Am 23. Mai 1863, vor 150 Jahren wurde der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein gegründet, die unabhängige politische Organisation zur Vertretung der Interessen der Arbeiter, eine der Keimformen für Aufbau und Gründung der SPD, der historischen Partei der deutschen Arbeiterklasse. Die SPD wurde Gründungsmitglied der II. Arbeiterinternationale, der „Sozialistischen Internationale“.
Muss man sich noch wundern, dass auf dem „Festakt zum 150-jährigen Jubiläum der Entstehung der deutschen Sozialdemokratie“, der von der SPD-Führung in Leipzig in Anwesenheit von deutschen Gewerkschaftsverantwortlichen und des „Sozialisten“ Hollande ausgerichtet wurde, keine Rede war von einer politischen Vertretung der Arbeiterklasse noch von einer Arbeiterinternationale.
Deshalb hat es mehr als nur symbolische Bedeutung, wenn die heutige Führung der SPD, Gabriel, Steinmeier und Steinbrück, dieses „Jubiläumsdatum“ zum Anlass nimmt, um ihre Distanzierung gegenüber der „Sozialistischen Internationale“ und deren Tod zu erklären und an ihrer Stelle die Neugründung eines Vereins der „Progressiven Allianz“ zu betreiben. Kann man sich eine erbärmlichere Operation vorstellen für den totalen Bruch mit den Prinzipien der unabhängigen Arbeiterbewegung, für eine offene Allianz mit bürgerlichen Parteien, wie der Demokratischen Partei der USA (!), und um jede Berufung der SPD auf den Arbeitercharakter und den Arbeiterinternationalismus abzustreifen? (*)
Die deutsche Arbeiterschaft hat nach den Zerstörungen des 2. Weltkriegs mit ihrer traditionellen politischen Interessensvertretung, der SPD, und mit den Gewerkschaften des DGB hohe Errungenschaften erkämpft.
Es war dann der SPD-Kanzler Schröder, der – den Vorgaben der EU im Interesse der Förderung der internationalen Finanzspekulation und der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Imperialismus, der Rendite und des Profits der Banken und Konzerne folgend – ab 1999 mit seinen „Anti“-Reformen und schließlich ab 2003 mit der Agenda 2010 nicht nur die von der Arbeiterschaft mit der SPD und den Gewerkschaften erkämpften sozialstaatlichen Errungenschaften und die Arbeitnehmer-und Gewerkschaftsrechte demontiert hat, sondern damit die SPD in einen selbstzerstörerischen Prozess getrieben hat.
2013, das Jahr des 150. Jubiläums eines Entstehungsaktes der deutschen Sozialdemokratie, ist auch das Jahr des historischen Tiefstands an SPD-Mitgliedern. Seit 1990 hat sie etwa die Hälfte ihrer Mitglieder – vor allem Arbeiter – verloren. Seit der ersten Regierung Schröder hat die SPD 9 Millionen ihrer Stammwähler – mehrheitlich Arbeiterwähler – verloren.
Die Arbeiterschaft hat der von Schröder eingeleiteten Agenda-Politik, die von der Großen Koalition und schließlich mit Unterstützung und Begleitung der SPD-Führung von der Regierung Merkel unter dem Druck der europäischen Verträge noch verschärft fortgesetzt wird, eine immer massivere Absage erteilt.
Arbeitende Bevölkerung und Jugend wollen, dass endlich Schluss ist mit dieser Politik der allgemeinen Demontage der sozialen Sicherungssysteme und der Öffentlichen Daseinsvorsorge, mit der Zersetzung der Flächentarifverträge, der Deregulierung des Arbeitsmarktes und der dramatischen Ausweitung des Lohndumpings; sie wollen, dass Schluss ist mit der Arbeitsplatzvernichtung unter dem Fallbeil der Wettbewerbsfähigkeit des Profits; dass Schluss ist mit der Agenda-Politik, die heute im Namen der Schuldenbremse und der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit, diktiert durch die europäischen Verträge, noch schlimmer gegen sie gerichtet wird. Sie wollen den Sturz der Regierung Merkel.
Die arbeitende Bevölkerung und Jugend kann sich mit diesem Willen nicht in einer Politik der SPD-Führung wieder finden, die Versprechungen auf „Korrekturen“ an der Agenda-Politik macht, aber gleichzeitig die Regierung Merkel und ihre Politik des Abbaus der Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte unterstützt und begleitet.
Die in den Ländern und Kommunen, in denen sie in der Regierung ist, direkt Lohnverzicht und Lohndumping diktiert und die Gewerkschaftsrechte unterdrückt – womit die Arbeitnehmer in den laufenden Tarifkämpfen
ihre Erfahrung machen.
