Welcher „Politikwechsel“?

„Die SPD ist mit einem klaren Programm für einen Politikwechsel in Deutschland in den Wahlkampf gegangen… Das Wahlergebnis zeigt: das Vertrauen der Menschen in die Sozialdemokratie ist leicht gestiegen. Aber das Wahlergebnis zeigt auch: Neues Vertrauen wächst nur langsam. Wir werden den Erneuerungsprozess daher fortsetzen.“ Wenn das auch die Bilanz der SPD-Führung und der Delegierten des Konvents ist, so kann diese Bilanz doch auf keinen Fall von den Arbeitnehmern, der Mehrheit der SPD-Wählerbasis und der Mitglieder geteilt werden, die mit der von der SPD-Führung tolerierten und in Ländern und Kommunen umgesetzten Politik der Schuldenbremse, der Deregulierung und Prekarisierung der Regierung Merkel zusammengeprallt sind.

Und sie kann auch nicht geteilt werden von jenen, die die Politik der Euro-/Bankenrettung ablehnen, die immer neue Milliardenflutung an die Banken und Spekulanten, wofür die Arbeitnehmer und Völker Europas und in Deutschland mit härteren Sparmaßnahmen und Privatisierungen, mit Sozial-, Arbeitsplatz- und Lohnabbau und mit der Zersetzung ihrer Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte bezahlen müssen.

Deshalb kann es nur Empörung bei den Mitglieder, SPD-Wählern und in der arbeitenden Bevölkerung provozieren, dass die SPD-Führung mit diesem Konvent-Beschluss schamlos die Weichen für die Kontinuität der Führung und für ihre
Politik stellen will. Wie schon mit der der Partei aufoktroyierten Wiederwahl Steinmeiers zum Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion zwei Tage nach dem für die SPD verheerenden Wahlergebnis, für das er mit seiner politischen Koalition in den letzten vier Jahren, und vorher schon in der Großen Koalitionsregierung wesentlich die Verantwortung trägt.

In der SPD an der Basis brodelt es. Auf dem Treffen der SPD-Linken, Forum DL21, einen Tag nach dem Konvent, wurde das in den Beiträgen hörbar.

200 Delegierte der mittleren Funktionärsschicht, die die gesamte Politik der SPD-Führung seit 2009, die Unterstützung der Euro-Rettung wie die Tolerierung und Umsetzung der Agenda-Politik, mitgetragen haben, maßen sich auf dem
Konvent an für die Partei zu sprechen. Während der breiten Mitgliederbasis und ihrer Ablehnung, und auch den Arbeitnehmerwählern, die gegen Steinbrück und seine Politik die SPD gewählt haben, keine Stimme gegeben werden soll; sie
soll und muss erstickt werden.

Das Manöver der Parteiführung, die den Konvent mit dem Anspruch anpreist: „ein Höchstmaß an Transparenz und innerparteilicher Demokratie“ (!) zu gewährleisten, ist klar: sie will Dampf ablassen und Fakten schaffen, um einer wirklichen Bilanz und Entscheidung durch die Mitglieder zuvorzukommen. Im Namen des „Politikwechsels“ soll die Partei auf den Eintritt in die Große Koalition unter Merkel eingeschworen werden.

Dabei kann sich die SPD-Führung voll und ganz auf die DGB-Führung stützen, die schon im Wahlkampf die Propagandatrommel für einen „Politikwechsel – hin zu einer sozial gerechten Politik“ in einer Großen Koalition unter Merkel geschlagen hat.

Doch selbst bei bestimmten Führungskräften der Landesverbände der SPD kommt die tiefe Skepsis gegenüber diesem Kurs zu Ausdruck. Die Forderung nach grundsätzlicher Ablehnung der großen Koalition wird von einigen ins Spiel gebracht, da sie kurz vor den Wahlen im nächsten Jahr die Einschwärzung der politischen Landkarte auf Ebene der Länder und Kommunen fürchten.

Es stellt sich die Frage, welcher „Politikwechsel“ denn gemeint ist?

