Die IG Metall war im Tarifkampf für die Forderung nach einer wirklichen Reallohnerhöhung von mindestens bis 3,5% bei einer Laufzeit von 12 Monaten angetreten.
Der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Rainer Dulger, setzte seinerseits für das Tarifergebnis in der Metallindustrie eine klare Vorgabe: „Ich finde, es spricht viel für eine Laufzeit von mehr als 20 Monaten, also bis ins Frühjahr 2015“. Das erlaubt eine Lohnerhöhung vorzutäuschen, die aber in Wirklichkeit durch die lange Laufzeit nicht unerheblich geschrumpft wird. Darüber hinaus betonte Dulger, dass eine längere Laufzeit mehr Spielraum für Flexibilisierungsklauseln im Tarifvertrag bedeutet.
Und das Ergebnis?
Es entspricht punktgenau den Vorgaben Dulgers: ab Juli 2013, d.h. nach zwei Nullmonaten werden die Löhne um 3,4% angehoben, und im Mai 2014 auf ein weiteres Plus von 2,2%, bei einer Laufzeit von 20 Monaten, die gegen den hartnäckigen Widerstand der Kollegen, vor allem aus Baden-Württemberg, durchgesetzt werden mussten. D.h. auf ´s Jahr berechnet ergibt sich eine Lohnerhöhung von 2,9%: das ist ein tatsächlicher Verzicht auf Reallohnerhöhung für das wichtige Jahr Mai 2013 bis Mai 2014.
Auf die von den Arbeitgebern geforderte Ausweitung der Differenzierungen hatte der IG Metall-Vorsitzende Huber schon im Vorgriff auf das Pforzheimer Abkommen verwiesen, das den Arbeitgebern vielfältige Abweichungsmöglichkeiten vom Flächentarif einräume, die auch genützt würden.
Dulger, wie Arbeitgeberpräsident Hundt, verlangten als Ergebnis einen Reallohnverzicht als unverzichtbar, da sonst ein weiterer Arbeitsplatzabbau unausweichlich sei. Es ist dieselbe Sorge um die Wettbewerbsfähigkeit der Konzernprofite, die durch eine wirkliche Reallohnsteigerung in Frage gestellt würde, die auch den IG Metall-Vorsitzenden Huber umtreibt. Durch den Abbruch der kurzen Welle massiver Warnstreiks und den schnellen Abschluss hat er dafür gesorgt, dass mit dem Reallohnverzicht die Forderungen der Beschäftigten dem Diktat der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit, vor allem des deutschen Exportkapitals, geopfert werden.
So war es Huber, der vor Kurzem eindringlich davor gewarnt hat, durch zu hohe Lohnforderungen China Wettbewerbsvorteile einzuräumen („Ich habe nicht vor, Tarifpolitik für die chinesische Ökonomie zu machen“).
Einig waren sich Huber und die Arbeitgeber denn auch in der Einschätzung des Tarifergebnisses, das von Huber als „fair und angemessen“ und für „vertretbar“… für die Unternehmerseite gelobt wurde.
Im Namen der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und der Schuldenbremse, von der EU vorgegeben, der Regierung Merkel vorangetrieben, den Unternehmern und öffentlichen Arbeitgebern umgesetzt, wird eine Welle von Angriffen auf die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften losgetreten.
Unter diesem doppelten Diktat sollen grundlegende Gewerkschafts- und Arbeitnehmerrechte zu Fall gebracht werden: das Recht auf Tarifforderungen und freie Tarifverhandlungen, die unabhängige kollektive Interessensvertretung der Arbeitnehmer, gestützt auf das Streikrecht und die Verbindlichkeit der Tarifergebnisse für alle Beschäftigten einer Branche.
So erleben die drei Millionen Beschäftigten im Einzelhandel einen Frontalangriff auf alle erkämpften Errungenschaften. Dazu erklärte der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske in einem Interview mit dem Handelsblatt, dass es „historisch einmalig“ sei, dass die Arbeitgeber im Einzelhandel alle Tarifverträge in allen Bundesländern (bis auf Hamburg) gekündigt haben.
Karstadt mit rund 22.000 Beschäftigten hat jetzt die Tarifbindung gekündigt, um durch diese „Tarifpause“ bis 2015 auf Lohnerhöhungen zu verzichten. Und bis 2014 will Karstadt 2.000 Stellen abbauen, 1850 sind schon weggefallen.
