Das Ergebnis der bayrischen Landtagswahlen fördert zweifellos die Bedingungen für die Bildung einer Großen Koalition in Berlin. CSU und SPD konnten sich nach ihren katastrophalen Ergebnissen der letzten Landtagswahl 2008 erholen. Teils profitieren sie von der gestiegenen Wahlbeteiligung, die CSU aber vor allem auf Kosten der FDP, die im parlamentarischen Aus landet.
Die Stärkung der CSU und Seehofers schafft zugleich neue Probleme für jede kommende von Merkel geführte Regierung, besonders für eine Große Koalition. Mit verstärkten Bedenken und auch Druck gegen die Merkel`sche Euro-Rettungspolitik ist zu rechnen. Zu groß ist die Furcht vor den explosiven Risiken der endlosen Steigerung der Haftungsmilliarden der BRD für die Bedienung der Forderungen der Banken und Spekulationsfonds. Und noch dazu hat die Regierung die Entscheidung darüber aus den Händen gegeben und den supranationalen Institutionen der EU, im Wesentlichen der EZB, übertragen.
Merkel und die SPD-Führung intensivieren ihre Vorbereitung auf eine Große Koalition. Steinbrück macht schon mal seinen Anspruch geltend, Verhandlungsführer in Koalitionsverhandlungen mit der Union zu sein.
Merkel, die nicht auf „bayrische Verhältnisse“ im Bund setzen kann und in Umfragen zurückfällt, stemmt sich mit aller Kraft gegen die Zweitstimmen-Kampagne der FDP. Zugleich gibt sie der Neuauflage eines „Bündnisses für Arbeit“ mit Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften zu Fragen wie „Ausbildungsoffensive“ und Mindestlöhnen und Leiharbeit Priorität für die erste Regierungszeit „gleich nach der Wahl“.
Das kommt einer Einladung an den ehemaligen IG BAU-Vorsitzenden Wiesehügel gleich, als SPD-Minister der Großen Koalition seinen Platz in dem Bündnis einzunehmen.
Die genauen Ergebnisse und die daraus folgenden Bedingungen für die Regierungsbildung kann niemand voraussehen.
Doch ohne Zweifel wird jede Regierung, die die Euro-Rettungs- und Agenda-Politik, die Politik der Sparmaßnahmen, des Lohndumpings und der Prekarisierung der Arbeitsmärkte fortsetzen will, damit zu kämpfen haben, dass sie mit der tiefen Ablehnung der großen gesellschaftlichen Mehrheiten konfrontiert ist; einer Ablehnung, die sich seit Jahren in allen Wahlen nur gefestigt hat und sich zuletzt in zunehmenden Kämpfen der Arbeiterschaft und Jugend zeigte.
Für diese gemeinsame Politik hat sich die politische Koalition von Merkel und SPD-Führung seit Jahren verschlissen. Das demonstriert auch ihr Wahlkampf, der von Missachtung großer Bevölkerungsteile und vorwiegend von ArbeitnehmerInnen und Jugend gestraft wird; darin, dass sich bis zuletzt bis zu 40 % nicht zur Wahl entscheiden können, weil es nicht wirklich etwas zu wählen gibt. Alle misstrauen den „sozialen Versprechungen“ für einen Politwechsel, während beide, Merkel und die SPD-Führung unermüdlich ihre Verantwortung und Verpflichtung auf die Fortsetzung der Euro-Rettungs- und Agenda-Politik versichern und entsprechende Signale an die Finanzmärkte und EU-Institutionen aussenden.
Eine Große Koalition von SPD und Union unter der Kanzlerschaft von Merkel, die sich als Regierung der „Nationalen Verantwortung für die Rettung des Euro und der EU“ rechtfertigt und dafür antritt, trägt von Anfang an das Merkmal dieser Ablehnung und dieses politischen Verschleißes. Sie leidet unter unzureichender demokratischer Legitimation. Ist eine politisch geschwächte Regierung.
Unübersehbar ist die Verunsicherung, die inzwischen sowohl Merkel und die Union wie alle wirtschaftlichen und politischen Führungskreise erfasst hat, nicht nur in Deutschland sondern in Europa und darüber hinaus. Die Erwartungen der Obama, der EU/EZB/IWF-Troika und Finanzmärkte in eine von Merkel geführte Regierung als Stabilitätsanker gegen die Verfallskrise der EU und Eurozone sind schwer erschüttert.