Eine zentrale Forderung der SPD im Wahlkampf, die jetzt auch in die Große Koalition eingebracht werden soll, ist die nach einem Mindestlohn von 8.50 €.

Auf der Arbeitnehmerkonferenz am 15. September in Berlin haben mehrere Kolleginnen und Kollegen ihre sehr konkreten Erfahrungen dargestellt: „Erst werden wir aus dem Flächentarifvertrag rausgeschmissen und dann mit Mindest- und Niedrigtariflöhnen abgespeist, von denen wir nicht leben können“. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat in einer jüngsten Studie festgestellt, dass die Einführung des Mindestlohns „die Zahl der Minijobs steigen lassen“ wird. Der Mindestlohn wird weder die „aktuelle Armut noch die Einkommensungleichheit“ reduzieren. Tatsächlich ist er eine Einladung an die Arbeitgeber, die Tarifverträge weiter erodieren zu lassen; d.h. die Flucht, Abweichungen und Ausgliederungen aus dem Flächentarifvertrag noch weiter zu fördern.

Der ehemalige Gewerkschaftsvorsitzende der IG BAU, Klaus Wiesehügel, nennt als eine seiner „Mindestforderungen an die Große Koalition, in die er als Arbeits- und Sozialminister einziehen will, dass „der Rentenbeitrag nicht weiter
abgesenkt werden darf“. Doch was ist mit den drastischen Rentenkürzungen, die heute schon hundert Tausende Rentner mit Altersarmut bedrohen? Weder fordert er ihre Rücknahme noch die Aufhebung der Rente mit 67.

Alle Korrekturversprechen stehen unter dem Vorbehalt der Schuldenbremse und der Euro-Rettung.

„Politikwechsel“?

Einen wirklichen Kurswechsel kann es nur geben, wenn Schluss gemacht wird mit der Milliardenflutung der Banken! Wenn die Milliarden für Investitionen zur Rettung der Krankenhäuser, Schulen und Universitäten, der öffentlichen und sozialen Infrastruktur und Daseinsvorsorge in Ländern und Kommunen eingesetzt werden.

Wenn die Schuldenbremse aufgehoben wird, um der Kaputtsparpolitik ein Ende zu setzen!

Wenn die Politik der Deregulierung und Prekarisierung gestoppt wird – zu Gunsten der Verteidigung und Wiederherstellung der allgemeinverbindlichen Flächentarifverträge für alle Beschäftigten. Und wenn man sich von den EU-Verträgen
und der Troika befreit, die diese Euro-Rettungspolitik diktieren.

Dagegen ist der Weg in eine erneute Große Koalition unter Merkel für die schlimmere Fortsetzung der zerstörerischen Euro-/Bankenrettungs- und Agenda-Politik für Deutschland und Europa eine tödliche Gefahr für die historische Arbeiterpartei SPD im 150sten Jahr ihrer Gründung. Eine Gefahr für die Gewerkschaften, die zur „kritischen“ Mitausarbeitung dieser Politik aufgefordert werden. Die InitiatorInnen der Erklärung „Nein zur Großen Koalition – zur Fortsetzung
der Euro-/Banken-Rettungs- und Agenda Politik durch eine Große Koalition“ laden die Kolleginnen und Kollegen ein, in ihren  Gewerkschaften für das Nein zur Großen Koalition einzutreten.

Diese Große Koalition wird soziale und politische Konflikte provozieren und der SPD einem Zerreißprozess aussetzen.

GewerkschaftskollegInnen und SozialdemokratInnen aus Berlin haben die Initiative für die „Erklärung“ und eine bundesweite Unterschriftensammlung ergriffen, um zu helfen, dass sich die entschiedene Ablehnung einer erneuten Großen Koalition in der SPD wie in der Arbeiterschaft eine politische Stimme erobern und als eine politische Kraft organisieren kann – im Kampf gegen die Bildung einer Großen Koalition wie gegen die verantwortliche Parteiführung und ihre Politik.

Carla Boulboullé


Aus: Soziale Politik & Demokratie Nr. 307 vom 1. Oktober 2013

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