nur – z.B. der VW-Konzern hohe Gewinne: 2023 mehr als 22 Milliarden Euro. 4,5 Milliarden fließen zu den sogenannten Finanzinvestoren/Spekulanten, den größten Aktienanteilseignern.

Werner Uhde, 17. September 2024

Veröffentlicht in Soziale Politik & Demokratie Nr. 515 vom 20. September 2024

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