Die Globus-Gruppe mit ihren 32.000 Beschäftigten ist aus dem Flächentarifvertrag geflohen und hat alle Tarifverträge mit dem Ziel gekündigt, eigene Niedrigtarife zu etablieren.
Der Arbeitgeberverband der 1.100 Volks- und Raifeisenbanken mit 160.000 Arbeitnehmern hat Ende Februar den Manteltarifvertrag gekündigt, um in neuen Arbeitsverträgen Klauseln zur Aushebelung bisheriger Rechte für mehr Flexibilität einzubringen.
Die Lufthansa hat von ver.di in einem zunächst geheim gehaltenen Vertrag für die rund 5.000 Beschäftigten der Catering Sparte (LSG) eine Lohnkürzung von drei Prozent erpresst, sowie eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit von 37,5 auf 39 Stunden und die Kürzung des jährlichen Urlaubsanspruchs um drei Tage – und zwar „um das Unternehmen wieder wettbewerbsfähig zu machen“.
Im März hat die EVG mit der Deutschen Bahn AG einen Tarifvertrag mit einer Laufzeit von 19 Monaten vereinbart. Bei den Unternehmensteilen des internen Dienstleisters hat die EVG gleichzeitig einer Laufzeit über 24 Monate zugestimmt, d.h. Ja gesagt zu einer Ausweitung der Niedriglohn-Spartentarife.
Unter dem Diktat der Schuldenbremse wird den angestellten Lehrern weiterhin von den SPD-geführten Landesregierungen in Berlin und NRW die Tarifverhandlung über die Tarifierung ihrer Eingruppierung verweigert.
Gegen die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften richtet sich ein Generalangriff: in Form der Tarifflucht jeder Art, der Zersetzung und Aufsplitterung der Flächentarifverträge, der Aufhebung ihrer Verbindlichkeit für alle Beschäftigten einer Branche.
Frank Bsirske warnt: „Sowohl die Spaltung am Arbeitsmarkt als auch die Spaltung der Gesellschaft haben sich seit der Jahrtausendwende deutlich verschärft“ und fordert „eine neue Ordnung am Arbeitsmarkt“ und die Eindämmung der prekären Arbeitsverhältnisse (Berliner Zeitung, 13.5.2013).
Wie kann man gegen diese Entwicklung der sozialen Zerstörung und des dramatischen Abbaus der Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte kämpfen, die mit der Agenda-Politik unter der Regierung Schröder gefördert und unter den Regierungen von Merkel unter dem Druck der Europäischen Verträge noch schlimmer fortgesetzt wird? Eine Politik, die von der SPD-Führung unterstützt und kritisch begleitet wird und in Ländern und Kommunen umgesetzt wird.
Wie kann man für den wirklichen politischen Kurswechsel kämpfen, wenn sich die Gewerkschaftsführungen den sog. Zwängen der Wettbewerbsfähigkeit und Schuldenbremse, von Sparpolitik, Deregulierung und Lohnkostensenkung unterwerfen; wenn sie nicht bereit sind, durch eine kämpferische gewerkschaftliche Mobilisierung aller KollegInnen dieses doppelte Diktat zu durchbrechen?
Der einzige Weg, dieses Diktat zurückzuweisen ist die Verwirklichung der Einheit der Arbeitnehmer und ihrer Organisationen im Kampf für den wirklichen Kurswechsel, der Schluss macht mit der Schuldenbremse und der Deregulierungspolitik und Prekarisierung, und der dafür mit den Europäischen Verträgen bricht.
Das rückt die Verteidigung der Unabhängigkeit unserer Organisationen ins Zentrum.
Die 100 Delegierten der bundesweiten Arbeitnehmerkonferenz am 26.Januar in Berlin haben Arbeitnehmer, Gewerkschafter, politisch Engagierte und Sozialdemokraten eingeladen, für diesen Kampf die Initiativen für unabhängige Arbeitnehmerpolitik zu stärken, die sich um die Zeitung „Soziale Politik & Demokratie“ als Tribüne ihres Meinungs- und Erfahrungsaustausches sammeln.
Carla Boulboullé
Aus: Soziale Politik & Demokratie Nr. 299 vom 16. Mai 2013
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