Sie können sich nicht in einer SPD wieder finden, der von der Führungstroika Steinbrück als Spitzenkandidat aufgepfropft wurde. Ein Steinbrück, der auf die Fortsetzung der Agenda-Politik schwört, – wenn auch unter dem Deckmantel der „Korrektur einiger Fehlentwicklungen“. Und für den die Umsetzung der Schuldenbremse, verschärft durch den Fiskalpakt, und die Maßnahmen für die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Imperialismus „oberste Priorität“ haben.
Die Anwesenheit Merkels auf dem Festakt in Leipzig, eingeladen von der SPD-Führung, der sie „von Herzen“ gratuliert, demonstriert, dass Merkels Union und die SPD-Führung mit ihrer Wahlkampfführung den Weg zu einer Großen Koalition vorbereiten. Und zwar auf der Grundlage der Entschlossenheit beider Seiten, in Verpflichtung auf die europäischen Verträge die Kontinuität der Agenda-Politik, sowie ihre Verschärfung zu garantieren, um im Namen der Euro-Rettung und im Interesse der Finanzmärkte die Kosten der ausweglosen Krise auf die Bevölkerung abzuwälzen.
Diese SPD-Führungstroika, und sie ganz allein, hat die volle Verantwortung dafür, dass sich unter diesen Bedingungen Merkel Hoffnung machen kann, mit ihrer Union nach der Wahl erneut die Regierungsführung übernehmen zu können.
Teile der SPD-Basis sehen für sich keinen anderen Ausweg als den des passiven Boykotts der offiziellen Wahlkampfkampagne der Parteiführung und ihres Spitzenkandidaten. Denn darin können sie keine politische Perspektive für die Mobilisierung der Arbeiterschaft und Jugend sehen, der Millionen, die in allen letzten Wahlen der SPD ihre Stimme verweigert haben.
Zugleich werden immer mehr Stimmen von Arbeitnehmern und Gewerkschaftern laut, die in Kämpfen und Streiks stehen: gegen Prekarisierung und Lohndumping, gegen die Verweigerung des Rechts auf freie Tarifverhandlungen und Verbindlichkeit der Tarifverträge, gegen Ausgründungen, Tarifflucht und Personalabbau in den Kommunen, gegen die Unterfinanzierung der sozialen Infrastruktur, der Krankenhäuser …, gegen eine soziale Zerstörung, die im Namen der Schuldenbremse und Wettbewerbsfähigkeit diktiert wird.
Sie verlangen Antworten von der SPD und ihren Kandidaten und fordern von diesen eine Perspektive für die Erfüllung ihrer Forderungen.
Gewerkschaftliche und politische Kämpfer und Sozialdemokraten, die sich um die „Soziale Politik & Demokratie“ versammeln, stellen sich der Verantwortung, in die Kämpfe, in Bereichen und Stadtvierteln sowie in der SPD einzugreifen, auf der Grundlage des unbeugsamen Willens der großen Mehrheit der Arbeitnehmer und Jugend, dass Schluss gemacht werden muss:
- Schluss mit dem Spardiktat, für die Aufhebung der Schuldenbremse;
- Schluss mit Lohnverzicht, Tarifflucht, Prekarisierung, mit der Arbeitsplatzvernichtung unter dem Gebot der Wettbewerbsfähigkeit!
- Schluss mit den europäischen Verträgen, auf die sich die Regierungen für die noch schärfere Umsetzung dieser Politik stützen!
Sie wenden sich an die Arbeitnehmer, Gewerkschafter, politisch Engagierte und Sozialdemokraten, sich mit ihnen zu versammeln und diesen Kampf dafür zu verstärken, dass sich die Kandidaten, die Mandatsträger und Verantwortlichen der SPD, die sich auf die Arbeitnehmerinteressen und Demokratie berufen, vor der arbeitenden Bevölkerung und Jugend auf diese Forderungen verpflichten.
Carla Boulboullé
Anmerkung:
(*) Das Allianz-Angebot an die Demokratische Partei der USA, die politische Interessensvertretung des US-Finanzkapitals, ist nichts anderes als der öffentliche Unterwerfungsakt der SPD und der anderen sozialistischen/sozialdemokratischen Parteien vor allem Europas unter die Politik des US-Imperialismus, der über die EU-Institutionen und besonders die EZB den sozialen Krieg gegen die Arbeiter und Völker Europas vorantreibt.
Aus: Soziale Politik & Demokratie Nr. 300 vom 30. Mai 2013
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