„Ich sage Nein“ – Hilde Mattheis, SPD-Bundestagsabgeordnete

Hilde Mattheis, eine Kämpferin gegen die Agenda 2010, hat sofort nach den Wahlen vor einem Gang der SPD in eine Große Koalition gewarnt. Jetzt, nach dem Bekanntwerden des ausgehandelten Koalitionsvertrages, erklärt sie ihr klares „Nein“.

Ihr Nein ist getragen von der Ablehnung durch die große Mehrheit der Mitgliederbasis. Verstärkt durch das erneute Nein zahlreicher Gliederungen und Funktionsträger der Partei, treibt diese Absage einen Keil in den Propagandafeldzug für das Ja zu Koalitionsvertrag und Großer Koalition, mit dem die Parteiführung und die Medien die 473.000 Mitglieder und Millionen Arbeitnehmerwähler zu überrennen versuchen: sehr viel sei erreicht worden, „Viel für die Menschen in Deutschland. Viel für Europa“.

„Soziale Gerechtigkeit ist nicht verhandelbar“, da gibt es eine „rote Linie“: das ist das Verdikt der Hilde Mattheis gegen das „Verhandlungsergebnis“, in dem der „Verlust sozialdemokratischer Identität“ wiederklingt, vor dem andere Parteimitglieder warnen. Mit diesem Vertrag wurden der Anspruch und die Forderung eines „echten Politikwechsels“ nicht eingelöst.

Ein Politikwechsel, den die sozialdemokratische Mitgliederbasis ebenso will wie die Mehrheit der arbeitende Bevölkerung und Jugend. Das drückt sich auch in den zunehmenden Demonstrationen und
gewerkschaftlichen Kämpfen gegen die Sparpolitik der Schuldenbremse aus und gegen Tarifflucht, Lohndumping und Prekarisierung.

„Viel für die Menschen in Deutschland. Viel für Europa“?

„Konsequente Einhaltung der Schuldenbremse“ – „Wettbewerbsfähigkeit stärken“, damit werden in der Präambel des Koalitionsvertrags die Grundprinzipien für das Regierungsprogramm definiert. Und diese Prinzipien werden umso schmerzlicher einschneiden, wenn sich die Vertragsvoraussetzungen von mehr Wachstum, Beschäftigung und Steuereinnahmen und die Ausblendung der gigantischen Kosten der Euro-Krise als trügerische Illusionen erweisen.

Unter dem Diktat von Schuldenbremse und Wettbewerbsfähigkeit

  • Kann und wird es kein Ende und keine Umkehr geben gegenüber der Politik des jahrelangen Kaputtsparens der Städte und Gemeinden, der öffentlichen Daseinsvorsorge und Infrastruktur, von  Krankenhäusern, Nahverkehr, Schulen und Universitäten – während die Milliardenflutungen an Banken und Spekulanten im Namen der Euro-Rettung garantiert werden, wofür den Arbeitnehmern und Völkern Europas und Deutschland die Fortsetzung der Sparpolitik, Sozialdemontage und Senkung der Arbeitskosten verordnet wird.
    Dafür zeigt sich in den im Koalitionsvertrag „versprochenen“ minimalen finanziellen Entlastungen für die Länder und Kommunen.
  • Werden weder die einschneidenden Rentenkürzungen verhindert, noch die Rente mit 67 aufgehoben. Während einer begrenzten Schicht langjährig Versicherter höhere Renten durch den Griff in die Rentenkasse zugestanden werden, müssen die große Mehrheit der Geringverdienenden und diejenigen mit ungünstigen Rentenerwartungen dafür bezahlen: die sich ausweitende Bedrohung durch Altersarmut wird damit nicht verhindert.
  • Wird der Weg in die Zwei-Klassenmedizin weiter fortgeschrieben. Der Koalitionsvertrag erteilt der von der arbeitenden Bevölkerung, den Gewerkschaften und den SPD-Mitgliedern geforderten Wiederherstellung der paritätisch finanzierten und solidarischen gesetzlichen Krankenversicherung und der Aufhebung der einseitigen Belastungssteigerung für die Arbeitnehmer-Beitragszahler eine klare  Absage.
    Der Druck des Kostendumping-Wettbewerbs auf das Personal, die Versorgungsleistungen und die Sachinvestitionen wird verschärft.
  • Werden Millionen Arbeitnehmer, die aus ihren Tarifverträgen herausgeworfen  wurden, mit einem staatlich verordneten  Mindest-Armutslohn abgespeist. Für ihn  sollen noch weitere zahlreiche Ausnahmen verhandelt werden.
    Das Heer der Billiglöhner und des Prekariats wird trotz dieses Mindestlohns und der minimalen Regulierungen für Leiharbeit und Werkverträge noch ausgeweitet. Lohnanhebungen und Teilregulierungen für die einen werden unter dem Gebot der Wettbewerbsfähigkeit bei anderen kompensiert.
    „Wir sagen „Nein“ dazu, dass die „Korrekturen“ zu einem „Förderprogramm“ (DIW) werden – für alle Art Flucht aus den Flächentarifverträgen in Sparten und Billigtarife, für die Ausweitung von Billiglöhnen, Teilzeit- und Minijobs: für die Ausweitung des Millionensektors atypischer Beschäftigung“, warnen Vertreter der AfA (Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD) aus Berlin in einer Erklärung.

Diese Politik findet ihre Fortsetzung mit der Verpflichtung auf die Euro-Rettungspolitik auf europäischer Ebene mit ihren Geboten der Austerität und der Agenda-Strukturreformen.

„Es gibt keine auch noch so vorsichtige Abkehr von einer unsolidarischen und ungerechten Krisenlösungsstrategie für Europa. Ein Kurswechsel ist nicht erkennbar, stattdessen gibt es Bekenntnisse zur Fortsetzung der Troika-Politik und einer damit verbundenen neoliberalen Ausrichtung der nationalen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitiken“, schreibt Hilde Mattheis zur Begründung ihrer Ablehnung.

„Das Risiko für die SPD in einer Großen Koalition ist zu hoch“ (Mattheis). Auch dieses Nein zur Großen Koalition und für die Verteidigung der SPD gegen einen selbstzerstörerischen
Kurs der Parteiführung wird getragen von der Mehrheit der SPD-Mitgliederbasis und –Gliederungen, die sich nicht einschüchtern lassen von der Propagandawalze für das Ja.

Egal wie das durch und durch manipulierte, die Demokratie verhöhnende „Mitgliedervotum“ ausgehen mag (für die Mitglieder gibt es nichts zu wählen, ihnen wird das Ja aufgedrückt), dieses Nein aus dem Herzen der Partei wird damit nicht ausgelöscht.

Ein „Sieg“ Gabriels wird eher einem Phyrrussieg gleichen. Die Ablehnung der großen Mehrheit der Mitgliederbasis und das Nein einer breiten Schicht von Funktionsträgern und Basisgliederungen, sowie von Führungsverantwortlichen wie Hilde Mattheis und Marco Bülow werden zum Orientierungssignal werden für die Arbeiterschaft und Jugend, wenn diese ihre Erfahrung machen im Zusammenprall mit der Politik der Großen Koalition auf der Grundlage dieses Koalitionsvertrages.

Carla Boulboullé


Aus: Soziale Politik & Demokratie Nr. 311 vom 5. Dezember 2013

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