Und das in einer Situation, in der sie den Druck auf die neue Regierung noch erhöhen müssen, mit der Aufbringung neuer Rettungsmilliarden für die Banken voranzugehen und das politische Zerstörungswerk der Agenda und ihrer Strukturreformen zur Auspressung der Arbeitnehmer und Völker mit neuer Wucht fortzusetzen.
Auf den drei Arbeitnehmerkonferenzen am 15.9. standen folgende Fragen im Zentrum:
Wie können wir helfen,
dass die entschiedene Ablehnung einer erneuten Großen Koalition in der SPD wie in der Arbeiterschaft sich eine politische Stimme erobern und als eine politische Kraft organisieren kann?
Wie können wir helfen,
die politischen Hindernisse zu beseitigen, um die gewerkschaftlich organisierte Kampfkraft der Arbeitnehmer zu entfalten, gegen die Lohnsenkung und Tarifflucht aller Art; gegen Entlassungen und Stellenstreichungen; gegen die Kaputtspardiktate gegen Krankenhäuser, Schulen und Universitäten, gegen Kommunen und die öffentliche Daseinsvorsorge?
Wie können wir helfen,
dass alle diese Kämpfe über kurz oder lang ihre Konzentration und ihre Zusammenfassung erfahren im Kampf für den Bruch der SPD mit der großen Koalitionspolitik und der eventuellen Großen Koalition, was die Befreiung von der für diese Politik verantwortlichen Parteiführung auf die Tagesordnung setzt?
Am ersten Tag nach der Wahl wollen wir eine Kampagne beginnen, durch die sich der mehrheitliche Wille der Arbeiterschaft und Jugend und der Mehrheit der SPD-Mitglieder und auch der Arbeitnehmerwähler, die Steinbrück ihre Stimme verweigert haben, gegen die Vorbereitung der SPD-Führung auf den Eintritt in die Große Koalition artikulieren kann.
Trotz allen Drucks von oben haben die SozialdemokratInnen unter uns sich gegen das Manöver der Parteiführung aufgelehnt, auf einem Konvent sofort nach den Wahlen die Weichen für eine Große Koalition zu stellen. Sie werden jetzt Initiativen ergreifen, um über die offene Entfaltung der Diskussion in den Parteigliederungen der bisher disziplinierten und stumm gemachten breiten SPD-Mitgliedschaft eine unüberhörbare Stimme zu geben.
Alle Teilnehmer auf den Konferenzen stehen im Kampf gegen die Schuldenbremse/Kaputtsparpolitik und gegen die Prekarisierung im Namen der Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit.
Für sie ist klar, dass ihr Kampf gegen die Umsetzung dieser zerstörerischen Agenda-Politik in den Ländern und Kommunen eingehen muss in die Organisierung einer Kampagne gegen die Fortsetzung dieser Politik durch eine eventuelle
Große Koalition.
Wie es ein Kollege sagte: „Wir werden es nicht hinnehmen, dass nach den Wahlen eine Große Koalition oder auch eine Regierung anderer Couleur – dem Gebot der europäischen Verträge entsprechend – den Kommunen und Ländern eine noch verschärfte Sparpolitik aufzwingen will.“
Eine Delegation aus diesen Kämpfen zum SPD-Landesparteitag, der sowohl über die Position der Berliner SPD zu einem Eintritt in die Große Koalition beschließen wird, wie über die Fortsetzung des Sparhaushaltes, könnte z.B. diese Position zum Ausdruck bringen.
KollegInnen wollen in den Gewerkschaftsorganen für Positionen eintreten, die entschieden den Eintritt der SPD in die Große Koalition bekämpfen. Denn keine der Versprechungen auf einen politischen Wechsel werden unter einer Regierung, deren Bestimmung die noch schlimmere Fortsetzung der bisherigen Agenda-Politik ist, Bestand haben.
Carla Boulboullé
Aus: Soziale Politik & Demokratie Nr. 306 vom 19. September 2013
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